Beim Singen und im Religionsunterricht, da wären alle zusammengesessen. Acht Klassen haben die Schule in Riedheim besucht, erinnert sich Kurt Wörner, ehedem Schüler in dem Ende der 1860er-Jahre entstandenen Gebäude. Riedheim war 1924 mit Leimbach, Hepbach, Stadel und Gangenweiler zu einer Gemeinde zusammengefasst worden und seit 1972 im Zuge der Gemeindereform ein Teilort von Markdorf. Viele Schüler seien es nicht gewesen, die sich auf die unterschiedlichen Klassen verteilt haben, im Durchschnitt wohl sechs, sieben Kinder.
Herausforderung für die Lehrer
"Trotzdem war es eine große Herausforderung für die Lehrer", erklärt Wörner, der die Riedheimer Schule von 1963 bis 1967 besucht hat, bevor er an ab Klasse 5 an die Markdorfer Jakob-Gretser Schule wechselte. "Wir waren stark in Mathe", erinnert sich Wörner. Hoch gewesen sei der Kenntnisstand in den naturwissenschaftlichen Fächern. Was Wörner nach wie vor bedauert: "Wir hatten keinen Englisch-Unterricht." Er betrachtet das als grundlegenden Nachteil.


Kurt Wörner stammt aus einer Familie mit bäuerlichem Hintergrund. Mithin gehört er zu eben jener Gruppe, die die Bildungsreformer in den 60er-Jahren ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt haben. Längst zur stehenden Formulierung ist das "katholische Mädchen vom Lande" geworden, dessen Bildungschancen die Pädagogen verbessern wollten.
Nicht minder fördern wollten sie die Zukunftschancen der Jungen aus ländlichen Familien. Und als ein geeignetes Instrument dazu betrachteten die Reformer den Ganztagsunterricht. In Stuttgart war es Kultusminister Wilhelm Hahn, der das Modell Ganztagsschule als Hebel für einen Modernisierungsprozess betrachtete.
Pädagogische Aufbruchstimmung
"Es war eine Zeit großer Spannungen", erklärte Hansgeorg Raidl, Gründungsdirektor des Markdorfer Gymnasiums, beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Markdorfer Bildungszentrums (BZM) vor wenigen Wochen. Ende der 1960er-Jahre ging es in vielen Bereichen höchst turbulent zu: Es gab Studentenrevolten, schwere weltpolitischer Krisen. Es war die Phase der Kreisreformen und der Kurzschuljahre. Es herrschte Lehrermangel. Gleichzeitig herrschte pädagogische Aufbruchstimmung.
Davon berichtet Christa Emmans, die bis zu ihrer Pensionierung vor wenigen Jahren am Markdorfer Gymnasium Latein und Englisch unterrichtet hat. Sie erinnert sich noch genau an den Vortrag, den Hansgeorg Raidl in Freiburg vor jungen Lehramtsstudenten gehalten hat. Der Gründungsdirektor des Bildungszentrums war in die Universitätsstadt gekommen, um dort vom "Markdorfer Modell" zu berichten. Dem vom Stuttgarter Kultusministerium gutgeheißenen engen Verbund von Hauptschule, Realschule und Gymnasium. In dem einerseits eine größere Durchlässigkeit für die sonst streng getrennten Schularten erreicht werden sollte. Und in dem andererseits eine enge Zusammenarbeit der Lehrer geplant war.
Christa Emanns erinnert sich
Ganz neu war das gemeinsame Lehrerzimmer für die Hauptschul-, Realschul- und Gymnasial-Kollegien. Wo schulartenübergreifender Austausch statt. Ein pädagogischer von dem alle Beteiligten profitierten, wie sich Christa Emmans erinnert. Sie habe vieles von ihren Kollegen gelernt, was ihr für den eigenen Unterricht sehr zustattenkam.
Die Zusammenarbeit war eng – und bisweilen sehr zeitintensiv. Denn es dauerte lange, bis die Unterrichtseinheiten von drei Schularten auf einen gemeinsamen Klassenarbeitstermin hin abgestimmt waren,. Die Englisch-Lehrer zum Beispiel hatten sich anfangs sogar auf ein Lehrbuch geeinigt – das der Realschule. Später wurde dann wieder abgelassen von diesem Konzept. Doch noch lange sollten allergründlichst geführte Leistungsstands-Diskussionen die nach wie vor beibehaltenen Gesamtkonferenzen prägen.
Kooperation der Schularten
Ein Stück weit sollte die Unterrichtspraxis den theoretischen Überlegungen entsprechen. Das Augenmerk lag auf der innerschulischen Sozialisation der Kinder und Jugendlichen. Für deren Wohl, um für sie eine optimale Lernumgebung zu schaffen, richtete man Stützkurse ein, bot Arbeitsgruppen an, lud immer wieder zu Beratungsgesprächen. Wegweisend war wohl die schulartenübergreifende Kooperation in der Orientierungsstufe.
Wegweisend war auch die Einstellung eines Schulpsychologen. Vieles wurde im Laufe der Zeit wieder zurückgenommen. Anderes sollte bis heute erhalten bleiben: so der "Arbeitskreis Freizeit", in dem sich Eltern engagieren, damit Schüler während ihrer Mittagspause außer mit Tee und Gebäck auch mit Spielen oder Büchern versorgt werden können.
Gründungsbeschluss fürs Bildungszentrum
Doch bis es soweit war, bis zur Umsetzung der neuen pädagogischen Konzepte gekommen ist, sollte es nach dem 1967 getroffenen Gründungsbeschluss fürs Bildungszentrum noch fünf Jahre dauern. Von Schülern und Lehrern bezogen wurde der Gebäudekomplex erst 1972. Bis dahin war das BZM eine Schule an mehreren Standorten in Markdorf.


Noch zu Beginn der 1970er unterrichtete Christa Emmans zum Beispiel in Behelfsbaracken, die in der Nähe der Pestalozzi-Schule aufgestellt worden waren. In der nur wenige Jahre zuvor als Berufsschule fertiggestellten Pestalozzi-Schule lernten auch die Realschüler. Die Hauptschüler gingen – ebenso wie Kurt Wörner dies bis 1967 getan hatte noch bis 1973 in die gegenüber liegende Jakob-Gretser-Schule. Ende der 1960er-Jahre war das Markdorfer Modell zwar schon in den Köpfen und auf dem Papier präsent, modellhaft funktionierte es ab 1972.
Wandel des Bildungszentrums
- Schon 1963 richtet der Elternbeirat der Markdorfer Volksschule einen Brief an den Bürgermeister, in dem die Einrichtung einer höheren Schule vorgeschlagen wird. Stuttgart lehnt ab.
- 1967 schlägt schließlich das Stuttgarter Kultusministerium die Einrichtung eines ländlichen Bildungszentrums in Markdorf vor. Eine Planungsgruppe wird eingesetzt. Im September 1967 beginnt der Unterricht des "kooperativen Bildungszentrums" – vorläufig in der Berufsschule, den vorhandenen Schulhäusern, dem Rathaus, der Stadthalle, dem Bischofsschloss und dem Feuerwehrhaus.
- Von 1969 bis 1972 wird das Schulzentrum an der Ensisheimer Straße gebaut. Im Oktober 1972 ist die Einweihungsfeier. Stark wachsende Schülerzahlen machen 1976 einen Anbau mit sechs Klassenzimmern erforderlich. Gleichzeitig werden neue pädagogische Konzepte erprobt – zum Beispiel der Einsatz audio-visueller Medien.
- 1979/80 wird ein zweiter Erweiterungsbau nötig. 1980 kommt es zur "modellgerechten Entflechtung" der drei Schularten. 1982 wird der Modellversuch offiziell beendet. Gleichzeitig bestehen einzelne Elemente fort wie die Schulsozialarbeit und der Schulpsychologe.
- 1999/2000: Neuerliche Umbauarbeiten. 2004: Neubau einer Sporthalle. 2015: Werkrealschule und Realschule schließen sich zum Schulverbund zusammen. 2017: Kreistag beschließt Sanierung und Umbau des Eingangsbereichs.