Es kam näher, sank niedriger – und stürzte plötzlich ab. Ein kleines Flugzeug, ein Ein-Mann-Düsenjäger der Luftwaffe, löste am 4. Juni 1963 um 12.30 Uhr einen Großeinsatz und großes Aufsehen in Stockach aus, als es in den Hof der Metallwarenfabrik Glatt (heute Alu Stockach) stürzte. Die Maschine war eine von mehreren, die an jenem Vormittag über der Stadt kreisten. Es habe "lebhafter Düsenjägerbetrieb" geherrscht, beschrieb der SÜDKURIER am 5. Juni in einem Artikel über den Absturz.

Ulf Wieczorek hat die Flüge über dem Stadtgebiet in seiner Mittagspause verfolgt. Der ehemalige Klinikoberarzt ist Flugzeugfan und arbeitete damals zwischen Abitur und Studium bei der Baufirma Wagner. Er und seine Kollegen bauten an jenem Tag einen Löschwasserhochbehälter auf der Nellenburg. "Wir saßen gerade in der Mittagspause am Rand des Wirtschaftsgebäudes", erzählt er. Er schaute zu, wie zwei Ein-Mann-Düsenjäger (Fiat G91 Aufklärer) gemeinsam tief anflogen. Es sei bekannt und normal gewesen, dass über der Stadt Übungsflüge stattfanden.

"Einer von beiden schien etwas abzuwerfen und plötzlich war nur noch ein Düsenjäger in der Luft. Es ging so schnell, dass ich es eigentlich mit dem bloßen Auge nicht richtig nachverfolgen konnte. Es war eine Sekundensache", erinnert er sich. Das zweite Flugzeug habe dann noch ein, zwei Runden gedreht und sei weggeflogen. "Ein Kollege hatte ein Auto und wir sind schnell runtergefahren und haben gesehen, dass der Düsenjäger abgestürzt ist." Die Bundeswehr sei sehr schnell mit Hubschraubern gekommen und habe alles abgesperrt. Wieczorek und seine Kollegen kehrten dann zu ihrer Arbeit zurück. Später habe er gehört, dass es in der Fabrik keine verletzten Arbeiter gegeben habe. "Es war ein Glück für alle, dass Mittagspause war."
So beschrieb der SÜDKURIER die Geschehnisse: Die Maschine, die abstürzte, sei gemeinsam mit einer anderen aus Richtung Wahlwies angeflogen. Eines der Flugzeuge setzte auf der Geländekante über der Fabrik auf, riss eine Eiche mit, schleuderte diese auf das Dach der neuen Schmelzereihalle "und zerschellte dann an einem etwa drei Meter hohen Erdwall, der den Fabrikhof abgrenzt", schilderte der Artikel. "Die brennenden Trümmer der Maschine setzten sofort die Gasanlage und die Schlosserei der Metallwarenfabrik in Brand." Flugzeugteile lagen im Fabrikhof verstreut. Der Pilot überlebte den Absturz nicht. "Den wenigen Männern, die sich während der Mittagspause noch in den Werksanlagen befanden, bot sich ein grauenhaftes Bild. Es ist nicht abzusehen, welche Folgen entstanden wären, wenn sich der Flugzeugabsturz während der Arbeitszeit ereignet hätte", so der Bericht weiter. Ein Arbeiter erzählte dem SÜDKURIER damals, dass er erst wenige Augenblicke vorher über den Hof gegangen sei: "Ich war gerade in der Halle, als ich plötzlich eine grelle Stichflamme sah und durch den gewaltigen Luftdruck zur Seite geschleudert wurde."
Die Werksfeuerwehr begann sofort mit den Löscharbeiten und kurz darauf landeten zwei Hubschrauber der Luftwaffe, die sofort mit Untersuchungen zum Unglück begannen. Es versammelten sich in der Umgebung auch viele Schaulustige. Die Polizei habe alle verfügbaren Kräfte aufbringen müssen, um auf den Straßen "ein Verkehrschaos zu verhindern und die vielen hundert Neugierigen vom Unglücksort zurückzuhalten", heißt es im damaligen Zeitungsbericht.

Der Stockacher Josef Geiger erzählt, dass er den Ein-Mann-Düsenjäger beobachtet habe, als er um die Mittagszeit heimgefahren sei. "Ich habe mich gewundert, dass er über der Stadt kreiste." Nach dem Absturz war er wie viele andere Stockacher am Hang zur Nellenburg, wo zahlreiche Bundeswehrhubschrauber landeten und abhoben. Geiger machte auch Fotos von der ungewöhnlichen Szene und den Schaulustigen, die sich zu Fuß, mit Fahrrad, Traktor oder Auto an einem Feldweg versammelt hatten.

Die Unglücksstelle wurde "durch bewaffnete Posten abgesperrt", beschrieb der SÜDKURIER in einem weiteren Artikel über neue Erkenntnisse. "Im Fabrikhof und an der ersten Aufschlagstelle auf dem Hardt war auch gestern noch nichts verändert. Die Untersuchungskommission war noch mitten in der Arbeit." Der verunglückte 27-jährige Feldwebel, ein Flugschüler, habe ihm Rahmen von Schulungsflügen die Aufgabe gehabt, die Eisenbahnbrücke in Stockach-Rißtorf zu fotografieren. In der zweiten Maschine saß der Fluglehrer, der keine Möglichkeit mehr gehabt habe, den Feldwebel vor seinem zu tief angesetzten Flug zu warnen. Es stellte sich heraus, dass das Kabinendach des Düsenjägers abgeworfen, aber der Schleudersitz nicht ausgelöst worden war. Die Ursache werde aufgrund der Trümmer nur schwer zu beantworten sein, hieß es in dem Artikel.

In den Tagen nach dem Absturz wurde Kritik an der Bundeswehr laut: "In der Bevölkerung vernimmt man neben der Anteilnahme für den tödlich verunglückten Piloten viele empörte Stimmen über das unverantwortlich niedrige Überfliegen des Stadtgebiets", fasste der SÜDKURIER zu den Reaktionen zusammen. Der damalige Stockacher Bürgermeister Alois Deufel erklärte laut des Berichts, dass er gegen die Störungen durch Düsenjäger, die in der Zeit davor zugenommen hatten, protestieren wolle: "Die Stadtverwaltung wird die zuständigen Stellen mit allem Nachdruck darauf aufmerksam machen, dass der Düsenlärm für die Insassen des Krankenhauses nicht gerade zuträglich ist und dass die Folgen eines ähnlichen Zwischenfalls über der Altstadt unübersehbar wären." Auch das Landratsamt kündigte eine ähnliche Stellungnahme an.