Samy Kramers Tor zur Welt ist Friedrichshafen. So zumindest fühlt es sich für den 22-Jährigen an: Wenn er in ein Flugzeug klettert, den Motor startet und hoch in den Himmel steigt. „Ich kann einfach dorthin, wohin ich will“, erzählt er. Auch an diesem Samstag – es ist kühl, der Himmel ist leicht bewölkt – geht es gleich nach oben. Vom Flughafen in die Freiheit. Kramer würde mit seiner 50er-Jahre-Sonnenbrille, dem Schnauzer und dem lockigen Scheitel auch gut in eine Kunstgalerie passen. Doch heute hat er den SÜDKURIER und zwei Leser in eine viersitzige Cessna eingeladen.

Über den Dächern der Stadt
Wer fliegt denn da? Diese Frage haben sich gewiss schon einige Häfler gestellt. Kein Wunder: Im Luftraum über der Zeppelinstadt – samt eigenem Flughafen – ist ordentlich was los. Luftschiffe gleiten zwischen Wolken. Linienflüge starten nach Frankfurt. Geschäftsleute jetten zu Terminen. Und da sind die kleinen Motormaschinen, die über den Dächern brummen. Das sind die Hobbypiloten wie Samy Kramer.
Die Cessna, mit der es gleich nach oben geht, gehört dem Luftsportclub Friedrichshafen. Kramer hat sie bei seinem Verein gechartert. Mit an Bord sind heute Julia Welte und Erwin Holzmann, beide haben ein SÜDKURIER-Gewinnspiel gewonnen. Auch Reporter Benjamin Schmidt ist mit von der Partie. Die drei klettern in die kleine Cessna. „Sitzt ihr bequem?“, fragt der Pilot dann. Alle nicken. Kramer startet den Motor. Der Propeller dreht sich, 180 PS treiben die Rotoren an. Die Insassen ziehen Kopfhörer auf. Ab sofort wird per Funk kommuniziert. Für normale Gespräche ist es nun zu laut.
Das Flugzeug fährt aufs Rollfeld. Kramer dreht den Motor kurz im Leerlauf hoch – ein Routine-Test. Die Freigabe des Towers erfolgt, und schon geht es auf die Startbahn. Kramer beschleunigt. Kurz darauf schrumpfen Häuser, Bäume und Menschen am Boden. „Wohin wollt ihr?“, fragt der Pilot per Funk. Der Himmel steht offen. Die Gruppe entscheidet sich für eine Route in Richtung Berge. Zum Pfänder und den österreichischen Alpen. Auf dem Weg dorthin gleiten Wasserburg, Lindau und Bregenz vorbei. Die Straßen, das Seeufer, die Felder: Von oben gleicht alles einem künstlerischen Bild aus Farben, Linien und Strukturen.

Die Leidenschaft Fliegen
Während die Passagiere die Aussicht genießen, steuert Kramer routiniert die Maschine. Schon seitdem er 14 Jahre alt ist, fliegt er. Zunächst per Segler, wenig später unter Motor. Die Leidenschaft ist ihm in die Wiege gelegt: Vater Philipp ist Fluglotse am Bodensee-Airport. Mutter Soha arbeitet bei der Lufthansa als Flugbegleiterin. Und sogar Großvater Amir war Pilot in Ägypten – Sohas Herkunftsland. Derzeit studiert Samy Kramer – wenig überraschend – etwas mit Fliegerei: Luft- und Raumfahrttechnik in Friedrichshafen.

Die Cessna umrundet den Pfänder. Von dort aus gesehen erstreckt sich der Bodensee fast bis zum Horizont. Weiter geht es über schneebedeckte Hänge in die Berge. Kramer umrundet einen Gipfel und zeigt: „Da sieht man ein Gipfelkreuz!“ Solche Ansichten sind für ihn normal. Zweimal die Woche ist er meist unterwegs, mal per Motor, mal per Segelflugzeug. Wenn er von Treibstoff angetrieben fliegt, geht es eher ums Ziel: Venedig, Prag, Hamburg. Alles schnell erreichbar aus der Luft. „Beim Segelfliegen geht es ums Fliegen selbst“, erzählt Kramer per Funk. Dann sucht er die Thermik an Berghängen, muss dafür Wolken und das Wetter lesen.

Andere kleben sich auf die Straße
Die Cessna hingegen verbraucht pro Flugstunde gut 30 Liter Treibstoff. Manchmal auch mehr. Samys Altersgenossen kleben sich andernorts auf Straßen, demonstrieren für mehr Umweltschutz. Wie passt das für ihn zusammen, hat er kein schlechtes Gewissen? „Ich weiß, dass das Fliegen die Umwelt belastet“, räumt Kramer ein. „Auf der anderen Seite esse ich oft vegan.“ Das Freiheitsgefühl, die Leidenschaft: Sie wiegen für Samy Kramer mehr als die Bedenken. Und auch seine Freunde sind flugbegeistert. Aus seinem sozialen Umfeld kommt daher keine Kritik.

Nach gut einer Stunde ist der Flug vorbei. Kramer hat die Cessna wieder sicher auf den Boden gebracht. Die Passagiere applaudieren. „Die Berge haben mir gut gefallen“, erzählt Julia Welte. Auch dass Kramer eine Runde über ihr Haus gedreht hat, war für sie großartig. Erwin Holzmann pflichtet bei. „Das Berge zu sehen, war toll.“ Nachdem sich die beiden verabschiedet haben, lädt Kramer noch ein zum Gespräch in den Gemeinschaftsraum des Luftsportclubs.
Samy Kramer ist Flug-Fotograf
Das rustikale Zimmer liegt neben einer Werkstatt, die Wände sind aus Holzplatten gefertigt. Kramer zeigt Flieger-Magazine und einen Kalender. „Die Aufnahmen auf den Titelseiten und die im Kalender habe alle ich gemacht“, erzählt er stolz. Denn neben der Luftfahrt ist die Fotografie seine zweite große Leidenschaft. In der Luft – er selbst sitzt dann nicht am Steuer – schießt er Bilder von anderen Flugzeugen. „Eine totale Nische“, sagt er und lacht. Im USA-Urlaub nahm er gar Bilder über der Golden-Gate-Bridge in San Francisco auf. Für eine Zeitschrift lichtete er zudem bereits ein Elektro-Flugzeug ab, das gut 2,5 Stunden in der Luft bleiben kann.

Samy Kramer: „Es wäre toll, wenn die Motoren der Luftfahrt alle schon so weit wären, wie bei den elektrischen Autos.“ Doch in Zukunft wird sich die E-Mobilität auch bei Flugzeugen durchsetzen, ist er sich sicher. Und wenn die Friedrichshafener dann mal wieder den Himmel schauen, sehen sie gewiss auch Samy Kramer. Dann voll elektrisch über den Dächern der Stadt.