Georg Lange

So begeistert die Musiker und Tanzfans von der aufkommenden Swingwelle der 1930er-Jahre waren, um so mehr war das nationalsozialistische Regime dagegen. Das Regime prägte ein eigenes Wort zur Kennzeichnung von Jugendlichen, die ihre Begeisterung für die amerikanische Swing-Musik offen zeigten: die Swing-Jugend. In einem autonomen Lebensstil suchten sie nach einer Abgrenzung zur Hitler-Jugend und in der Swing-Musik eine eigenständige Ausdrucksmöglichkeit. Emil Mangelsdorff gehörte zu jener Swing-Jugend in Frankfurt, die eine Gegenkultur zum NS-System lebte. Als Jugendlicher ertrug er Maßnahmen der Verunglimpfung bis hin zur Verhaftung durch die Gestapo. Im Hesse Museum Gaienhofen erzählte der 91-jährige Profimusiker und Zeitzeuge aus der Perspektive eines Jugendlichen, der mit 16 Jahren bereits seine eigene Band leitete.

Mangelsdorff erinnert sich genau an den Moment, in dem er den Jazz zum ersten Mal hörte. Im Radio Luxemburg spielten sie im Anschluss an eine Bach-Sonate und an einen französischen Chanson den amerikanischen Jazz-Musiker Louis Armstrong. "Plötzlich habe ich einen hohen Puls bekommen. Seine Musik schlug förmlich bei mir ein und nahm mich gefangen", erinnert sich Mangelsdorff in der Gaienhofer Matinee. Seit diesem Erlebnis ließ ihn der Jazz nicht mehr los. Auf einem Akkordeon lernt der Neunjährige, Jazz-Standards nachzuspielen, die er dann als Elfjähriger zur Faschingszeit auf den Straßen von Frankfurt präsentierte. Mit einem vier Jahre älteren Jugendlichen bildete er fortan ein Duo, bis 1939 spielte es an mehreren Abenden zum Tanz auf.

Allerdings stand der lebensfrohe und überschwängliche Swing im Gegensatz zur Ideologie des Nationalsozialismus. Die Stettiner Zeitung schrieb 1938, dass unappetitliche Dinge geschähen, die als Unterhaltung getarnt würden. In Stettin könne man Leute tanzen sehen als ob sie Magenkrämpfe hätten – sie nennten es Swing. Der Redakteur rief dazu auf, allen Veranstaltern, die Swing-Tanzen gestatten würden, die Konzession zu entziehen. Swing-Orchester, in denen die Musiker Hot spielen würden, auf ihren Instrumenten kreischen, aufstehen und Soli spielen, müssten verschwinden. Um Jazz zu diskreditieren, druckten Zeitschriften Modebilder ab mit dem Hinweis, wie lächerlich der Stil sei. Für Mangelsdorff war es Grund genug, sich an genau diesen Bildern zu orientieren und den modischen Stil zu imitieren.

Er erinnert sich, wie er mit dem Streifendienst der Hitlerjugend in ein Gerangel kam und mit einen Sprung in die Straßenbahn entkam und wie eine Empfehlung an seinen Freund als Wehrkraftzersetzung eingestuft wurde und ihm Untersuchungshaft und Internierung einbrachte. Mangeldorff wurde zur Wehrmacht eingezogen, machte den Rückzug des Russlandfeldzugs mit. Nach der Kriegsgefangenschaft schloss er sich 1949 der Frankfurter Jazzszene an. Bei der amerikanischen Besatzungsmacht konnte Mangelsdorff als Jazz-Musiker arbeiten. Dort baute er sich eine Existenz als Profimusiker auf.

Zur Person

Emil Mangelsdorff wurde 1925 in Frankfurt am Main geboren und gilt als einer der vielseitigsten Solisten des deutschen Jazz. Der Klarinettist, Saxophonist und Flötist wurde mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen ausgezeichnet, ist Träger des Hessischen Jazzpreises und der Wilhelm-Leuschner-Medaille, der höchsten Auszeichnung des Landes Hessen. Der ältere Bruder des Jazzposaunisten Albert Mangelsdorff ist Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und einer von 13 Ehrenprofessoren in Hessen.