Zum Singen geht Judith Zerr in ihr Zimmer. Keineswegs, damit sich die übrige Familie durch ihren Gesang gestört fühlen würde. Dafür singt die 15-Jährige viel zu gut. Judith singt auch nicht alleine – beziehungsweise beinah nicht alleine. Denn sie hat Unterricht in ihrem Zimmer. Wenn sie ihre Noten bereit gelegt hat, ihr Handy ins Regal gestellt hat, dann nimmt sie per Internet Verbindung auf zu Anuschka Schoepe, ihrer Gesangslehrerin.

Der Bildschirm ist winzig

„Richtig gemeinsam zu singen, ist aber kaum möglich.“ Die Winzigkeit des Bildschirms auf dem Handy ist es also nicht, die das Gesangsvergnügen schmälert – ebensowenig die mindere Tonqualität. Es sei die Zeitverzögerung, die zum technischen Stolperstein wird. „Inzwischen können wir aber ganz gut an den Lippen ablesen“, deutet Judith Zerr an, wie technische Mängel einigermaßen kompensiert werden. „Mir macht es in jedem Falle großen Spaß“, versichert die Gesangsschülerin. Sie genieße den Online-Unterricht. „Ich bin ja den ganzen Tag zu Hause“, erklärt sie, „da ist das Singen eine schöne Abwechselung.“ Und trotzdem: „Ich freue mich schon darauf, wenn die Kontaktsperren wieder aufgehoben sind und der Unterricht wieder ganz normal stattfinden kann.“

Musikschulunterricht kann auch am Laptop funktionieren, ist die Erfahrung von Gesangslehrerin Anuschka Schoepe und Johannes Eckmann, der ...
Musikschulunterricht kann auch am Laptop funktionieren, ist die Erfahrung von Gesangslehrerin Anuschka Schoepe und Johannes Eckmann, der Streicher unterrichtet. | Bild: Jörg Büsche

Unterricht musste eingestellt werden

„Musikschule Markdorf – alles andere als leise“ heißt es auf der Website. Und doch ist es derzeit still dort. Weil vom 17. März bis zum 19. April aufgrund der dynamischen Ausbreitung des Corona-Virus der Unterrichtsbetrieb komplett eingestellt werden musste. Etliche der Musikschulen in Deutschland – allein 929 gehören dem „Verband deutscher Musikschulen an, darunter auch die in Markdorf – setzen in der Corona-Phase auf ein Online-Angebot. „So machen wir das in Bad Saulgau“, erklärt Opernsängerin und Gesangslehrerin Anuschka Schoepe. Sie unterrichtet auch in Markdorf, wo Musikschuldirektor Gerhard Eberl nach Beginn des Lockdowns bewusst auf ein Netz-Angebot verzichtet hat.

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Not macht kreativ

Ihn wundere es, wie rasch manche Musikschule online unterrichtet habe. Abgesehen von der datentechnisch-rechtlichen Seite gebe es ja auch die Ausstattungsfrage. „Wir können ja nichts anbieten, was unsere Lehrer dann aufgrund fehlenden Equipments nicht umzusetzen in der Lage sind“, erklärt Eberl. Das Online-Angebot hänge also von der technischen Ausrüstung der Musikschullehrer ab. Und daran wurde in den letzten Wochen gearbeitet. Auch dabei habe große Einigkeit geherrscht zwischen Betriebsrat, Musikschul-Vereinsvorstand und der Schulleitung. Erfreut zeigt sich der Musikschuldirektor über die kreativen Vorschläge, die aus seinem Kollegium gekommen seien. „Da muss schließlich jeder seinen eigenen Weg finden, ein für sich funktionierendes pädagogisches Konzept entwickeln, letztlich ist Einfallsreichtum gefragt.“

Musikschulleiter Gerhard Eberl hat mit seinem Team aus Verein und Schule die Voraussetzung für einen Online-Unterricht geschaffen.
Musikschulleiter Gerhard Eberl hat mit seinem Team aus Verein und Schule die Voraussetzung für einen Online-Unterricht geschaffen. | Bild: Jörg Büsche

Fallstricke der Technik

„Die Möglichkeiten, online zu unterrichten, sind recht beschränkt“, beobachtet Anuschka Schoepe. Auf Skype zum Beispiel trete eine zeitliche Verzögerung auf. Um direkt, um live zu kommunizieren, sei das gute alte Telefon beziehungsweise das Handy besser geeignet. „Gesangsunterricht am Telefon hat auch seine spaßigen Seiten“, erklärt sie, „wir haben schon ziemlich viel gelacht dabei.“ Anuschka Schoepe schränkt jedoch ein, dass solcher Unterricht eigentlich nur dann funktioniere, wenn sich Schüler und Lehrer gut kennen, vertraut sind miteinander. Und selbst dann büße der Telefonkontakt die Unmittelbarkeit der persönlichen Begegnung ein. Gestik, Mienenspiel, Körpersprache fielen unter den Tisch. Einen Vorteil habe der über ein Medium geführte Unterricht aber auch. „Ich bin gezwungen, meine Anweisungen zu verbalisieren.“ Im direkten Kontakt müsse weniger versprachlicht werden. Weil vieles quasi nebenbei wahrgenommen und intuitiv erfasst werde. Das falle am Telefon fort. Aus der kommuni­kativen Not werde die Tugend der sprachlichen Präzision – die sie auch in ihrem analogen Unterricht beibehalten will.

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Kurz eingreifen ist nicht möglich

Anfangs sei sie ziemlich skeptisch gewesen, erklärt Katja Verdi. Sie unterrichtet Blockflöte an der Musikschule in Markdorf. Sie hatte befürchtet, dass ihre zumeist noch recht jungen Schüler von der Technik überfordert seien. „Wenn ein Elternteil dabei steht und hilft, geht es aber ganz gut“, war ihre Erfahrung bei den ersten Probeläufen mit dem Online-Unterricht. Auch die Blockflötenlehrerin musste feststellen, dass die Klangqualität „wenig optimal“ sei. Hinzu komme aber ein für den Unterricht schwerwiegenderer Nachteil. „Ich kann nicht mal eben zwischendurch eingreifen – also etwas auf dem Notenblatt zeigen“, das lasse die Entfernung einfach nicht zu. Verdis Fazit: „Die physische Präsenz kann der Online-Unterricht nicht ersetzen.“ Gleichwohl biete er in der kontaktfreien Zeit der Coronakrise die Chance, die Schüler zum Musizieren abzuholen.

Hat ihre anfängliche Skepsis gegenüber dem Online-Musikunterricht inzwischen abgebaut: Blockflötenlehrerin Katja Verdi.
Hat ihre anfängliche Skepsis gegenüber dem Online-Musikunterricht inzwischen abgebaut: Blockflötenlehrerin Katja Verdi. | Bild: Jörg Büsche

Persönlicher Kontakt bleibt wichtig

Noch sei offen, ob und in welcher Form der Unterricht Ende April wieder aufgenommen werden kann. Nach der momentan im Raum stehenden Wiedereröffnung der Musikschule am heutigen 20. April, erklärt Gerhard Eberl. „Das werden wir dann sehen, je nachdem, was die Verordnungen sagen.“ Der Musikschulleiter hält es – Stand heute – für sehr gut denkbar, dass dann zunächst der Einzelunterricht wieder möglich ist. Zur Sicherheit aber habe die Schulleitung nun die technischen Voraussetzungen für einen Online-Unterricht geschaffen. Wichtig sei in dieser Situation vor allem eines: der Kontakt zu den Schülern. Sie sollen „am Ball bleiben“, das Üben nicht vernachlässigen. Mit Online-Hilfestellungen sei da viel gewonnen.

Videos zur Aufmunterung

Johannes Eckmann, Fachbereichsleiter Streichinstrumente, Geigen- und Viola­lehrer und Dirigent des Jungen Kammerorchesters der Musikschule, hält den Kontakt zu seinen Schülern. „Ich schicke ihnen Video-Tutorials“, erklärt er. Kleine Filme, die vor allem dazu dienen, den Kontakt zu den Schülern nicht abbrechen zu lassen. „Von manchen Eltern höre ich, dass ihre Kinder sowieso zum Instrument greifen, um sich zu entspannen“, bei anderen sei es dagegen angebracht, an die Notwendigkeit des Übens zu erinnern. Die analoge Begegnung aber könnten solche Videos nicht ersetzen. Hätten sie doch eher aufmunternden Charakter.

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Aufmuntern möchte auch Gesangslehrerin Schoepe. Nicht nur ihre Schüler, sondern gleich deren gesamte Familien. An die wendet sie sich mit ihren selbstgedrehten Video-Tutorials gleich mit. Denn die enthalten auch Mitsing-Lieder für den gesamten Haushalt. Was die familiäre Harmonie stärken und das in Coronazeiten mitunter strapazierte Miteinander entspannen soll.

Eigene Initiative der Schüler ist nun gefragt

Beide Musiklehrer gehen davon aus, dass das Gros ihrer Schüler aus der unterrichtslosen Zeit mit gestärkter Eigenständigkeit hervorgehen werde. Was beide als sehr positiven Effekt werten. Vor allem auf sich selbst gestellt, müssten die jungen Menschen auch eigene Initiative entwickeln, um mit ihrer Musik weiter zu kommen. Sowohl Anuschka Schoepe wie auch Johannes Eckmann haben die Eindruck, dass eben dies geschieht. Noch etwas beobachten sie, insbesondere bei den Älteren. „Sie machen sich Gedanken, wie es in der Kunst- und Kulturszene weitergeht“, so Eckmann. Ihnen sei nicht entgangen, wie düster es um die wirtschaftliche Zukunft vieler Musiker bestellt sei.

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Kein Mangel an Arbeit für die Musikschullehrer

Über einen Mangel an Arbeit können die beiden Musiklehrer aktuell nicht klagen. Da gebe es sehr viel neu zu organisieren. Müssen doch auch abgesagte Auftritte nachbereitet werden – etwa der des von Eckmann dirigierten Konzerts der Musikfreunde auf der Überlinger Landesgartenenschau. Hinzu kommen neue Projekte. Für die nun doch etwas mehr Zeit bleibt. Zum Beispiel für das Bühnenprojekt, das Anuschka Schoepe derzeit für die Friedrichshafener Merian-Schule entwickelt.