Friedrichshafen Nachdem der fünfjährige Jussuf den blauen Roller ausprobiert hat, lässt er ihn nicht mehr los und flitzt über den Adenauerplatz. Sein großer Bruder Adem probiert einen größeren aus und stellt ihn zurück: „Der Lenker wackelt“, sagt er. Er hätte gern einen Roller für den Schulweg, aber das ist ihm zu gefährlich. „Nächstes Mal vielleicht“, tröstet Vater Alia Mankalash und kauft den kleinen Roller. „Damit er damit Spaß hat“, sagt er. Er lobt den Fundsachenverkauf in Friedrichshafen, „man findet tolle Sachen, und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist gut.“
Der Verkauf von Fundsachen durch die Häfler Stadtverwaltung sieht aus wie ein großer Flohmarkt-Stand: Schachteln mit Sonnenbrillen, Armbanduhren, Handyhüllen und Fotoapparaten, Kartons mit Büchern, Mützen, Schuhen und Rucksäcken sowie eine Kleiderstange voller Jacken und T-Shirts warten auf Abnehmer. Auf einer Bank liegen Schirme neben einem Tennisschläger, einem Motorradhelm, einer Angelrute und einem Brett mit Segelknoten. Neben dem Stand stehen zwei Rollatoren, ein Rollstuhl und zahlreiche Roller. Alles ist ausgepreist, aber die Verkäuferinnen sind offen für Verhandlungen. Schon als der Stand auf dem Adenauerplatz um 9 Uhr öffnet, ist er von Interessenten umringt.
Viele Besucher kommen zufällig vorbei. Zwei Freundinnen aus München sind für ein spontanes Wochenende an den Bodensee gekommen. Vom Café aus fiel ihnen der Stand auf. Eine kauft eine Jacke für die Tochter. „Sie ist ein Jahr alt, im Frühjahr passt ihr die. Und für fünf Euro ist die wirklich gut“, sagt sie. Während sie einpackt, überrascht ihre Freundin sie mit einem Paar Ohrringe. „Die haben nach dir gerufen, die schenke ich dir!“
Marie Aloisia Brix und Hedwig Prestele sind seit 70 Jahren befreundet und hatten sich für einen Bummel über den Schlemmermarkt verabredet. „Jetzt wollen wir mal sehen, ob es hier ein besonderes Fundstück gibt“, sagt Brix. Hedwig Prestele guckt nach einer Armbanduhr für die Enkelin: „Sie hat schon eine, aber die hat keinen Sekundenzeiger.“ Doch die einzige Uhr, die der Siebenjährigen gefallen könnte – rosa und mit Einhorn – ist schon zu abgewetzt. Über manche Fundstücke wundern sich die beiden: „Wie kann man denn seinen Rollator vergessen?“ Das fragt sich auch Levent Karatay. Vor allem der Rollstuhl irritiert ihn. „Ob da jemand doch nicht so krank war?“ Er wollte eigentlich mit einem Freund im Allgäu wandern, aber die Bahn ließ die beiden im Stich. Jetzt stehen sie in schweren Schuhen, Rucksäcken und Wanderstöcken vor dem Fundsachenstand. Karatay interessiert sich für hochwertige Uhren, probiert ein sportlicheres und ein schickeres Modell an. Ein Uhrmacher habe diese auf je 100 Euro geschätzt, sie würde im Preis aber nachgeben, sagt eine städtische Mitarbeiterin. „Ich ziehe sie doch nicht an“, entscheidet sich Karatay dagegen. Drei günstige Rucksäcke nimmt er mit.
Eine Steppjacke für zwei Euro
Eine leuchtend orangefarbene Steppjacke für nur zwei Euro hat es Ricca von Metz angetan. „Ich habe eigentlich genug Jacken, aber diese sitzt richtig, und im Winter passt noch ein Pullover drunter“, sagt sie. Nachhaltigkeit und die Wiederverwertung sind ihr sehr wichtig – zu Hause in Stuttgart ist sie im Food-Sharing aktiv, rettet Lebensmittel vor dem Müll und stellt sie kostenlos zur Verfügung. „Sollte die Jacke einen Fleck haben, den ich gerade nicht gesehen habe, ist das nicht schlimm. Auf meinen Runden kommt es da nicht drauf an“, sagt sie.
So unkompliziert sind an diesem Verkaufstag nicht alle Kunden. Eine junge Frau hat ein Paar Turnschuhe für 10 Euro ausgesucht, eine Daunenjacke für 20 und zwei dünnere Jacken für je 10 Euro. Auf das Angebot, statt 50 nur 40 Euro zu bezahlen, bietet die Kundin 20 Euro an. Die Mitarbeiterin am Stand geht noch auf 30 Euro herunter. Die Kundin legt 25 Euro auf den Tisch. Dieses Gebot wird unter Hinweis auf die Markenqualität der Kleidung abgelehnt. Schließlich nimmt die Kundin eine Jacke weniger für 25 Euro, möchte aber einen Gratis-Rucksack für den Transport. Sie bekommt stattdessen einen gelben Sack.