Montagmorgen, 7 Uhr. Betool Natout steht vor einer großen blauen Anzeige am Häfler Stadtbahnhof und fragt sich, was hier los ist. „Streik“, ist auf dem Schild zu lesen. „Ich muss zur Uni nach Weingarten“, sagt sie. „Wie komme ich jetzt dorthin?“

Hier geht heute nichts. Am Stadtbahnhof Friedrichshafen stehen die Züge still.
Hier geht heute nichts. Am Stadtbahnhof Friedrichshafen stehen die Züge still. | Bild: Benjamin Schmidt

So viel ist klar: Mit dem Zug geht heute nichts. Denn die Region ist vom deutschlandweiten Warnstreik betroffen, zu dem die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sowie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EV) aufgerufen haben. Auch im Verkehrsverbund Bodensee-Oberschwaben (Bodo) ist heute mit großen Einschränkungen zu rechnen.

Adrian Egger wartet auf den Bus nach Überlingen. Er besucht dort die Berufsschule.
Adrian Egger wartet auf den Bus nach Überlingen. Er besucht dort die Berufsschule. | Bild: Benjamin Schmidt

Während Betool Natout telefoniert, um irgendwie noch nach Weingarten zu kommen, wartet Adrian Egger an der Bahnhofshalle. „Ich muss nach Überlingen“, sagt der Auszubildende. Er lernt an der dortigen Marie-Curie-Schule Biologisch-Technische Assistenz. Das Familienauto ist schon belegt, erzählt er weiter. Deswegen hofft er, dass in gut einer Stunde die Linie 7395 fährt. „Ich habe Verständnis für die Streikenden“, so Adrian Egger. „Aber als Pendler ist man echt aufgeschmissen.“

Philip hat am heutigen Montag mit sechs statt nur zwei Kinder zur Schule gefahren.
Philip hat am heutigen Montag mit sechs statt nur zwei Kinder zur Schule gefahren. | Bild: Benjamin Schmidt

Ortswechsel, es ist 7.20 Uhr. Philip, seinen Nachnamen will er nicht verraten, hat vor den beiden Schulen in der Wendelgardstraße, dem Graf-Zeppelin-Gymnasium sowie der Pestalozzi-Schule, gerade sechs Kinder aus seinem Auto gelassen. „Sonst sind es immer nur zwei“, sagt er und lacht. Doch wegen des heutigen Streiks hat er sich bereit erklärt, weitere kleine Fahrgäste mitzunehmen. Er wundert sich: „Sonst ist hier viel mehr los.“ Viele Eltern, so scheint es, bringen ihre Kinder erst gar nicht in die Schule. Das Kultusministerium hatte angekündigt, dass Kinder auch zuhause bleiben dürfen, sollten ihre Verbindungen nicht fahren.

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Später wird sich herausstellen: Der Schein trügt. Fast alle Schüler haben es irgendwie in den Unterricht geschafft. Axel Ferdinand, Schulleiter des Graf-Zeppelin-Gymnasiums, berichtet am Telefon: „Von unseren 900 Schülerinnen und Schülern haben sich nur 24 wegen des Streiks abgemeldet.“ Warum kaum Autos vor Ort zu sehen sind? „Viele kommen mit dem Rad“, so Ferdinand. Andere Eltern fahren die Kinder laut ihm nicht direkt an die Schule – die Straße ist recht eng.

Julia Alvino hat heute einiges zu tun: Sie spielt Elterntaxi.
Julia Alvino hat heute einiges zu tun: Sie spielt Elterntaxi. | Bild: Benjamin Schmidt

Julia Alvino hat sich dennoch in die Wendelgardstraße gewagt. Heute hat sie gut zu tun: „Ich habe gerade meine Tochter hier an der Schule abgeliefert.“ Dann geht es weiter zur Grundschule in Fischbach – ihr anderes Kind lernt dort. Dann muss Alvino zunächst arbeiten – bis es nach dem Unterricht wieder zurückgeht, um die Töchter einzusammeln.

Schüler gehen morgens in die Gemeinschaftsschule Graf Soden in Friedrichshafen.
Schüler gehen morgens in die Gemeinschaftsschule Graf Soden in Friedrichshafen. | Bild: Cuko, Katy

7.30 Uhr: An der Gemeinschaftsschule Graf Soden trudeln nach und nach die Schüler ein. Auf den ersten Blick sieht es vor dem Haupteingang aus wie immer. Hinter der Lärmschutzwand zum Bodenseecenter herrscht dafür auf dem Parkplatz reger Verkehr. Ein Auto nach dem anderen hält kurz an. Es ist immer dasselbe: Die Beifahrertür geht auf, ein Kind oder ein Teenager mit Schultasche steigt aus. Das Auto fährt weiter.

Lieber kein Risiko eingehen

Auch Ceyda Vincic ist an diesem Morgen so etwas wie ein Elterntaxi. Sie bringt ihre Nichte Mira zur Schule, die sonst in den Neuner-Stadtbus steigt. „Ich weiß nicht, ob der Bus gefahren ist oder nicht. Aber wir wollten kein Risiko eingehen, damit das Mädel pünktlich in die Schule kommt“, sagt sie.

Die Schilder für die angekündigte Sperrung stehen bereits, doch noch fließt der Verkehr. Auf der B31 läuft alles noch glatt.
Die Schilder für die angekündigte Sperrung stehen bereits, doch noch fließt der Verkehr. Auf der B31 läuft alles noch glatt. | Bild: Benjamin Schmidt

7.40 Uhr auf der B31 zwischen Kressbronn und Eriskirch. Für diesen Streckenabschnitt hatte das Regierungspräsidium Tübingen (RP) ab dem heutigen Montag eine zehnwöchige halbseitige Sperrung wegen Bauarbeiten angekündigt. Schlechtes Timing, könnte man sagen. Eine Sperrung während des Streiks könnte für zusätzliches Chaos sorgen. Doch siehe da: Straßenschilder kündigen die Maßnahme zwar an – doch noch fließt der Verkehr. Erst gut zwei Stunden später wird hier laut RP die Sperrung aktiviert sein, wie der SÜDKURIER später erfahrt.

Fast menschenleer ist der Hafenbahnhof in Friedrichshafen.
Fast menschenleer ist der Hafenbahnhof in Friedrichshafen. | Bild: Cuko, Katy

7.45: Gähnende Leere am Hafenbahnhof. Auf der großen Anzeigetafel läuft in Dauerschleife der Hinweis auf den Streik. Nur die Abfahrtszeiten des Katamaran stehen auf dem Display, mehr nicht.

Eine Seniorin schaut hilfesuchend um sich. „Wissen Sie, ob noch ein Bus kommt?“, fragt sie. Sie habe um 10.30 Uhr einen Termin im Ärztehaus am Klinikum. „Ich dachte, irgendeiner fährt bestimmt.“

Kommt mit dem Bus nicht zur Arbeit: Cztella Sulj aus Friedrichshafen.
Kommt mit dem Bus nicht zur Arbeit: Cztella Sulj aus Friedrichshafen. | Bild: Cuko, Katy

Cztella Sulj erklärt der Frau, dass wohl keiner kommt. „Dann muss ich ja mit dem Taxi fahren. Das wird teuer“, sagt sie resignierend. Auch die junge Erzieherin kommt vorerst nicht weg. Sie habe erst am Wochenende davon gehört, dass heute gestreikt wird. Sie und ihr Freund, der sich in der Berufsschule in Ravensburg schon abgemeldet hat, sind die einzigen, die am Hafenbahnhof stehen.

Wenig los am Stadtbahnhof

Auch der Bus der Stadtlinie 5 kommt nicht. Sie telefoniert mit ihrer Chefin im Kindergarten Allmannsweiler. Die ruft wenig später zurück und kündigt an, sie selbst mit dem Auto abzuholen. „Ich finde diesen Streik absolut nicht gut“, sagt Cztella Sulj.

Marco Schof arbeitet an der Sanierung des Friedrichshafener Stadtbahnhofs. Für ihn bedeutet der Streik: In Ruhe arbeiten.
Marco Schof arbeitet an der Sanierung des Friedrichshafener Stadtbahnhofs. Für ihn bedeutet der Streik: In Ruhe arbeiten. | Bild: Benjamin Schmidt

8.30 Uhr: Zurück am Stadtbahnhof Friedrichshafen. Adrian Egger ist nicht mehr zu sehen. Wie es scheint, ist er irgendwie losgekommen. Es ist wenig los vor Ort, keine Züge, keine Busse, kaum wartende Fahrgäste. Nur einige Bauarbeiter sind beschäftigt, sie sanieren die Bahnsteige. Marco Schof ist einer von ihnen. So ganz übel findet er der Streik nicht, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Endlich kann ich hier mal in Ruhe arbeiten.“

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