Es war an einem Donnerstag im Oktober, kurz vor 7 Uhr, als der Lehrer Christian Jansen (47) aus Bambergen in der Dämmerung mit seinem flotten Rennrad wieder einmal nach Stockach unterwegs war – wie jeden Tag. Für Jansen eine gewohnte Strecke von knapp 20 Kilometern, die er sommers wie winters gerne im Sattel zurücklegt. Es ist für ihn reine Routine: Am Dorfgemeinschaftshaus vorbei auf die Kreisstraße in Richtung Owingen, durch das Billafinger Tal nach Mahlspüren und Winterspüren, um pünktlich zum Unterricht an der Nellenburgschule anzukommen. „Erstens ist es gesund, zweitens ist es mein kleiner Beitrag zum Klimaschutz“, sagt Jansen, der als leidenschaftlicher Radler pro Jahr „an die 10.000 Kilometer“ zurücklegt, wie er sagt.
An diesem Morgen ist allerdings schon nach weniger als einem Kilometer auf der Kreisstraße 7771 Schluss. „Es war noch dunkel“, erzählt Jansen, „ich hatte eine rote Jacke an, einen gelben Rucksack auf und Licht am Fahrrad.“ Nach einigen Minuten nahm er hinter sich das Licht eines Autos wahr, das langsam näher kam. Zu nah, denn mit Schrecken wurde Jansen noch bewusst, dass das Auto ihn rammte und ihn auf die Motorhaube nahm. Er flog einige Meter durch die Luft flog und blieb neben dem demolierten Rennrad auf der Straße liegen.
Frontscheibe durch Atemluft teilweise beschlagen
Nicht minder erschrocken war der Fahrer des Autos: Raphael Schwaier (36), ebenfalls aus Bambergen. Er hatte sich kurz nach Jansen in seinem Peugeot auf den Weg Richtung Sigmaringen gemacht. „Als ich losfuhr, hatte ich völlig freie Sicht“, erinnert sich der Psychologe. Doch nach einigen hundert Metern war die Frontscheibe durch die Atemluft am Rand teilweise beschlagen. „Dann kam Gegenverkehr und ich konzentrierte mich auf die Fahrbahnmitte und das entgegenkommende Auto“, sagt Schwaier. Den radelnden Jansen habe er nicht gesehen – bis zur Kollision.
Nachdem er ausgestiegen war, sollte Raphael Schwaier ein noch größerer Schreck in die Glieder fahren. Als er sich um den Verletzten kümmerte, erkannte er seinen Hausnachbarn aus Bambergen, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Schnell wählte mit dem Handy den Notruf, wenige Minuten später war Hilfe da.
Mentale Folgen bei beiden Beteiligten
Glück im Unglück hatten rückblickend beide. „Ich hatte wohl das Glück, von einem weicheren Teil der Motorhaube erwischt zu werden“, rekonstruiert Christian Jansen. „Sonst wäre es wesentlich schlimmer ausgegangen“, ist er überzeugt. Knochenbrüche oder gar Lähmungen erlitt Jansen nicht. An einer Wirbelkompression im Brustbereich laboriert der Radler allerdings nach wie vor und versucht sich bei Spaziergängen auch mental zu erholen.
Glück hatte auch Raphael Schwaier, dass er sich einem verständnisvollen Unfallopfer gegenüber sieht. Auch ihm macht die Kollision einige Wochen danach psychisch noch mächtig zu schaffen. Umso mehr, als er an dem verhängnisvollen Tag eine Verkettung unglücklicher Umstände erkennt. Zu seiner Arbeitsstelle in Sigmaringen fährt Schwaier in der Regel nämlich mit dem Regiobus. „An diesem Morgen hat der Wecker nicht funktioniert“, sagt er, „und ich bin zu spät aufgewacht.“ Nur deshalb habe er überhaupt das Auto genommen.
Als weiteren unglücklichen Zufall sieht er, dass ausgerechnet an der besagten Stelle die Scheinwerfer eines Gegenverkehrs seine Aufmerksamkeit gefordert habe und er deshalb seinen radelnden Nachbarn übersah. Seit dem Unfall fährt Raphael Schwaier nur noch Bus. „Nur einige kurze Strecken bin ich bisher wieder Auto gefahren, um mich daran zu gewöhnen“, betont er und freut sich, dass Christian Jansen keinerlei Schuldvorwürfe macht.
Sehen und gesehen werden
Den Unfall nehmen beide zum Anlass, um gemeinsam an Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer an die Gefahren in der dunklen Jahreszeit zu erinnern. „Es ist ganz wichtig, nicht nur das erforderliche Licht am Fahrrad zu haben“, appelliert Christian Jansen. „Man sollte unbedingt auch helle Kleidung tragen, am besten in Leuchtfarben oder mit Reflektoren.“ Ihn hat allerdings beides nicht vor dem Unfall bewahrt.
Deshalb mahnt Raphael Schwaier alle Autofahrer, im Herbst und Winter zu noch mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt, insbesondere was die freie Rundumsicht angeht. „Obwohl ich die Lüftung voll eingeschaltet hatte, war die Sicht bei mir noch deutlich eingeschränkt“, räumt er rückblickend ein. „Ich bin sehr dankbar, dass mir Christian keine Schuldvorwürfe macht“, sagt Schwaier: „Das erleichtert vieles.“
Froh sind beide, dass nach vielen Jahren des Wartens endlich ein Radweg zwischen Bambergen und Owingen realisiert werden kann. Auch wenn er durch das Auental führen wird.
