Die Menschen in Taisersdorf haben die Flugzeugkatastrophe am Himmel über dem westlichen Bodensee und den Absturz der DHL-Frachtmaschine am 1. Juli 2002 hautnah erlebt. Ohne großes Aufhebens gedenken sie Jahr für Jahr des dramatischen Unglücks, der beiden Opfer vor der eigenen Haustür und der Tatsache, dass sie mit viel Glück vor eigenen Schäden bewahrt geblieben sind. In der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen sie allerdings in der zweiten Reihe gegenüber den 69 Toten der Maschine aus Baschkortostan.
Die Taisersdorfer waren dicht dran am dramatischen Geschehen
Still und leise pflegen die Einheimischen seit 20 Jahren die unauffällige Gedenkstätte am Waldrand, auf die ein kleines Schild am Straßenrand verweist. „Das geschieht geradezu heimlich“, beschreibt es Angelika Thiel, die von 2007 bis 2019 Ortsvorsteherin des Owinger Teilorts war und viele Gedenkfeiern mitgestaltete. Genau genommen liegt die Absturzstelle zwar auf der Gemarkung des benachbarten Hohenbodman, doch die Menschen in Taisersdorf waren wesentlich dichter dran an dem dramatischen Geschehen.
Den Bürgern sei dieser Ort der Erinnerung daher sehr wichtig, sagt Thiel. „Doch sie wollen, so vermute ich, auf keinen Fall den Anschein erwecken, sich selbst damit in den Vordergrund spielen zu wollen.“

Dankbarkeit, verschont geblieben zu sein
Die Dankbarkeit, selbst um Haaresbreite verschont geblieben zu sein, ist bis heute enorm präsent. Mit einer gemeinsamen Andacht an einem kleinen improvisierten Altar bringen die Taisersdorfer dies jährlich am 1. Juli zum Ausdruck. Wer sich von Owingen her dem Teilort nähert, dem wird schnell klar, warum. Wenige hundert Meter hinter dem Bauernhof Happenmühle und nicht weit vor dem Dorf befindet sich unmittelbar neben der Kreisstraße das winzige Wäldchen, in dem sich die Frachtmaschine tief in den Untergrund bohrte.
Haben die Piloten die letzten Steuerungsmöglichkeiten genutzt?
„Wir haben das Heulen in der Luft gehört und danach vom Garten aus das Feuer in der Luft gesehen“, erinnerte sich Angelika Thiel an das Unglück, als sei es gestern geschehen. „Doch bald kehrte eine geradezu gespenstische Stille ein.“
Ja, lange kursierten verschiedene Hypothesen darüber, wie die letzten Sekunden des Absturzes der DHL-Frachtmaschine abgelaufen sein könnten. Am Abend des 1. Juli 2002 waren das DHL-Frachtflugzeug und der Bashkirian-Airlines-Flug 2937 über Owingen zusammengestoßen. Nicht glauben wollend, dass sie das Überleben nur dem Zufall verdankten, gingen manche Taisersdorfer gern davon aus, dass die beiden Piloten die letzten Steuerungsmöglichkeiten genutzt hätten, ihre Maschine über die Gebäude hinweg in das kleine Wäldchen zu manövrieren. „Für sie sind die beiden Piloten der Frachtmaschine zu wahren Helden geworden.“
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Die Narbe ist nicht zu übersehen
Zwei Fotos am Gedenkstein erinnern an die beiden Toten, denen die Angehörigen eine persönliche Widmung angebracht haben. Auf der anderen Seite liegt eine einzelne riesige Edelstahlkugel, die quasi eine Verbindung zur großen Installation der Künstlerin Andrea Zaumseil in Brachenreuthe herstellt. Die große Wunde am Waldrand ist nach 20 Jahren teilweise zugewachsen, die Narbe jedoch nicht zu übersehen, die das Unglück hinterlassen hat.

In den Anfangsjahren kamen auch belgische Kollegen der beiden beim Absturz getöteten Piloten, selbst leidenschaftliche Motorradfahrer, mit ihren Maschinen zu den Gedenkfeiern, die bis heute regelmäßig organisiert werden – während des Corona-Lockdowns allerdings nur in sehr kleinem Kreis. Zelebriert wird die Feier vom Pfarrer aus Großschönach, dem Taisersdorf kirchlich angegliedert ist. In den Anfangsjahren war dies Meinrad Huber, seit 2017 auch Josef Maurer, die beide immer wieder einen neuen Zugang zu dem Geschehen suchten und zu vermitteln versuchten.

Paul Phillips war zum dritten Mal Vater geworden
Im Mittelpunkt stehen stets die Persönlichkeiten der beiden Piloten Paul Phillips und Brant Campioni, die „durch ihre unvorstellbare Tapferkeit Menschenleben retteten“, wie es Pfarrer Meinrad Huber bei der Gedenkfeier 2010 in Worte fasste. Ortsvorsteherin Angelika Thiel charakterisierte später die beiden Menschen und brachte sie den Teilnehmern näher. „Flugzeugkapitän Phillips, ein guter Gastgeber, leidenschaftlicher Koch und begeisterter Gärtner, hatte wenige Tage vor seinem Tod den 47. Geburtstag gefeiert und war zum dritten Mal Vater geworden“, berichtete Thiel.

Brant Campioni hatte im Februar 2002 geheiratet
„Co-Pilot Campioni hatte im Februar 2002 seine Frau Deneen standesamtlich geheiratet. Die Hochzeitsfeier sollte im September stattfinden. Doch dazu kam es nicht mehr.“ Brant Campioni, der im Alter von 34 Jahren starb, liebte das Wandern und Klettern, Tennis und Schwimmen. Er wurde in Amerika bestattet. Papierboote, beladen mit brennenden Kerzen, wurden auf einen Fluss gesetzt, berichtete die Ortsvorsteherin bei einer der Gedenkfeiern: „Die Flammen spiegelten sich auf der Oberfläche, als sich die Asche Brants im Wasser verteilte.“