Wenn an den ersten warmen Abenden, die der Frühling bringt, Alt und Jung hinausströmt, so schreibt Alfred Brehm in seinem „Tierleben im Band 6 über Insektenfresser und Nagetiere“, dann sei im Gebüsch mitunter Lärmen zu hören – weil sich dort ein „kleiner, kugelrunder Bursche“ aus dem Laub herausarbeite.
Igel überwintern in Nebengebäude des Kehlhofs
Scharren, Schnuppern, Trippeln und Rascheln war jüngst auch in einem Nebengebäude des Bermatinger Kehlshofs laut geworden. Denn dort hat die Igelnothilfe des Markdorfer Tierschutzvereins gut 30 dieser „kugelrunden Burschen“ untergebracht. Kugelrund waren die kleinen, stacheligen Gesellen aber keineswegs, als sie in die Obhut der Igelretter kamen.
Tiere kamen stark unterernährt oder verletzt ins Winterquartier
„Die meisten waren stark unterernährt“, berichtet Helga Weißkopf. Sie betreibt im Auftrag des Tierschutzvereins Markdorf in Ahausen eine Igel-Pflegestation. Hier päppelt sie nicht nur die regelmäßig im Herbst unter Nahrungsmangel leidenden stacheligen Säuger auf, sondern versorgt auch jene Igel, die von Hunden gebissen wurden oder schlimmer Wunden durch Klingen von Mährobotern haben.
Nadine Kolb fand 2019 einen verhungerten Igel in ihrem Garten
Der Igel, den Nadine Kolb im vergangenen Jahr in ihrem Garten entdeckte, hatte keine Verletzungen. Aber er war tot. Und sie wollte wissen, woran er gestorben ist. „Eigentlich sah er ja noch ganz gesund aus“, erinnert sich Nadine Kolb. Sie brachte das tote Tier zu Helga Weißkopf, die sehr schnell Tod durch Verhungern diagnostizierte. Weißkopf erklärt: „In unseren aufgeräumten Gärten finden die Tiere einfach nicht mehr genug zu fressen.“

Nicht nur in Gärten, auch in der freien Landschaft immer weniger Rückzugsräume
Nadine Kolb ergänzt, dass die Aufgeräumtheit der Gärten, das Fehlen von Rückzugsräumen unter Steinhaufen, im Wurzelwerk und unter dichtem Laub, sich auch außerhalb der Gärten fortsetzt. Eine durchökonomisierte Landwirtschaft, eine an Ordnung und Reinlichkeit orientierte Landschaftspflege lasse kaum noch Schlupfwinkel offen. Dass Igel unter Naturschutz stehen, nütze ihnen wenig, wenn ihnen ihre natürlichen Lebensräume fehlen.
Gesunde, wohlgenährte Igel können in freier Natur überwintern
„Die Folgen sind klar“, erklärt Helga Weißkopf: „Wir müssen immer mehr unterernährte Igel über den Winter bringen.“ So lange sie gesund und wohlgenährt sind, können Igel in freier Natur überwintern. Nur die angeschlagenen Tiere brauchen Hilfe. Aber es würden von Jahr zu Jahr mehr hilfsbedürftige Igel, beobachte der Tierschutzverein. „Darum haben wir auch schon seit Längerem nach Unterstellplätzen gesucht.“
Tierärztin und Gemeinderätin Angelika Bernhardt-Welte setzte sich für Winterquartier ein
Wolf Manes, der sich für die Igel-Hilfe engagiert, erklärt, dass es ein Glücksfall gewesen sei, dass die Tierärztin Angelika Bernhardt-Welte vergangenes Jahr in den Bermatinger Gemeinderat gewählt wurde. Die Tierärztin habe sich dafür eingesetzt, dass die Igel im Nebengebäude des Kehlhofs ein Winterquartier bekommen.

Nicole Kolb betreute das Winterquartier, angeleitet von Helga Weißkopf
Nicole Kolb betreute die Tiere im Winterquartier. Sie erzählt: „Ich wurde regelrecht ins kalte Wasser geworfen.“ Denn Helga Weißkopf habe ihr nicht nur erklärt, woran der Igel aus ihrem Garten gestorben ist, sondern ihr gleich die Verantwortung übertragen, die 30 Kehlhof-Igel zu betreuen. „Zu Beginn des Winters war schon etwas mehr Arbeit – solange noch nicht alle Tiere in den Winterschlaf gefallen waren.“ Recht bald aber reduzierte sich das Nachschauen, neu Einstreuen, Wassergeben und Kot-Entfernen aus den Gehegen auf 20 Minuten pro Besuch. Dabei wurde Nicole Kolb regelmäßig von ihren kleinen Töchtern begleitet.
Wintergäste werden bei Gartenbesitzern ausgewildert
Inzwischen sind die Tiere über den Winter und werden ausgewildert. Helga Weißkopf erklärt: „Sie kommen zu Leuten mit einem eigenen Garten.“ Zwei Voraussetzungen müssen dabei erfüllt werden: Die Gärten müssen naturnah sein, sodass sie Igeln Rückzugsräume bieten, und die Grundstücke sollten nicht in der Nähe einer stärker befahrenen Straße liegen.