Heike Gumsheimer

Frau Weisskopf, seit 2015 kümmern Sie sich intensiv um verletzte, kranke und zu kleine Igel. Wie kam es dazu?

Schon in meiner alten Heimat in Nordrhein-Westfalen habe ich eine Zeit lang Igel gepflegt, aber dann über zehn Jahre nicht mehr, bis zu diesem Dezembertag 2015, als unser Hund Jamie einen kleinen Igel im Gras vor unserem Balkon fand. Wir brachten ihn zum Tierarzt, der hätte ihn allerdings abgeschrieben. Ich wollte das nicht akzeptieren, ich wollte nicht glauben, dass das kleine Wesen sterben sollte. Also haben mein Mann und ich ihn dann aufgepäppelt und im Mai 2016 konnten wir ein gesundes Igelweibchen auswildern. Das hat sich herumgesprochen. Seither kümmere ich mich um kleine, große, kranke und verletzte Igel.

Sind Sie mit Tieren aufgewachsen?

Ja, tatsächlich bin ich mit Tieren aufgewachsen. Mein Vater hat nebenher in der Landwirtschaft mitgearbeitet, da hatte ich immer Berührungspunkte. Und meine Mutter hatte immer Tiere zu Hause. Geflügel, Kaninchen, ich bin da so reingerutscht. Seit ich sechs Jahre alt war, hatten wir einen Hund und ich war 30 Jahre im Reitsport aktiv. Anfangs bin ich auch Turniere geritten, aber das war nie wirklich mein Ding. Ich hatte viel mehr Spaß am spielerischen Umgang mit den Pferden, das Einfühlen in die Tiere war mir immer wichtig. Irgendwann bin ich dann auf die Trainingsmethode des Tellington Ttouch gestoßen, das kam meinem Gefühl, wie ich mit Tieren umgehen möchte, am nächsten.

Um was geht es bei dieser Methode des Tellington Ttouch?

Es ist eine gewaltfreie Ausbildungsmethode, die Pferde als individuelle Persönlichkeiten respektiert. Es geht dabei viel um Berührung, um die Tiere unempfindlicher gegen äußere Reize zu machen. Die Trainingsmethode sorgt für körperliche und emotionale Ausgeglichenheit bei den Tieren. Ich wurde damals immer ausgelacht, weil ich vor allem mit den Pferden herumgespielt habe. Und heute zahlen Leute, die diese Methode mit ihren Pferden praktizieren möchten, richtig viel Geld. Die Methode wurde auch auf andere Tiere ausgeweitet, auf Hunde und Kleintiere. Was mich angeht, so hat diese Art des Umgangs mit den Tieren ganz viel in meinem Leben verändert.

Wie beeinflussen die Tiere Ihr Leben? Was hat sich verändert?

Wir ordnen unser Leben schon sehr stark den Bedürfnissen der Tiere unter. Aber das ist völlig in Ordnung. Ich habe mich viele Jahre lang ausgetobt. Ich war viel Motorradfahren, habe Kampfsport gemacht. Die Tiere sind jetzt unsere Familie und ehrlich gesagt kann mir kein Urlaub das bieten, was mir die Tiere bieten. Wir sitzen oft da und beobachten sie, da komme ich zur Ruhe und kann durchatmen. Und wenn man weiß wie, dann kann man sogar ein bisschen mit Igeln kuscheln.

Helga Weisskopf (links) erzählt SÜDKURIER-Mitarbeiterin Heike Gumsheimer, dass sie derzeit allein rund 30 Igel aufpäppelt. In den ...
Helga Weisskopf (links) erzählt SÜDKURIER-Mitarbeiterin Heike Gumsheimer, dass sie derzeit allein rund 30 Igel aufpäppelt. In den verschiedenen Pflegestellen sind aber noch viel mehr Igel untergebracht. | Bild: Heike Gumsheimer

Können Igel ihre Zuneigung oder eine Art Dankbarkeit zeigen? Oder woraus ziehen Sie Ihre Motivation für Ihr Engagement?

Ich würde sagen, ja! Sie zeigen ihre Zuneigung, ihre Beziehung. Draußen habe ich eine kleine Hütte, da habe ich vergangene Woche gegen die Tür geklopft und gerufen „Toni, rauskommen!“ und dann spazierte die ganze kleine sechsköpfige Igelmannschaft aus der Hütte. Das machen sie aber nur bei mir, nicht mal mein Mann schafft das. Und darüber freue ich mich. Oder wenn ich einen Igel auf dem Arm habe, bleibt er völlig entspannt, er rollt sich nicht zusammen, nicht einmal, wenn ich ihn anpuste. Das tun Igel aber normalerweise sofort, wenn sie Gefahr wittern. Ich glaube einfach, ich habe eine besondere Verbindung zu Tieren.

Warum gerade Igel? Was fasziniert Sie an diesen kleinen stacheligen Tieren?

Ich glaube, es ist ihr ganzes Wesen. Sie holen sich Hilfe, wenn sie sie brauchen, haben sich aber ansonsten ihre Wildheit bewahrt.

Wie muss ich mir das vorstellen? Wie können sich Igel Hilfe holen?

Die Igel, die wir wieder auswildern, markieren wir mit Nagellack ganz unauffällig, aber für uns erkennbar. Vor einigen Monaten hat eine Pflegerin ein gesundes Tier in die Freiheit entlassen. Igel haben einen großen Bewegungsradius, die gehen schon mal zwei bis drei Kilometer weit auf Futtersuche. Einige Wochen später lag dieser Igel wieder vor unserer Garage, auf die Hälfte abgemagert. Das meine ich mit Hilfe holen. Der Igel fand den Weg zurück.

Wie schaffen Sie es, diese Arbeit in Ihren Alltag zu integrieren?

Ich mache das zu 100 Prozent ehrenamtlich. Aber es ist nicht nur die viele Arbeit mit den Tieren, ich gebe Beratung am Telefon, ich bin hier in Ahausen Erstaufnahmestelle, ich behandle die Tiere, ich bringe sie zum Tierarzt und ich mache Spendenwerbung. Ich halte Vorträge und bin mit Informationsständen an Schulen und Kindergärten. Außerdem koordiniere ich mittlerweile um die 15 freiwilligen Helfer, die mich in unterschiedlicher Art unterstützen. Das Material, das wir brauchen – Futter, Wärmematten, Spritzen, Infusionslösungen und vieles mehr – finanzieren wir über Vereins-, Privat- und Sachspenden.

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Teilt Ihr Mann Ihre Tierliebe und trägt er sie mit?

Ja, absolut. Er sagt immer, er sei nur mein Azubi. Nein, im Ernst. Er unterstützt mich und hilft, wo und wann er kann. Aber er arbeitet Vollzeit und betreibt auch noch eine kleine, eigene Firma im Bereich Motorsteuergeräte und Softwareentwicklung. Dafür mache ich ihm die Buchhaltung.

Wenn Sie irgendwann noch ein bisschen Zeit für sich finden, was tun Sie dann gerne in Ihrer Freizeit?

Also wenn ich Zeit habe, dann bastle ich Schmuck. Airbrush würde mich interessieren, das will ich demnächst mal ausprobieren. Und grundsätzlich bin ich offen für Neues.

Gibt es Menschen in Ihrem Umfeld, die kritisch auf Ihr Engagement reagieren?

Einige halten mich für durchgeknallt, aber das ist mir egal. Ansonsten reagieren Menschen, die mir nah stehen, eher mit Sorge, dass ich mich nicht übernehmen solle. Aber ich tue das was ich tue, weil es mir in der Seele weh tut, wie zum Teil mit den Tieren umgegangen wird. Man lässt ihnen kaum mehr Raum zum Leben. Und ich tue es, weil es sonst keiner tut. Es ist einfach eine Herzensliebe zu Tieren, die mich antreibt.

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