Man dreht die Heizung auf und spürt den Bodensee – oder immerhin seine Wärme. Das ist die Idee der Seethermie oder Seewärme, für die sich spätestens seit der Energiekrise viele Gemeinden am Bodensee interessieren. Langenargen ist eine davon. Claus Hartmann, Sanierungsmanager vor Ort, hat dem SÜDKURIER erklärt, wie die Bevölkerung mit Seewasser ihre Gebäude heizen könnte.
Zwei Kreisläufe
In aller Kürze: Die Wärme des Wassers wird beim Verfahren unter Zugabe elektrischer Energie auf eine angenehme Temperatur gebracht. So ist Heizen möglich. Zwei Kreisläufe aus Leitungen spielen im Prozess eine Rolle: In einem befindet sich Seewasser, im zweiten ein Kältemittel. Experte Hartmann: „Es gibt eine Entnahmestelle in der Tiefe des Sees. Dort saugen wir Wasser an, dass dann in seiner Leitung zu einem Wärmetauscher fließt.“
Das Wasser wird aus 20 bis 40 Metern Tiefe entnommen, wo es eine vergleichsweise konstante Temperatur zwischen vier und acht Grad hat. Im Wärmetauscher läuft es am Kältemittel vorbei – dieses liegt im zweiten Kreislauf. Die Wärme des Wassers wird hier auf das Kältemittel übertragen, wodurch dieses verdampft. Die beiden Substanzen vermischen sich nicht im Verfahren. Das abgekühlte Wasser wird wieder in den See geleitet.

Die gewonnene Wärme fließt weiter zu einer großen Wärmepumpe. Dort wird das verdampfte Kältemittel unter Einsatz von elektrischer Energie zusammengepresst und verdichtet. Dadurch erhöhen sich Temperatur und Druck. Die dadurch entstehende Wärme wird dann erneut in einen Wärmetauscher übertragen – und gelangt über ein Nahwärmenetz in die angeschlossenen Häuser und Wohnungen.
Experte Hartmann ist überzeugt vom Verfahren: „Das Sympathische daran ist, dass ich durch Zuführung von einem Kilowatt Strom im Endeffekt vier bis fünf Kilowatt Wärme bekomme.“ Wärmepumpen seien also sehr effizient – weshalb Langenargen so interessiert an der Seethermie sei. Besonders umweltfreundlich werde das Ganze, wenn bei den Pumpen Ökostrom verwendet werde.
Das Beispiel Langenargen
In der Bodenseegemeinde könnte der Seewärme-Kreislauf seinen Anfang knapp nordwestlich von Schloss Montfort nehmen. Hier ist in einem Konzept von 2022 eine Entnahmestelle für Seewasser angedacht. Von dort aus würde Wärme zu einer großen Heizzentrale geleitet, von wo aus sie die Haushalte erreicht.
Weiterhin werden Speicher benötigt, von denen aus die gewonnene Wärme nach Bedarf an die Gebäude verteilt wird. „Sie kann nicht so schnell erzeugt werden, wie sie von den Abnehmern teilweise genutzt wird“, erklärt Hartmann. Es müsse also Pufferräume geben, in denen die Wärme zwischengelagert werde. All das zu umzusetzen, wird viel Geld kosten und lange dauern.
„Wir sprechen da schon über richtigen Tiefbau, wie wenn Breitband verlegt wird“, sagt Claus Hartmann über den Bau der nötigen Leitungen und fügt an: „Da wird wirklich durch das Dorf gegraben.“ Das „Generationenprojekt“, wie er es nennt, werde einige Jahre in Anspruch nehmen – aber die Vorteile lägen auf der Hand. Doch ist das Verfahren auch gut für den See?
Dem See kommt das gelegen
Über diese Frage hat Thomas Wolf vom Institut für Seenforschung mit dem SÜDKURIER gesprochen. Zunächst, sagt er, müsse natürlich jedes Seethermie-Projekt so gestaltet werden, dass die Veränderungen am See möglichst gering gehalten werden und den Bodenseerichtlinien der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee entsprechen. Dass die Seewasserentnahme großen Einfluss auf die Temperatur des Bodensees haben kann, hält er aber für unwahrscheinlich.
Selbst wenn der Bodensee durch die Seethermie abkühlen würde, wäre das womöglich gar nicht schlecht: Als Gegenwirkung zur Erwärmung des Sees durch den Klimawandel. Claus Hartmann spricht in diesem Zusammenhang von einem „Synergieeffekt“, zu dem es laut Thomas Wolf aber letztlich nicht kommen werde. „So viele Projekte sind nicht in Planung, dass man da signifikant dem Klimawandel entgegenwirken könnte“, betont er. Zu einer Verunreinigung des Sees könnte es dadurch, dass nur Wasser in den See zurückgeleitet wird, im Grunde nicht kommen.
Das klingt vielversprechend. Während Seewasser in Deutschland bislang nur zur Kühlung von Gebäuden, etwa der Universität Konstanz, genutzt wird, ist die Schweiz im Vorsprung. Hier laufen bereits einige Projekte mit Seewärme. Wann in Deutschland die ersten Häuser den See als Heizung nutzen können, hängt wohl von der Finanzierbarkeit ab – und selbst, wenn diese geklärt ist, wird der Bau wohl dauern.