Geht es nach Ole Münder und Robert Scherer, werden zwei Bodensee-Gemeinden bald zu Pionieren. Denn die beiden Bürgermeister, der eine von Langenargen, der andere von Meersburg, wollen ihre Orte unabhängiger machen von russischem Gas – aber auch von Saudi-Arabien, Kuwait oder den USA. Und die Chancen, dass sie das schaffen, stehen derzeit gar nicht so schlecht.
Prinzip ist technisch klar
Rein technisch betrachtet ist der Weg von Münder und Scherer bereits vorgeben: Der Schlüssel für mehr Autarkie liegt im Prinzip der Seewärme, auch Seethermie genannt. Dabei wird aus 20 bis 50 Metern Tiefe Bodensee-Wasser abgepumpt, das ganzjährig zwischen vier und zehn Grad warm ist. Dank Wärmetauschern lässt sich das Wasser im Sommer zur Kühlung nutzen, im Winter – noch etwas mit Strom aufgewärmt – zum Heizen.

Sowohl in Langenargen als auch Meersburg hatten sich die Verantwortlichen schon vor Jahren mit dem Prinzip befasst. Die Schloss-Montfort-Gemeinde interessierte sich erstmals im Jahr 2016 mit der Angelegenheit, Meersburg laut Bürgermeister Scherer im Folgejahr.
Doch angesichts damals sehr niedriger Energiepreise – und auch wegen der Pandemie – blieben die Konzepte größtenteils in den Anfängen stecken. Meersburg ließ zwar noch im Jahr 2021 eine Potenzial-Analyse erstellen, sprich darüber, in welchem Umfang die Seethermie in der Gemeinde genutzt werden kann. Nun aber steht die Idee unter ganz anderen Vorzeichen. Hintergrund sind der Ukraine-Krieg und die Energiekosten. Langenargens Bürgermeister Ole Münder: „Seit drei Monaten wird mit einem ganz anderen Impetus über das Thema diskutiert.“
Seewärme statt Solarpanels?
Ähnlich sieht es auch Robert Scherer aus Meersburg. „Ich sehe darin ein Prinzip, für das wir die Menschen unserer Kommune begeistern können.“ Solarpanels an den historischen Gebäuden seiner Altstadt sieht er da schon kritischer. „Man muss die Leute mitnehmen bei Veränderungen.“ Das gehe mit Seewärme leichter als dunklen Platten auf historischer Bausubstanz.

Da sie ähnliche Ziele verfolgen, haben sich die beiden parteilosen Bürgermeister zusammengefunden und wollen nun bei der Organisation ihrer Vorhaben kooperieren: mit erstem Erfolg, wie es scheint. Zum Austausch mit den beiden in Langenargen am vergangenen Montag kamen Andre Baumann (Grüne), Staatssekretär im Umweltministerium des Landes, sowie der Landtagsabgeordnete Martin Hahn (Grüne). Thema des Gesprächs: Wie kommen die kleinen Kommunen an ausreichend Mittel, um ihr Vorhaben zu realisieren? Denn eines ist klar: Alleine tragen können sie die Kosten eines solchen Ausbaus nicht.
Zahlreiche Anschlüsse für Haushalte
Ole Münder etwa rechnet vor: „Um 400 Anschlüsse für Haushalte zu schaffen, brauchen wir geschätzt zehn Millionen Euro.“ Die Marke von 400 bräuchte es in etwa, damit sich laut Münder die Investition rechnet. Doch zehn Millionen sind viel Geld. Zum Vergleich: Der Jahreshaushalt der Gemeinde beträgt gut 27 Millionen Euro. Anvisiert ist derzeit sogar, dass im Endausbau etwa 800 Haushalte angeschlossen werden könnten: 24.000 Megawattstunden (MWh) soll die Anlage pro Jahr einmal liefern. 5300 Haushalte hat Langenargen insgesamt.

In einem ähnlichen Umfang kalkuliert auch Meersburg. In Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2021 beträgt die Energiemenge im größtmöglichen Ausbau-Szenario 23.500 Megawattstunden, wobei den größten Energiebedarf die Therme der Gemeinde mit 2800 Megawattstunden jährlich hätte. Wie viele Anschlüsse letztlich geschaffen werden, ist aber laut Bürgermeister Scherer noch nicht entschieden.

Es gibt noch Unklarheiten
Doch nicht nur der Umfang der jeweiligen Ausbauten ist unklar. Auch auf der Kostenseite könnte es noch Veränderungen geben. Denn angesichts steigender Preise für Baumaterial könnten die nötigen Investitionssummen steigen. Allerdings, da sind sich die beiden Bürgermeister sicher, rechnen sich die Anlagen im Laufe der Zeit. Auch von anderer Seite könnte es noch Schwierigkeiten geben: Die sogenannte Quaggamuschel, die im Bodensee heimisch ist, könnte den Betrieb solcher Anlagen erschweren. Sie besetzt technisches Gerät im Wasser, erschwert dessen Betrieb.
Mit ihrem Ziel, die Wärmeversorgung regional zu schaffen, befinden sich die Gemeinden auf Linie mit der Landespolitik. „Wir haben uns lange auf dem russischen Bärenfell ausgeruht“, so Staatssekretär Andre Baumann. „Das Fell ist jetzt weg.“ Zudem wolle Baden-Württemberg bis zum Jahr 2040 klimaneutral werden. Der Landtagsabgeordnete Martin Hahn ergänzte beim Treffen: „Gut 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Region entfallen auf Wärme und Kühlung.“ Seine Angabe deckt sich mit denen des Bundesumweltministeriums.
Finanzierungszusage fehlt bislang
Ist die Finanzierung der Projekte also bereits gesichert? Ganz so einfach ist es nicht. Ein Bundesprogramm zur Förderung effizienter Wärmenetze stehe kurz vor seiner Auflage, betonte Staatssekretär Andre Baumann. „Man wartet nur noch auf die Freigabe aus Brüssel.“ Die Bürgermeister erhoffen sich daraus eine Förderquote von 40 Prozent ihrer Kosten. Das wäre zwar ein erster wichtiger Baustein für das Vorhaben, allerdings würden sie weitere finanzielle Hilfen benötigen.
Auch hier signalisierte Staatssekretär Baumann Unterstützung, ohne allerdings allzu konkret zu werden. Ob also mit finanziellen Mitteln aus dem Landeshaushalt zu rechnen ist, das ist derzeit noch offen. Doch bis das Förderprogramm des Bundes nun offiziell aufgelegt ist, wollen die beiden Bürgermeister schon so gut wie möglich vorbereitet sein.
Bürgermeister wollen schlüssige Konzepte vorlegen
Deswegen führen sie bereits Gespräche mit potenziellen Unternehmen, die als Partner beim Bau der Seewärme-Werke fungieren könnten. Offiziell ist in der Sache allerdings noch nichts. Robert Scherer: „Wir sind beide gerade dabei, schlüssige Konzepte zu erarbeiten, um unseren Gemeinderäten seriöse und verlässliche Pläne präsentieren zu können.“ Amtskollege Münder ergänzt: „Wir überzeugen andere nur, wenn das alles Hand und Fuß hat.“
Wann, an welchen Standorten genau, und ob es also etwas wird mit der Seewärme in Langenargen und in Meersburg, ist derzeit noch offen. Klar ist allerdings, dass die Gemeinden nicht die Einzigen sind, die sich das Prinzip zunutze mache wollen. Eine Studie des Kantons Thurgau bestätigte im vergangenen Jahr bereits die Wirksamkeit des Ansatzes. Der Schweizer Kanton will nun bis zu fünf Seethermie-Kraftwerke am Bodensee bauen.