Wer heutzutage zum Entsorgungszentrum Weiherberg fährt, um Altmetall, Kartons, Bauschutt oder Heckenschnitt loszuwerden, ahnt kaum, dass hier und in der näheren Umgebung während der Nazi-Diktatur etwas ganz anderes geschah. 80 Jahre nach Kriegsende soll sich das ändern: Große Banner im Zufahrtsbereich werden künftig auf den neuen Rundweg „Gegen das Vergessen“ hinweisen, Gedenktafeln erinnern an die Schicksale der Zwangs- und Fremdarbeiter, die dort beim Bau der Raketentestanlage eingesetzt waren.

Alte Fundamente und Mauern noch da

Mitten im Zweiten Weltkrieg hatte das Heereswaffenamt zwischen Kluftern und Raderach die militärische Anlage errichten lassen. Zwangs- und Fremdarbeiter schufteten dort unter unmenschlichen Bedingungen. Noch heute zeugen, oft mitten im Wald gelegen, alte Betonfundamente, Mauerreste und Gräben von dem Testgelände für die V2, von der Propaganda einst als „Wunderwaffe“ bezeichnet.

Viele helfende Hände machen es möglich, dass es nun den Erinnerungspfad in Friedrichshafen gibt (von links): Robert Lutz, Oliver Rauch, ...
Viele helfende Hände machen es möglich, dass es nun den Erinnerungspfad in Friedrichshafen gibt (von links): Robert Lutz, Oliver Rauch, Ekkehard Badent, Berthold Jäkle, Sebastian Schneider, Thomas Kliebenschedel, Ragnhild Becker und Gunar Seitz halten ein Banner, das über das historische Geschehen informiert. | Bild: Ambrosius, Andreas

Die Idee für den Erinnerungspfad sei beim Denkmaltag vor zwei Jahren am Denkmal „Gegen das Vergessen“ der Friedrichshafener Künstlerin Waltraud Späth entstanden, sagt Gunar Seitz. Zusammen mit Bernd Caesar und Ragnhild Becker leitet er das Projekt des Arbeitskreises Heimatgeschichte Kluftern. Viele Akteure helfen mit. „Insgesamt stecken 2000 Arbeitsstunden in dem Projekt“, sagt Seitz.

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In den letzten Tagen waren Helfer beschäftigt, die insgesamt 19 neuen Tafeln entlang des Erinnerungspfads aufzustellen. Die Rahmen dazu wurden von Helfern des Häfler Vereins Bürgerwerkstätten gefertigt. Thomas Kliebenschedel, exzellenter Kenner der NS-Historie und Betreiber der Online-Gedenkstätte KZ Friedrichshafen, kümmerte sich um die geschichtliche Recherche. Eine Tafel steht am Rand der Kleingartenanlage in Raderach – genau dort, wo sich einst das Arbeitslager und daneben das KZ-Lager befanden.

Überreste der Fundamente für die damaligen Transformatoren des V2-Testgeländes sind noch heute im Wald bei Raderach zu sehen.
Überreste der Fundamente für die damaligen Transformatoren des V2-Testgeländes sind noch heute im Wald bei Raderach zu sehen. | Bild: Gunnar Seitz

Der Erinnerungspfad hat eine Länge von 3,8 Kilometern und führt rund um das Entsorgungszentrum Weiherberg. Einstiege mit Übersichtstafeln gibt es in Raderach (Entsorgungszentrum und bei der Kleingartenanlage an der Torfstraße) sowie in Efrizweiler (Kunstwerk „Gegen das Vergessen“). Schilder weisen die Richtung. Der Weg ist in das bestehende bodenseekreisweite Wanderwegenetz eingebunden.

Gegen das Vergessen

Nicht in Vergessenheit geraten sollen die damaligen Gebäude wie die drei großen Raketenprüfstände, das Sauerstoffwerk oder das Wohn- und KZ-Lager und die Funktionen der Anlagenteile, bei deren Bau
hunderte Zwangs- und Fremdarbeiter eingesetzt wurden. Hingewiesen wird auf die Schicksale der namentlich bekannten 417 am Bau beteiligten Zwangs- und Fremdarbeiter. Nach getaner Arbeit wurden sie alle in „Schutzhaft“ genommen. Dadurch verloren sie ihren Arbeiterstatus und wurden zu KZ-Häftlingen. Die meisten wurden im KZ Dora umgebracht. Der Erinnerungspfad soll dazu beitragen, „dass so etwas nie mehr wieder geschieht“, heißt es seitens des Arbeitskreises.

Eine von 19 Tafeln, die entlang des Erinnerungspfads an die Schicksale der Zwangs- und Fremdarbeiter während der NS-Diktatur erinnern.
Eine von 19 Tafeln, die entlang des Erinnerungspfads an die Schicksale der Zwangs- und Fremdarbeiter während der NS-Diktatur erinnern. | Bild: Ambrosius, Andreas

Die Tafeln werden zukünftig kontrolliert vom Arbeitskreis Heimatgeschichte Kluftern und den für dieses Gebiet zuständigen Wegewarten der Stadt Friedrichshafen, Heinz Wocher, Ragnhild Becker und Gunar Seitz.

Feierliche Eröffnung am Sonntag

Im Rahmen des Tags des offenen Denkmals findet am Sonntag, 14. September, um 13.30 Uhr am Entsorgungszentrum Weiherberg die Auftaktveranstaltung zum neuen Rundweg statt. Oberbürgermeister Simon Blümcke wird die Bedeutung des Erinnerungspfads aus städtischer Sicht beleuchten. Bernd Caesar, Vorsitzender des Arbeitskreises Heimatgeschichte Kluftern, wird erzählen, warum so ein Pfad wichtig ist.

Ein Foto aus dem Jahr 1943 zeigt Betonarbeiten durch Zwangsarbeiter in Raderach. Im Hintergrund ist das Mess- und Steuerhaus zu sehen.
Ein Foto aus dem Jahr 1943 zeigt Betonarbeiten durch Zwangsarbeiter in Raderach. Im Hintergrund ist das Mess- und Steuerhaus zu sehen. | Bild: Bundesarchiv RH8 F174/AK Heimatgeschichte Kluftern

Tagsüber gibt es Führungen

Die Musiker Alain und Philippe Wozniak interpretieren Musikstücke aus den Herkunftsländern der ehemaligen Zwangsarbeiter. Gunar Seitz stellt kurz die zukünftigen Ideen zum Erinnerungspfad vor. Zusätzlich werden von Thomas Kliebenschedel Führungen um 11, 15 und 16.30 Uhr angeboten. Der Infostand ist von 11 bis 17 Uhr geöffnet.