
Morgens, um 8 Uhr. Normalerweise sitzt Larissa Thomann zu dieser Zeit am Schreibtisch ihrer Firma, einem kleinen Technologieunternehmen in Friedrichshafen. Thomann und ihr Partner Alexander Struppek arbeiten beide Vollzeit, die fünfjährige Mila-Sophie geht derweil in die Kita. Doch heute – in Zeiten von Corona – ist alles anders. Die Kita ist zu, die Arbeit bleibt. Der große Stresstest für Familien hat längst begonnen.
„Mama, kannst du jetzt mit mir malen?“
„Ich habe keine Ahnung, wie wir das in den nächsten Wochen schaffen sollen“, sagt Larissa Thomann. „Mama, kannst du jetzt mit mir malen?“, fragt Mila-Sophie im Hintergrund. Frühmorgens um sieben hat ihre Mutter bereits Mails bearbeitet, später schnell Frühstück gemacht, telefoniert, zwischendurch Mila-Sophie beschäftigt, Mittagessen gekocht, aufgeräumt, weiter gearbeitet. Zumindest in dieser Woche konnte die 25-Jährige im Home-Office arbeiten, das hat ihr Chef fest zugesagt.
Das Kind auf den Spielplatz schicken? Keine Option
„Mila-Sophie ist echt ein liebes Kind, beschäftigt sich auch mal, aber acht Stunden Home-Office am Tag mit Kind inklusive Betreuung, Essen kochen – und dabei dieselbe Arbeitsleistung erbringen – das ist unmöglich“, sagt Thomann. Erschwerend kommt hinzu, dass sie die Fünfjährige nicht nach draußen schicken kann. Der Spielplatz im Innenhof des Mehrfamilienhauses ist mittlerweile abgesperrt, die Kinder sollen ihre Sozialkontakte zu Spielfreunden stark reduzieren. Daran halten sich Larissa Thomann und ihr Mann – und alle anderen Bewohner auch. Das Gebot der Stunde lautet soziale Distanzierung – und genau die macht es für Familien wie die Thomanns noch schwieriger.
Kurzarbeit: Und was ist mit der Miete?
Dazu kommen bei vielen Eltern mittlerweile finanzielle Unsicherheiten hinzu. Im Moment arbeitet Mila-Sophies Vater Alexander Struppek noch im Autogeschäft. Doch das Paar rechnet täglich mit Kurzarbeit. Dann geht die große Rechnerei los. Wie lange schafft es eine Familie mit reduziertem Gehalt noch die Lebenskosten weiter zu bezahlen? Noch dazu bei den hohen Mieten in Friedrichshafen? Täglich treten neue Fragen auf, zu denen bisher keiner eine Antwort hat.

Mittags, um 11.30 Uhr. Suat Kara bricht gleich zu seiner Spätschicht auf. Er ist Monteur im ZF-Werk 2. Das Unternehmen hat angekündigt, dort wo nötig, Kurzarbeit einzuführen und auf Notbetrieb herunterzufahren. Das erste Mal in der langen ZF Geschichte gäbe es flächendeckende Werksschließungen. „Das wäre heftig, würde es für uns zumindest mit der Kinderbetreuung ein wenig leichter machen“, sagt Özlem Kara. Sie selbst ist Fachkraft für Lagerlogistik bei einer Airbus-Tochter und arbeitet künftig wieder im Schichtbetrieb. Ihr Unternehmen hat die Dienstpläne bereits umgestellt, um die Mitarbeiter zu schützen – und um die Vereinbarkeit von Job und Familie überhaupt möglich zu machen.
Gegenschichten arbeiten: Das heißt drei Stunden Schlaf
Schließlich müssen zuhause die Kinder betreut werden, so wie bei den Karas die sechsjährige Rüya und der dreijährige Can. Gar nicht so einfach, wenn beide Eltern in Präsenz-Berufen arbeiten. „Wir werden versuchen Gegenschichten zu arbeiten“, erklärt Suat Kara, „allerdings heißt das, dass ich nach einer Spätschicht mit drei Stunden Schlaf auskommen müsste.“ Erholung gibt es dann kaum mehr welche. Und dass, wo sie doch gerade jetzt so dringend nötig wäre.
Und dann wären da noch die Schulaufgaben
Denn neben Beruf, Betreuung und Haushalt kommt für etliche Eltern eine weitere Aufgabe dazu: die Schulkinder sollen den Stoff, den sie verpassen, zuhause erarbeiten. Tochter Rüya ist Erstklässlerin, sie lernt gerade die ersten Buchstaben in Schreibschrift und den Zahlenraum bis 20. Ihre Lehrerin hat ihr Aufgaben für die kommenden drei Wochen mitgegeben. „Rüya macht das wirklich toll“, sagt Özlem Kara, „aber sie braucht natürlich auch viel Unterstützung von uns.“ Ein virtuelles Klassenzimmer mit täglichen Gesprächen mit Mitschülern und Lehrern, wie es in manch anderen europäischen Ländern der Fall ist? Das ist in den meisten deutschen Schulen eher Zukunftsmusik als Realität. Hier sind vor allem jetzt die Eltern gefragt.
Mit den Großeltern wird nur telefoniert
Der Spagat zwischen Familie und Beruf – er ist für viele Familien ohnehin schon groß. In Zeiten von Corona wird er nahezu unmöglich. Wenn Krippe, Tagesmutter, Kindergarten und Schule ferienbedingt wegfallen, sind häufig noch Oma und Opa als Betreuungspersonen da. So auch bei Familie Kara. Doch auch darauf muss nun in den kommenden Wochen – Virologen sprechen sogar von Monaten – verzichtet werden. „Das ist für uns eigentlich das Schlimmste“, sagt Özlem Kara, „unsere Kinder sehen ihre Großeltern mehrmals die Woche.“ Jetzt gibt es erstmal nur noch Video-Chats auf dem Handy statt echte Treffen.