Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) provoziert derzeit Widerspruch unter Medizinern und Krankenkassen. Er schlägt vor, zur Rettung des Gesundheitssystems stärker nach dem Verursacherprinzip abzurechnen. Skifahrer sollen nach Unfällen selbst für die Behandlungskosten aufkommen, und auch Raucher sollen sich an den Folgekosten beteiligen. Ist das eine gute Idee? Die BKK aus Friedrichshafen, die AOK Baden-Württemberg, und ein Arzt aus Überlingen sagen ganz klar: Nein!

Richard Volz, Facharzt für Unfallchirurgie, Überlingen: „Soll der Autofahrer, der sich kein sicheres Auto leisten kann, nun höhere ...
Richard Volz, Facharzt für Unfallchirurgie, Überlingen: „Soll der Autofahrer, der sich kein sicheres Auto leisten kann, nun höhere Krankenkassenbeiträge bezahlen?“ | Bild: Hilser, Stefan

Richard Volz, Facharzt für Unfallchirurgie aus Überlingen, findet es „populistisch“, einen extra Selbstbehalt für spezifische Risiken zu fordern. „Wo fängt man an und wo hört man auf?“ Das Risiko, bei einem Autounfall in einem Kleinwagen schwerer verletzt zu werden als in einer Limousine, sei deutlich höher. „Sollte der Autofahrer, der sich kein sicheres Auto leisten kann, nun höhere Krankenkassenbeiträge bezahlen?“, fragt Volz.

Etwa jeder 130. Skifahrer verletzt sich

Skifahrer sind tatsächlich häufiger von Sportverletzungen betroffen als andere Sportler. Volz verweist auf eine Statistik, die das österreichische Gesundheitsministerium in Auftrag gab. Demnach erleiden in Österreich jährlich etwa 60.000 Skifahrer einen Skiunfall. Das sind laut der Statistik 0,7 bis 0,8 Prozent der Skifahrer, die sich auf Pisten in Österreich bewegen. Dennoch betont Volz, dass er das Solidarprinzip der Versicherungen richtig findet, und die sportliche Betätigung grundsätzlich als gesundheitsfördernd erachtet.

Risikosport Skifahren? Blick auf die Zamangspitze im Montafon.
Risikosport Skifahren? Blick auf die Zamangspitze im Montafon. | Bild: Hilser, Stefan

Unfälle nach Drogenkonsum sieht Volz kritischer

Die einzige Situation, so Volz, „bei der ich persönlich mir einen Selbstbehalt oder eine finanzielle Mitbeteiligung am entstandenen Schaden vorstellen könnte, wäre bei Unfällen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss ab einem gewissen Grenzwert“. Dieses Risiko, findet Volz, sollte jeder über eine private Unfallversicherung selbst absichern müssen.

Helios beteiligt sich nicht an politischer Diskussion

Wir fragten beim Helios-Spital in Überlingen an, ob es Erkenntnisse darüber gibt, welche Patientengruppen die höchsten Kosten verursachen, oder welche Sportverletzungen am häufigsten bei ihnen behandelt werden. Die Pressesprecherin am Helios antwortete, dass sie über keine entsprechenden Statistiken verfügten und sich nicht an der von Raffelhüschen losgetretenen gesundheitspolitischen Diskussion beteiligen wollten.

Ralf Hirmke, Vorstand der BKK der ZF in Friedrichshafen: „Die gesetzliche Krankenversicherung kennt keine Schuldzuweisung.
Ralf Hirmke, Vorstand der BKK der ZF in Friedrichshafen: „Die gesetzliche Krankenversicherung kennt keine Schuldzuweisung. | Bild: fotografietrautmann, BKK ZF & Partner

Krankenkassen-Chef hält Vorschlag für absurd

Als „völlig absurd“ bezeichnet der Vorstand der Betriebskrankenkasse ZF & Partner, Ralf Hirmke, die Vorschläge von Bernd Raffelhüschen, wonach gesetzlich Krankenversicherte künftig bis zu 2000 Euro an Selbstbeteiligung bezahlen sollen. „Die gesetzliche Krankenversicherung kennt keine Schuldzuweisung. Außerdem widerspricht es dem Solidarprinzip, das dafür steht: Jung für Alt – Gesund für Krank!“

Das könnte Sie auch interessieren

Um die Kosten im Gesundheitssystem in den Griff zu bekommen, brauche es Nachhaltigkeit und keinen Flickenteppich, empfiehlt BKK-Vorstand Hirmke. „Statt die Versicherten weiter finanziell zu belasten, sollten die längst überfälligen notwendigen Strukturen im Gesundheitswesen in Angriff genommen werden.“

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg: „Der Vorschlag geht in die völlig falsche Richtung.“
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg: „Der Vorschlag geht in die völlig falsche Richtung.“ | Bild: AOK Baden-Württemberg

Auch aus Sicht der AOK Baden-Württemberg geht der Vorschlag Raffelhüschens „in die völlig falsche Richtung“. Das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein hohes Gut. Vorstandsvorsitzender Johannes Bauernfeind: „Statt Versicherte noch stärker zu belasten, muss die Politik endlich die dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen angehen.“

Zahlen für eine Preiskalkulation nicht vorhanden

Belastbare Zahlen zum Raucherstatus ihrer Versicherten lägen der AOK nicht vor. Die Pressestelle der AOK betont, dass es ohnehin äußerst komplex sei, Folgekosten beim Rauchen zu kalkulieren. Auch Sportverletzungen seien in ihren Daten nicht derart hinterlegt, dass sich daraus direkte Analysen ableiten ließen. „Natürlich lassen sich aber Korrelationen finden, dass zum Beispiel während der Skisaison Knieverletzungen deutlich ansteigen.“

Rückmeldung an den Autor geben