Es gibt manchmal Dinge, die sind plötzlich verschwunden, und kaum einer merkt es. Dass sie fehlen, wird erst richtig bewusst, wenn es längst zu spät ist. Fast wäre es der Freien Kunstakademie so ergangen, die seit 15 Jahren in Überlingen in der denkmalgeschützten ehemaligen Turnhalle der Seeschulen ihr Domizil hat.
Kündigung zum 31. Dezember lag schon auf dem Tisch
Die Kündigung der Vermieter zum 31. Dezember hatte schon auf dem Tisch gelegen. Quasi in letzter Minute konnte Geschäftsführer Rouven Friess einen neuen Vertrag aushandeln, der allerdings nur drei Jahre läuft. Der Drahtseilakt war für Friess zudem Anlass, die Einrichtung neu zu positionieren und mit neuen Zielgruppen auf eine breitere Basis zu stellen. Ehrenamtlich unterstützt wird er dabei von Felix Urban, einem Überlinger, der inzwischen in Berlin als Medienwissenschaftler tätig ist und dem Kunst und Kultur besonders am Herzen liegen.
Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt läuft bis 2070
Im Jahr 2000 hatten die Karlsruher Eheleute Monika und Rainer Morgenstern das ganze Seeschulensemble in Erbpacht übernommen. Der Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt läuft bis zum Jahr 2070, wie Oberbürgermeister Jan Zeitler auf Nachfrage noch einmal bestätigte.
Familie will sich laut einem Vertreter nicht dazu äußern
Der Kontrakt scheint allerdings dem Vernehmen nach nicht in allen Punkten klar genug formuliert zu sein, was Rechte und Verpflichtungen der Eigentümer auf Zeit angeht. Die Familie wolle sich dazu nicht äußern, erklärte ein Vertreter von Morgensterns Domus Verwaltungs-GmbH, die alle Gebäude betreut und den Mietvertrag mit der Freien Kunstakademie nach vorausgegangener Kündigung um drei Jahre verlängerte.
Durch „intensive Bemühungen der Geschäftsführung, durch die Vermieter, durch Spenden und die aktive Mitarbeit engagierter Personen“ habe man das Aus der Freien Kunstakademie noch abwenden können, betont Rouven Friess, der seit Dezember 2016 geschäftsführender Gesellschafter ist. Sibylle Werkmeister, die die Kunstakademie schon in den 1990er Jahren in Mühlhofen gegründet hatte und damit 2004 nach Überlingen umgezogen war, hatte damals die Einrichtung verlassen und war ins Ausland gegangen.
Betriebswirt Friess, dem der Kulturbetrieb am Herzen liegt, trägt die Verantwortung und die Risiken. Nicht nur Studenten hatten Ende 2018 Briefe an die Vermieter geschrieben. Auch Oberbürgermeister Jan Zeitler habe sich für die Einrichtung eingesetzt, betonte die Pressestelle der Stadt.
Oberbürgermeister möchte, dass Akademie langfristig fortbesteht
Zeitler sei daran gelegen, „dass die Freie Kunstakademie Überlingen langfristig in den bisherigen Räumen der ehemaligen Turnhalle fortbestehen wird und die aktuellen sowie künftigen Studenten hier ihr Kunststudium absolvieren können“, lässt die Stadt wissen.
„Doch das ist kein Selbstläufer. Es ist nicht leicht, die Miete samt Nebenkosten und die Dozentenhonorare über die Studiengebühren zu erwirtschaften“, sagt Friess, der in dem von Sibylle Werkmeister entwickelten Konzept und dessen Angeboten eine besondere Qualität sieht. Diese erkennen auch die derzeit 27 Studierenden, die auf ein Diplom hinarbeiten, und sind angetan von der kreativen Atmosphäre. Für die meisten ist es eine anspruchsvolle Ergänzung zum Beruf oder eine neue Lebensetappe. Einige bereiten sich auf eine andere Akademie oder Universität vor.
„Etwa 30 sollten wir haben“, betont Rouven Friess, „um die Kosten weitgehend zu decken.“ Mit einem erweiterten Angebot will sich die Kunstakademie daher künftig noch etwas breiter aufstellen und neuen Zielgruppen öffnen – mit Workshops am Abend, die auch neben dem Beruf wahrgenommen werden können, und auch mit Ferienkursen für Kinder. Damit peilen Friess und Urban zugleich eine verstärkte Öffnung der Akademie nach außen an und hoffen auf Unterstützer und Spender, denen die Arbeit für Kunst und Kultur besonders am Herzen liegt.
Petra Ebelen (53) ist in Langenargen zu Hause und arbeitet als Sozialarbeiterin bei einer psychologischen Beratungsstelle in Friedrichshafen. „Malen und Zeichnen begleiten mich im Grunde, seitdem ich einen Stift halten kann“, sagt sie. Auch sie ist durch Zufall auf die Freie Kunstakademie gestoßen und sah hier die Chance, sich kreativ zu entwickeln. Sie wollte „Farbe verstehen“ und lernen, ihre Arbeit in Sprache zu fassen. „Das ist schwierig, denn es kommen Intuition, Konzentration und Spontaneität zusammen“, erklärt sie. Doch der Betrachter einer künstlerischen Arbeit habe eine Erklärung verdient. „Wir haben hier Dozenten, die selbst noch Kunstschaffende sind und uns daran teilhaben lassen“, erklärt sie: „So erleben wir quasi 'art in progress'.“ Jede/r Studierenden werde individuell unterstützt, sein eigenes künstlerisches Selbstverständnis zu entwickeln.
Marion Vogel (37) lebt im oberschwäbischen Vogt und arbeitet als Vermessungstechnikerin in Weingarten. Sie ist inzwischen seit fünfeinhalb Jahren an der Freien Kunstakademie, hat hier das Grundstudium absolviert und befindet sich nun im Hauptstudium. Künstlerisch ambitioniert war Marion Vogel schon immer („Ich male von Kindesbeinen an“) und hatte auch zuvor schon zahlreiche Kurse absolviert. Doch suchte sie den Weg zu einer persönlichen Ausdrucksweise und entwickelte höhere Ansprüche an ihre Arbeit. „Ich habe recherchiert und bin im Internet auf das Angebot in Überlingen gestoßen“, erzählt sie. Das Studium hier habe sie nicht nur durch Anspruch und Qualität überzeugt, sondern auch durch die gute Vermittlung durch die Dozenten. „Man bekommt nicht jeden Schritt vorgegeben, sondern muss sich ein Thema selbst erarbeiten.“
Michaela Hemmer (59) kommt aus Stockach und ist gelernte Goldschmiedin. „Ich male schon immer“, sagt sie und erinnert sich noch an die Anfänge der Kunstakademie in Mühlhofen, wo sie schon das Grundsemester absolviert hatte. Die Räume in der alten Turnhalle mit ihrem „wunderbaren Licht“ haben es ihr angetan. „Dazu kommt, dass man hier in Gesellschaft malen und sich auch darüber austauschen kann.“ Die Suche nach dem eigenen Stil ist Hemmer wichtig. Entwickelt hat er sich nicht nur im Spannungsfeld zwischen Gegenständlichem und Abstraktem, auch den Materialmix liebt Hemmer – vom Bitumen bis zum Schleifpapier. „Überlingen tut diese Einrichtung sehr gut, es macht die Stadt lebendiger“, sagt Hemmer. „Doch ich finde es schade, dass viele dies gar nicht wahrnehmen und die Kunstakademie viel zu stiefmütterlich behandelt wird.“
Anke Bornhöfft-Neugebauer (50) aus Villingen-Schwenningen studiert seit viereinhalb Jahren an der Freien Kunstakademie und steht kurz vor ihrem Diplom-Abschluss. Die gelernte Chemie-Ingenieurin hatte das Angebot bei einem Spaziergang zufällig entdeckt. „Ich komme zwei Mal pro Woche hierher“, sagt sie, „weil es hier so toll ist.“ Die Naturwissenschaftlerin hatte sich schon immer auch für Kunst interessiert, wollte sich einmal systematisch damit auseinandersetzen und Werkzeuge erlernen, um sich künstlerisch ausdrücken zu können. „Mir geht es darum, wie wir Menschen mit der Welt umgehen, wie wir in der Welt stehen“, philosophiert sie, „und wer wir sind.“ Ob sie Kunst auch als Beruf sieht? „Ab jetzt schon“, sagt sie lachend. Inzwischen hat sie zu Hause ihr eigenes Atelier und ist dabei, mit anderen Studierenden die Künstlergruppe „Kollektiv K5“ zu gründen.
Angebote
- Info- und Studienberatungstage Malerei bietet die Freie Kunstakademie im gesamten März an (ohne Anmeldung, Zeiten im Internet).
- Eine Ausstellung von Petra Ebeler mit Diplomübergabe findet am Sonntag, 10. März, um 15 Uhr statt. Eine weitere Präsentation von Anke Bornhöfft-Neugebauer mit Diplomübergabe steht am Sonntag, 24. März, um 15 Uhr auf dem Programm. Eine Werkschau mit studentischen Arbeiten ist von 5. bis 7. April vorgesehen. Ein Siebdruckworkshop bietet der Künstler Jan Beeskow am 27. und 28. April an. Als erfahrene Dozenten tätig sind hier unter anderem Dagmar Eckert, Susan Stadler, Dieter Konsek, Ulrike Niederhofer und Diana Lukas.
- Alle Informationen zur Freien Kunstakademie mit aktuellen Angeboten, Veranstaltungen und Workshops können auf der neu gestalteten Website eingesehen und abgerufen werden. Künftig werden Veranstaltungen auch über einen Newsletter angekündigt. Das Studium Malerei besteht aus einem jeweils vier Semester dauernden Grund- und Hauptstudium sowie einem zweisemestrigen Diplomjahr. Bewerber sollten Vorkenntnisse und eine Mappe mit Arbeitsproben mitbringen. Es folgt ein Gespräch mit dem Dozenten.
Informationen im Internet: www.fkue.de