Hätten wir in Deutschland eine Geschworenen-Jury, wie in den USA, wäre der Angeklagte nicht freigesprochen worden, spekulierte Staatsanwalt Peter Schraff zum Kinderporno-Prozess in Überlingen.
Hier gelte aber die deutsche Rechtslage und nach dieser habe er den Mann aus Mangel an Beweisen freisprechen müssen, beurteilte Alexander von Kennel, Richter am Überlinger Amtsgericht, den Fall im Nachhinein.
Der Fall ist für den Angeklagten vermutlich noch nicht zu Ende, denn er wird aller Voraussicht nach weiterhin verhandelt. Die Staatsanwaltschaft hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, der Fall soll damit am Landgericht Konstanz neu aufgerollt werden.
Richter fehlte der entscheidende Beweis
Mit dem Fall ist der Prozess wegen der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen einen Mann aus dem Bodenseekreis gemeint. Verhandelt wurden die Anklagepunkte am Dienstag, 9. April (wir berichteten).
Als "unschönen und unerfreulichen Fall", aber eben in seiner Entscheidung "eine eindeutige Rechtslage", begründete Richter von Kennel nochmals sein Urteil. Er habe sich im Vorfeld in die Thematik eingearbeitet und es habe ihm am entscheidenden Beweis dafür gefehlt, dass der Angeklagte die kinderpornografischen Inhalte Bilder und Videos hochgeladen und angesehen habe.
Prozess dauerte drei Jahre
Richter von Kennel wies auf Nachfrage darauf hin, "dass der Mann ja quasi die Daten der halben Welt auf seinem Computer gehabt hat, wir reden hier über 1,5 Millionen Bilder". Das Personal der Kriminalpolizei habe keine ausreichende Kapazität zum Auslesen aller Daten.
Die Staatsanwaltschaft Konstanz, vertreten durch Pressesprecher Andreas Mathy, ist gegenteilig der Auffassung, dass "ausreichend Kapazität und Sachkunde bei den Ermittlungsbeamten gegeben ist". Der Prozess zog sich bis zum Verhandlungstag über drei Jahre hin.
Staatsanwalt forderte Freiheitsstrafe auf Bewährung
Polizeihauptkommissarin Manuela Dirolf, Expertin für sexualisierte Gewalt, war nicht von der Unschuld des Angeklagten überzeugt. Diese Überzeugung teilt auch Staatsanwalt Peter Schraff. Er hatte eine Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung, da der Angeklagte bei einer Verurteilung ein Ersttäter wäre, und eine Geldbuße zugunsten einer Kinderhilfsorganisation gefordert.
Seine Forderung bezog sich auf den Anklagepunkt der Verbreitung, denn jeder beliebige Nutzer habe sich die kriminellen Inhalte, die anonyme Täter aus dem Darknet über den Server laufen ließen, zugänglich machen können.
Die vom Verteidiger dargestellte Variante, sein Mandant habe den Tor-Server nur betrieben, um damit beispielsweise so wörtlich "chinesischen Menschenrechtsaktivisten den Zugang zum freien Internet zu ermöglichen", verfing beim Staatsanwalt nicht.
Angeklagter verschwieg der Polizei Passwörter
Peter Schraff bezeichnete diese Darstellung im Gespräch mit dem SÜDKURIER als vermutlich reine Tarnung des Angeklagten. Natürlich wäre der Angeklagte schon durch die lange Prozessdauer sehr belastet gewesen, es habe schließlich auch zwei Hausdurchsuchungen gegeben, sagte der Staatsanwalt.
Die Polizei habe allerdings auch nicht alle Passwörter vom Angeklagten erhalten, dies spreche doch eine eindeutige Sprache, kommentierte Schraff. Diese Tatsache alleine gäbe schon einen Ausschlag für das Berufungsverfahren. Dazu könnte man theoretisch auch Spezialisten vom Landeskriminalamt hinzuziehen.
Schraff sprach betreffend des Überlinger Urteils vom "Ermessungsspielraum des Richters" und hätte sich ein hartes Urteil, wie beispielsweise beim Berliner-Raser-Prozess gewünscht. "Das hätte eine abschreckende Wirkung gehabt und Menschen, die mit dem Gedanken spielen, so was zu machen, merken, Hallo, hier passiert was."
Computer und Festplatten bleiben vorerst eingezogen
Laut Aussage der Staatsanwaltschaft Konstanz erhält der Angeklagte sein Equipment, mehrere Computer und Festplatten mit einer Leistung von zwei Terabytes (also über zwei Millionen Megabytes) vorläufig nicht zurück, da das Berufungsverfahren läuft.
Erst nach einem Urteil des Landgerichts Konstanz würde über den Verbleib der sichergestellten Sachwerte entschieden. Andreas Mathy, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, rechnet mit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Laufe des Sommers 2019.
Der Fall
Einem 53-jährigen verheirateten Ingenieur waren Dateien mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt zur Last gelegt worden, die über einen von ihm betriebenen sogenannten Tor-Server liefen. Der Verteidiger, der Überlinger Rechtsanwalt Gerd Porkop, hatte das Gericht von der Unschuld des Mannes überzeugt, da dieser nicht zwangsläufigen Kenntnis vom Inhalt der über seinen Server laufenden Daten gehabt haben müsse.
Drei von vier Zeugen, alles Polizeibeamte, die mit dem Auslesen der über einer Million Daten beschäftigt waren, bestätigten diese Auffassung.