Miriam Altmann

Veränderung kann verunsichern, Unbekanntes manchmal Unbehagen auslösen. Nicht so im Fall von Ulrike Sick: Wenn bald bis zu 80 Geflüchtete ins alte Neufracher Rathaus ziehen, möchte sie aktiv mitgestalten. Die Anwohnerin ist an diesem Abend das erste Mal bei einem Treffen des Helferkreises Salem, der Geflüchtete bei der Integration in die Gemeinde unterstützt. „Mich interessiert, was ihr macht“, richtet sie das Wort an die Mitglieder. Bis auf zwei Leute hat sich der harte Kern des Helferkreises versammelt, momentan etwa zehn Personen, wie Jürgen Jung berichtet.

Ulrike Sick (links) hat bei ihrer ersten Teilnahme an einem Teamtreffen viele Fragen. Interessiert hört sie den Erfahrungsberichten von ...
Ulrike Sick (links) hat bei ihrer ersten Teilnahme an einem Teamtreffen viele Fragen. Interessiert hört sie den Erfahrungsberichten von Lotti Strick (Mitte) und Renate Geiger (rechts) zu. | Bild: Miriam Altmann

„Normalerweise gehen wir durch, welche Erfahrungen wir in den letzten vier Wochen gemacht haben“, sagt der Sprecher der Gruppe. Heute beginnt der Abend mit einer Vorstellungsrunde für die Neuen. Neben Ulrike Sick ist Marc Konstanzer das erste Mal dabei: „Ich war immer ehrenamtlich engagiert“, erzählt der Doktorand der Geschichtswissenschaft, der nach einer neuen Aufgabe sucht.

Manche Helfer sind seit 2015 dabei

Jürgen Jung verweist auf das Helfer-Gen, das die Anwesenden verbinde. Er selbst habe 2015 mit der Flüchtlingsarbeit begonnen und sich um zwei albanische Familien gekümmert. Inzwischen bringe er sich vor allem in der Fahrradwerkstatt, bei Umzügen und in technischen Fragen ein. „Irgendwann wurde ich zur Schnittstelle mit der Gemeinde und dem Landratsamt, weil ich so gut daher schwätzen kann“, ergänzt er selbstironisch. Klaus Meyer hebt er als Experten im Umgang mit Behörden hervor, der sich zudem um viele Geflüchtete kümmere: „Er hat einen Ruf und die Flüchtlinge kommunizieren es untereinander“, merkt Jürgen Jung an.

Klaus Meyer (Mitte) kennt sich gut mit Behördenvorgängen aus und teilt sein Wissen gern mit dem Team, hier mit Renate Geiger. Rechts im ...
Klaus Meyer (Mitte) kennt sich gut mit Behördenvorgängen aus und teilt sein Wissen gern mit dem Team, hier mit Renate Geiger. Rechts im Bild Jürgen Jung, der Sprecher der Gruppe. | Bild: Miriam Altmann

Alte Hasen geben Wissen an Neue weiter

Die Sachkenntnis der alten Hasen wird bei Fallbesprechungen deutlich: Müssen Flüchtlinge eine Steuererklärung machen? Wo müssen Wohngeld und Kinderzuschlag beantragt werden? Antje Möller, die eine Familie betreut, möchte die Geflüchteten gut versorgt wissen: „Wenn ich schon bei der Steuererklärung an meine Grenzen komme, wie sollen sie dann einen Wohngeldantrag ausfüllen?“ Auch bei Arztbesuchen oder Behördengängen ist Unterstützung gefragt. Miriam Lohr hebt das Vertrauensverhältnis hervor: „Ich habe vor sechs Jahren eine achtköpfige Familie übernommen.“ Sie erzählt von Meilensteinen, die sie begleiten durfte. Wolfgang Olek berichtet, die zwei jungen Männer, die er betreue, hätten Arbeit in einer Bäckerei gefunden. „Der eine muss um 3 Uhr in der Backstube anfangen und hält das seit einem halben Jahr durch.“

Wohnsituation sorgt teils für Frust

Manchmal sei die Flüchtlingsarbeit jedoch frustrierend, gibt Jürgen Jung zu. Beispielsweise wenn Hilfe nicht angenommen werde. Lotti Strick, die vier Jahre lang Sprachkurse gegeben hat, differenziert: „Man kann ihnen gut helfen, aber sie wollen nicht das Gefühl haben, dass sie das brauchen.“ Bisweilen sei man auch der Abfalleimer für den Frust über die Wohnsituation, merkt Klaus Meyer an. Gerade in den zentralen Unterkünften sei das ein großes Problem.

Marc Konstanzer (links) freut sich auf eine neue ehrenamtliche Aufgabe. Antje Möller, Wolfgang Olek und Miriam Lohr (von links) betreuen ...
Marc Konstanzer (links) freut sich auf eine neue ehrenamtliche Aufgabe. Antje Möller, Wolfgang Olek und Miriam Lohr (von links) betreuen bereits Geflüchtete und stehen neuen Helfern beratend zur Seite. | Bild: Miriam Altmann

Im Riedweg wird bald nachgebessert

Renate Geiger, vom Gruppensprecher scherzhaft „Spieß der Unterkünfte“ genannt, schaut regelmäßig in der Anschlussunterkunft in der Bodenseestraße nach dem Rechten: „Der Zustand dort ist, wie im Riedweg, unter aller Sau.“ Im Riedweg scheint Abhilfe in Sicht: Auf Nachfrage heißt es aus dem Rathaus, der Vermieter habe sich bereit erklärt, den alten Teppich im Flur auszutauschen, auch der Boden in den Zimmern werde schrittweise ersetzt, wenn eine Neubelegung erfolge, teilt Sabine Stark mit, Leiterin der Stabsstelle des Bürgermeisters.

Helferkreis wünscht sich Vorab-Infos

Bevor die Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises im alten Neufracher Rathaus bezogen wird, hofft Jürgen Jung auf ein Treffen mit allen Verantwortlichen, um das Personal und die Rahmenbedingungen kennenzulernen. „Und solange wir nicht wissen, wer mit welcher Vorgeschichte kommt, können wir uns kaum darauf vorbereiten.“ Wenn man in Sachen Formalitäten bei Null beginnen müsse, brauche man deutlich mehr Helfer. Daher schmiedet die Gruppe schon Pläne, wie sich die beiden Neuen am besten einbringen könnten.

Die Teamsitzungen sind nicht nur Arbeitstreffen, sondern auch gesellige Runden. Hier Miriam Lohr, Monika Halfmann und Ulrike Sick.
Die Teamsitzungen sind nicht nur Arbeitstreffen, sondern auch gesellige Runden. Hier Miriam Lohr, Monika Halfmann und Ulrike Sick. | Bild: Miriam Altmann

Für die Ankunft von 80 Neuankömmlingen sucht der Helferkreis weiter Verstärkung: „Wir brauchen noch mehr Helfer, denn wir sind alle schon gut eingebunden“, macht Jürgen Jung deutlich. Helfer müssten Geduld, Toleranz und Humor mitbringen. Im Gegenzug lerne man andere Menschen und Kulturen kennen. Klaus Meyer merkt schmunzelnd an: „Ich wollte früher immer mal nach Afrika – jetzt kommt Afrika zu mir.“

Der Helferkreis und der Zeitplan des Landratsamts

  • Der Helferkreis Salem fand sich 2015 zusammen, als Spontanhilfe für Neuankömmlinge und zur längerfristigen Begleitung von Familien. Von einst 60 Helfern sind etwa zehn Aktive übrig, weshalb die Gruppe dringend Verstärkung sucht. Ansprechpartner ist Jürgen Jung, Telefon 0 75 53/76 83, E-Mail helferkreissalem@t-online.de.
  • Im alten Rathaus finden aktuell letzte Bauarbeiten statt, informiert Lars Gäbler, Sprecher des Landratsamts: „Wir gehen davon aus, dass bis Ende Februar die ersten geflüchteten Menschen hier untergekommen sein werden.“ Wer einziehe, sei jedoch noch nicht bekannt. „Wir achten bei der Belegung der Unterkünfte immer bestmöglich darauf, absehbare Konfliktpotenziale zu vermeiden, beispielsweise im Hinblick auf Religionen oder Ethnien.“ Gäbler erklärt: „Wir möchten für die Integrationsarbeit auch mit dem Helferkreis Salem eng zusammenarbeiten.“