Im Frühjahr waren die Markdorfer gefragt: Mehr als 1500 Haushalte hatten an der Bürgerumfrage der Stadtverwaltung und des von ihr beauftragten Reutlinger Pragma-Instituts teilgenommen. Das Pragma-Institut mit Geschäftsführer Reiner App und dem wissenschaftlichen Leiter Martin Messingschlager hat inzwischen bereits drei Bürger-Workshops angeboten, in denen es um die Attraktivierung der Innenstadt und um eine künftige Stadtmarke ging. Damit soll das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ), aus dem Markdorf bis 2026 insgesamt 1,5 Millionen Euro erhält, mit konkreten Maßnahmen bestückt werden.

Jugendliche an der neuen Skateranlage. Vor allem für junge Menschen fehle es an attraktiven Angeboten in der Innenstadt, lautet ein ...
Jugendliche an der neuen Skateranlage. Vor allem für junge Menschen fehle es an attraktiven Angeboten in der Innenstadt, lautet ein Ergebnis der Bürgerbefragung. | Bild: Jörg Büsche
Als größtes Defizit in der Altstadt wurde die Gastronomie genannt.
Als größtes Defizit in der Altstadt wurde die Gastronomie genannt. | Bild: Steller, Jessica

Die Ergebnisse der Umfrage wurden im ersten Workshop am 6. Mai vorgestellt, die Stadt hat sie auch auf ihre Internet-Homepage gestellt. Sie waren für die Reutlinger Berater zugleich die Grundlage ihres eigenen Startkonzeptes. In den Workshops wurden bislang aber vornehmlich jene Antworten thematisiert und bearbeitet, die positiv ausgefallen waren, nach dem Motto: Hier sind wir in Markdorf bereits stark, wie können wir diese Stärken weiter ausbauen?

„Wir haben ja nichts davon, wenn wir die Antworten beschönigen“, sagt Martin Messingschlager vom Reutlinger Pragma-Institut.
„Wir haben ja nichts davon, wenn wir die Antworten beschönigen“, sagt Martin Messingschlager vom Reutlinger Pragma-Institut. | Bild: Nosswitz, Stefanie
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Tatsächlich wurden rund ein Drittel der 13 Fragen und Aussagen, die es zu bewerten galt, eher negativ beantwortet: Die Balken der Ablehnungen in den Grafiken sind größer als jene der Zustimmungen. Daraus schließt man auf Unzufriedenheit und nicht auf Zufriedenheit.

„Werte nur ein bisschen unter dem Durchschnitt“

In Reutlingen sieht man das jedoch ganz und gar nicht so. Messingschlager versucht sich mit verständlichen Erklärungen: „Die Werte sind nicht so schwach, wie sie vielleicht aussehen, sie sind nur ein bisschen unter dem Durchschnitt“, sagt er etwa zur weniger ausgeprägten Zufriedenheit der Markdorfer im Vergleich mit den Bürgern anderer vergleichbarer Städte. Paradoxerweise sehen er und auch App den Grund dafür darin, dass es den Markdorfern – wie im Übrigen auch den Bürgern der anderen Kommunen im Bodenseekreis – so gut gehe: Die Bodenseeregion prosperiere, man habe eine starke Wirtschaft, eine schöne Landschaft und einen hohen Lebensstandard. Je besser es den Menschen aber gehe, umso höhere Erwartungshaltungen hätten sie. Meckern auf hohem Niveau, nennt das der Volksmund.

Ausbaufähig: Die meisten Teilnehmer der Bürgerbefragung sehen beim Angebot für Familien noch Luft nach oben.
Ausbaufähig: Die meisten Teilnehmer der Bürgerbefragung sehen beim Angebot für Familien noch Luft nach oben. | Bild: Steller, Jessica
Jugendlichen fehle es an passenden Angeboten in der Altstadt, meldete die deutlich überwiegende Anzahl der Umfrageteilnehmer zurück.
Jugendlichen fehle es an passenden Angeboten in der Altstadt, meldete die deutlich überwiegende Anzahl der Umfrageteilnehmer zurück. | Bild: Steller, Jessica
Im Vergleich zu anderen vom Pragma-Institut untersuchten Städten schnitt Markdorf schlechter ab.
Im Vergleich zu anderen vom Pragma-Institut untersuchten Städten schnitt Markdorf schlechter ab. | Bild: Steller, Jessica
Ein positives Ergebnis: Auswärtige gewinnen einen guten Eindruck von der Altstadt.
Ein positives Ergebnis: Auswärtige gewinnen einen guten Eindruck von der Altstadt. | Bild: Steller, Jessica

Eine zentrale Rolle in der Umfrage kommt den „teils, teils“-Balken zu. Der Laie zählt sie bei der Gewichtung von negativ und positiv nicht hinzu, sie würden es aber bewusst tun, sagen App und Messingschlager. Und nicht nur das: Sie rechnen die „teils, teils“-Antworten den positiven Antworten hinzu. Damit aber werden plötzlich alle 13 Fragen positiv beantwortet. Warum verfahren die Pragma-Chefs so?

„teils, teils“-Anworten eher positiv als negativ

Man habe, sagt Messingschlager, ja nicht nur diese Ja- und Nein-Antworten untersucht, sondern auch jene, für die die Bürger qualifizierte Aussagen treffen mussten, etwa bei den „Identifikationspunkten“ Gastronomie, Bodenseelandschaft, Freizeitangebot, Altstadt und Einkaufsstadt. In der Auswertung habe sich dann gezeigt, dass die „teils, teils“-Antworten im Sinne eines „Es ist schon gut, aber...“ zu interpretieren seien. Ergo seien die „teils, teils“-Antworten eher positiv als negativ.

Die „Lange Tafel“ in den Weinbergen war zu Beginn dieses Sommers ein großer Erfolg. Auch Urlauber nahmen an der Aktion des ...
Die „Lange Tafel“ in den Weinbergen war zu Beginn dieses Sommers ein großer Erfolg. Auch Urlauber nahmen an der Aktion des Winzervereins Hagnau teil. | Bild: Helga Stützenberger

Färbt sich das Pragma-Institut damit nicht ihre Bürgerbefragung schön? „Wir haben ja nichts davon, wenn wir die Antworten beschönigen“, entgegnet Messingschlager. In den Workshops sei darüber jedenfalls „sehr offen und schonungslos“ diskutiert worden – anders als in anderen Städten, die sie bereits betreut hätten. Die Markdorfer seien „sehr selbstbewusst, aber auch in außergewöhnlich hohem Maße bereit, sich zu engagieren“, sagt Messingschlager.

Die Altstadt punktet mit vielen schönen Ecken, wie hier an der Winzergasse. Vor allem an Wochentagen ist die Frequenz aber noch ausbaufähig.
Die Altstadt punktet mit vielen schönen Ecken, wie hier an der Winzergasse. Vor allem an Wochentagen ist die Frequenz aber noch ausbaufähig. | Bild: Grupp, Helmar

Die hohen Erwartungshaltungen in den Bürgerschaften macht Pragma-Geschäftsführer App auch an einer anderen Erfahrung fest. In den vergangenen Jahren hätten alle Bürger „schwere Dämpfer“ erlitten: Durch die Jahre der Corona-Pandemie und deren Folgen, unter denen die Innenstädte bis heute litten. Zudem gebe es aktuell generationenbedingt eine extrem hohe Aufgabe von inhabergeführten Einzelhandelsgeschäften. Auch das drücke die Stimmung in den Städten, sagt App. Der Fachkräftemangel wiederum treibe vor allem junge Menschen in die attraktiver gewordenen Angestelltenverhältnisse: bei gutem Lohn familienfreundliche Arbeitsbedingungen. „Selbstständigkeit will sich heute fast niemand mehr antun und das Problem wird sich noch weiter verschärfen“, sagt App. In Markdorf suchen Stadt und Berater mit den Workshops und dem ZiZ-Prozess Auswege daraus – und stehen aber noch ganz am Anfang.