Mit insgesamt 290 bestätigten Covid-19-Fällen hat der Bodenseekreis die geringsten Fallzahlen in Baden-Württemberg. Wie viele Fälle wurden bei Ihnen am Klinikum behandelt?

Martin Eble: Wir haben 42 Patienten behandelt, 15 Patienten hatten einen schweren Krankheitsverlauf und mussten beatmet werden. Fünf Patienten sind an einer Covid-19-Infektion verstorben.

Einblick in die Intensivstation.
Einblick in die Intensivstation. | Bild: Chris Werner

Wie viele Intensivbetten und Mitarbeiter waren nötig, um sich in der Hochphase um alle Erkrankten zu kümmern?

Martin Abberger: Wir hatten pflegerisch einen hohen Personaleinsatz und die Mitarbeiter mussten sehr flexibel und belastbar sein.

„Wir gehen davon aus, dass es wieder zu einem Ausbruch kommt.“
Martin Abberger

Martin Eble: Die Kliniken waren angehalten, alle planbaren Eingriffe abzusagen und nur Notfalleingriffe und dringende Behandlungen durchzuführen. Somit konnten wir erforderliches Personal freistellen. Zusätzlich wurde die gesetzliche Personaluntergrenze in der Intensivpflege bis zum 31. Dezember ausgesetzt. Wir verdreifachten unsere Intensivbetten-Kapazität auf 60 und haben die Anzahl der Beatmungsbetten von 24 auf 42 erhöht. Zudem haben wir sowohl beim ärztlichen als auch beim pflegenden Personal temporär ein anderes Dienstmodell eingeführt und die Arbeitszeit erhöht. Dadurch hatten wir 30 Prozent mehr Personal im Tagesdienst. Dieses Modell war aber nur kurzfristig zumutbar. Als absehbar war, dass wir weniger Fälle bekommen als geplant, haben wir es stufenweise wieder in den Normalzustand zurückgeführt.

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Chronologie der Covid-19-Pandemie am Medizin-Campus Bodensee

Muss das Pflegepersonal für die Covid-19-Patienten besonders ausgebildet sein?

Abberger: Wir haben zur Verstärkung Anästhesiepflegekräfte rekrutiert, die in den meisten Fällen bereits Intensiverfahrung haben. Die Kollegen bekamen eine Einweisung in die lebensnotwendigen und lebenserhaltenden Geräte.

Eble: Wir haben in Erfahrung gebracht, wer bereits entsprechende Erfahrungen hat. Während die einen den ambulanten OP-Bereich in eine Intensivstation umgerüstet haben, bekamen Mitarbeiter aus den verschiedensten Berufsgruppen, von den Chefärzten der Chirurgie bis zu den Pflegehilfskräften eine Crash-Einweisung in die Beatmungs- und Intensivtechnik. Das war eine gute Erfahrung, die uns in vielen Bereichen enger zusammengeschweißt hat.

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Wie hat sich die zusätzliche Belastung auf das Personal ausgewirkt?

Abberger: In der Hochphase haben alle an einem Strang gezogen. Dabei hat weniger die Mehrarbeit das Personal belastet. Vielmehr haben die Bilder aus Bergamo zu Angst und Sorgen geführt. Manche Kollegen haben sich aus Sorge vor einer Infektion von ihren Familien ferngehalten. Schließlich kommt das behandelnde Team in sehr engen körperlichen Kontakt mit den Patienten. Für das medizinische Personal war das Ansteckungsrisiko insbesondere bei Tätigkeiten im Kopfbereich von hustenden Patienten erheblich.

Anfang April: Die Intensivstation und die Intensivmedizin füllen sich mit Covid-19–Patienten.
Anfang April: Die Intensivstation und die Intensivmedizin füllen sich mit Covid-19–Patienten. | Bild: Medizin Campus Bodensee

Herr Eble, Sie haben das Klinikum auf die Pandemie-Welle vorbereitet, hätten mehr Erkrankte versorgt werden können?

Eble: Wir haben glücklicherweise nicht alle Kapazitäten ausschöpfen müssen. Wir waren, wie man sagt, immer Herr der Lage und eigentlich der Lage voraus, da wir Zustände wie in Oberitalien erwartet hatten. Hilfreich war die hervorragende Zusammenarbeit mit den Behördenvertretern der Stadt und des Landkreises und dem Gesundheitsamt. Mit Unterstützung des Landkreises, der in Vorleistung getreten ist, konnten wir frühzeitig Geräte zur Intensivbeatmung und für die Intensivbetten beschaffen. Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand hat an Krisensitzungen teilgenommen, um sich unmittelbar ein Bild der Lage zu verschaffen. Die großen Industriebetriebe der Stadt spendeten Masken, fertigten spezielle Infusionsständer an und versorgten uns mit Filtertechnik. Dazu kamen eine unglaubliche Solidarität und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.

Abberger: So wie wir personell und organisatorisch aufgestellt waren, hätten wir noch mehr leisten können.

Seit Mai hat das Klinikum Friedrichshafen eine Corona-Station, die ausschließlich Covid-19-Patienten behandelt.
Seit Mai hat das Klinikum Friedrichshafen eine Corona-Station, die ausschließlich Covid-19-Patienten behandelt. | Bild: Cuko, Katy
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Zu den Personen

Wie sah zu der Zeit der Arbeitsalltag des medizinischen Personals im Klinikum aus?

Abberger: Die schwerstkranken Intensivpatienten waren alle einzeln isoliert. Diese Patientenzimmer konnte das Personal nur mit persönlicher Schutzausrüstung betreten. Das bedeutet wasserdichte Schutzkleidung, FFP-Maske, Schutzbrille oder Gesichtsvisier, Kopfhaube, Schutzhandschuhe und Gummischuhe. Da diese Schutzkleidung potenziell kontaminiert ist, gibt es eine richtiggehende Choreografie, wie sie ausgezogen werden muss, damit man sich nicht selbst infiziert. Daher konnte man das Patientenzimmer nicht spontan verlassen. Wurde etwas von draußen gebraucht, musste es Assistenzpersonal durch eine Schleuse bereitstellen.

„Spritzenpumpen mit den Medikamenten mussten permanent überwacht werden, da bereits 30 Sekunden ohne ein bestimmtes Medikament für den Patienten tödlich sein konnte.“
Martin Abberger

Die Patienten in Bauchlage wurden regelmäßig zu dritt umgelagert, sie wurden über Infusionen künstlich ernährt und die Spritzenpumpen mit den Medikamenten mussten permanent überwacht werden, da bereits 30 Sekunden ohne ein bestimmtes Medikament für den Patienten tödlich sein konnte. Deshalb hat jeder einzelne Patient 24 Stunden lang eine Pflegekraft gebunden. Ein Team hat Zwölf-Stunden-Schichten gemacht, während der andere Teil der Belegschaft für den Normalbetrieb in Normalschicht weitergearbeitet hat. Gleichzeitig mussten auch die anderen Intensivpatienten wie zum Beispiel mit Schlaganfall und Herzinfarkt versorgt werden. Die Teams wurden dann in größeren Zeitabständen gewechselt. Zu Hochzeiten haben wir so bis zu 35 Intensivpatienten gleichzeitig versorgt.

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Eble: Auch die Ärzte haben in interdisziplinären Teams, bestehend aus Internisten, Anästhesisten und Chirurgen teilweise im Zwölf-Stunden-Schichtsystem gearbeitet. Schwierig war die Beschaffung von Schutzausrüstung. Hier waren wir wiederholt ungeahnten Herausforderungen ausgesetzt. Engpasssituationen konnten glücklicherweise abgewendet werden. Zum Alltag des Krisenstabs gehörte, sich nahezu rund um die Uhr auf die Änderungen der Lage, die einzuhaltenden Vorgaben und Richtlinien einzustellen und die neuesten medizinischen Erkenntnisse umzusetzen.

Während er ersten Wochen schicken Pflegepersonal und Ärzte landauf, landab diese Botschaft nach draußen: „Wir bleiben für euch da, ...
Während er ersten Wochen schicken Pflegepersonal und Ärzte landauf, landab diese Botschaft nach draußen: „Wir bleiben für euch da, bleibt ihr für uns daheim.“ Hier das Geburtshilfe-Team. | Bild: Klinikum Friedrichshafen

Gab es noch Kapazitäten, um die „normalen“ Fälle zu versorgen?

Eble: Ja, die gab es. Wir wissen aber auch, dass sich Patienten mit Symptomen aus Angst vor einer Ansteckung teilweise gar nicht in Behandlung begeben haben. Um genau dies zu verhindern, haben wir die strikte Trennung der Covid-19-Patienten forciert. Trotz Corona-Richtlinie konnten wir uns deshalb in unklaren Fällen auch individuell für die Behandlung des Patienten entschieden.

„Solange man die Kontrolle darüber hat, welcher Patient von wem versorgt wird, ist alles gut.“
Martin Eble

Kann man sagen, dass sie froh darüber sind, dass uns Szenarien wie in Italien erspart blieben?

Eble: Definitiv ja. In dem Moment, in dem das System überfordert wird, sinkt die Versorgungsqualität überproportional. Solange man die Kontrolle darüber hat, welcher Patient von wem versorgt wird, ist alles gut. Sowie das nicht mehr möglich ist, entsteht Chaos und die Struktur bricht zusammen. Deshalb habe ich auch dafür plädiert, keine weiteren zusätzlichen Beatmungsplätze einzurichten, da wir nicht mehr Beatmungspatienten hätten versorgen können.

Bitte Mundschutz auf und einmal Fieber messen am „Besucher“-Eingang: Auch jeder Gast im Klinikum wird erfasst und ...
Bitte Mundschutz auf und einmal Fieber messen am „Besucher“-Eingang: Auch jeder Gast im Klinikum wird erfasst und protokolliert. Das war Mitte Mai. | Bild: Cuko, Katy

Im Mai hat das Klinikum eine isolierte Corona-Station für 18 Patienten eingerichtet, die erste in Baden-Württemberg. Gehen Sie von erneut ansteigenden Fallzahlen aus oder richten Sie sich darauf ein, dass uns das Virus noch länger begleitet?

Abberger: Wir gehen davon aus, dass es wieder zu einem Ausbruch kommt.

„Wir wünschen uns weniger Applaus, dafür mehr Wertschätzung aller Pflegekräfte in allen Bereichen und in jeglicher Hinsicht.“
Martin Abberger

Eble: Die Pandemie wird uns so lange erhalten bleiben, bis ein Impfstoff gefunden ist. Denn nach wie vor fehlen entscheidende Erkenntnisse zur Übertragung und zu den unterschiedlichen Verlaufsformen der Erkrankung. Deshalb brauchten wir zum Schutz von Patienten und Personal eine nachhaltige Lösung. Wir rechnen damit, dass wir dort mindestens bis Ende des Jahres Verdachtsfälle beobachten und Covid-19-Patienten behandeln müssen. Im Ernstfall lässt sich mit dem bestehenden ärztlich- pflegerischen Einsatzkonzept unsere Struktur wieder in den Krisenmodus versetzen.

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Wenn Sie sich im Hinblick auf die Pandemie etwas wünschen dürften, was wäre das?

Abberger: Weniger Applaus, dafür mehr Wertschätzung aller Pflegekräfte in allen Bereichen und in jeglicher Hinsicht. Zudem wünsche ich mir, dass die zweite Welle eine kleine ist oder gar nicht erst kommt.

Eble: Ich wünsche mir, dass wahrgenommen wird, was ein Krankenhausverbund in einer Krisensituation zu leisten in der Lage ist. Sorge bereitet uns die wirtschaftliche Situation, die durch die Pandemie und die Freihaltung von Behandlungsplätzen noch verschärft wurde. Deshalb hoffen wir, dass uns die große Solidarität der Bürger in den vergangenen Wochen erhalten bleibt. Und dass die Menschen den Spannungsbogen aufrechterhalten: Maske tragen, Hände waschen, auf Abstand achten.

Ende März: Zelte stehen vor dem Medizinischen Versorgungszentrum – Vorkehrungen werden getroffen.
Ende März: Zelte stehen vor dem Medizinischen Versorgungszentrum – Vorkehrungen werden getroffen. | Bild: Lena Reiner