Aus Gänseblümchen, Efeu oder Gräsern ragen Pins mit QR-Codes heraus. Sie führen zu Links mit Vogelstimmen. Je mehr Besucher die Töne aufrufen, desto vielfältiger wird die Klanglandschaft. Die Klanginstallation „Echoes of the fireflies“ – „Echo der Glühwürmchen“ des kolumbianischen Künstlers Juan Bermúdez holt heimische Flora und Fauna in das Foyer der Zeppelin-Universität und setzt sie spielerisch in Beziehung zu Technik und Betrachtenden.
Das Glühwürmchen-Echo eröffnet die Ausstellung „Between – Sensing potential worlds“ im ZU-Campus am Seemooser Horn; eine Ausstellung, die die Betrachter dazu einlädt, eine Nacht lang in verschiedene Welten und Zukunftsszenarien einzutauchen. Sie ist das Ergebnis eines Kurses am Lehrstuhl für Kunsttheorie und Inszenatorische Praxis bei Rahel Spöhrer und Bilge Hasdemir. Elf Studierende haben die Werkschau im Lauf des Semesters organisiert, von der Auswahl der Kunstwerke über Budgetplanung, Transport, Präsentation und Marketing bis hin zur Sponsorensuche.
Sie thematisiert auf verschiedenen Ebenen die fließenden Übergänge zwischen Natur und Technik, Umgebung und Individuum und macht diese sinnlich erfahrbar. Erst die Interaktion vervollständigt die Kunstwerke. So ist das einer Mohnkapsel nachempfundene Häuschen von Sebastian Hesse begehbar – der Formenreichtum der Natur wird zur architektonischen Möglichkeit.

Für „Neural Network Dreaming“ von Hackstage lädt Karen Juhls Schlaflandschaft aus Matratzen, Kissen, Decken und kleinen Höhlen zum Ausruhen ein. Zu sphärischen Klängen entfalten sich an zwei Wänden Bilder zwischen Abstraktion und Realismus als Analogie auf die Welt zwischen Tag und Traum. Das leise Schnarchen eines Besuchers zeigt, dass das Konzept aufgeht.
Manche Begegnungen verlaufen subtiler: Beruhigend wirken „Órbitas“ – „Laufbahnen“, ebenfalls von Juan Bermudez. Zu sanft bewegter Musik leuchten und verlöschen drei Lampen im je eigenen Rhythmus und erinnern an die Weite des Alls.
Dagegen wird manchen von „RGBW“ – Rot-Grün-Blau-Weiß – von Dawid Liftinger und Camilo Sandoval nach einer Weile übel. Ein rasend schnell rotierender Spiegel wirft farblich mehrfach gebrochenes Licht an die Wände. Unbehagen löst Yve Ohs „Person1_00_Encoded“ aus. Videos einer Turnerin werden mit der fehlerhaften digitalen Wiedergabe ihrer Bewegungen auf Grundlage einer Überwachungssoftware überlagert. Néstor des Barrios Video „Titanio“ irritiert mit wuchernden Rohren über Meerwasser.
„Digesting proximity“ – „Nähe verdauen“
Besonders deutlich macht das Konzept der Interaktion das Werk „Digesting proximity“ – „Nähe verdauen“ von Grace Gloria Denis. Sie hat am Bodensee die Zutaten für ein bodenständig-kreatives Menü gefunden: mit lila Karotten gefüllte Rotkohlrouladen, Rote-Beete-Hummus im Kohlblatt, Kürbissuppe mit Walnüssen und Grünkohl-Pesto, dazu frischen Salbeitee und als Nachtisch eine gebackene Birne.
Während die Essenden in mehrfach gestuften Sitzgruppen für jeden Gang den Platz wechseln, können sie ihre Heimatlandschaft per Geschmackssinn erkunden und über das Regionale im Angesicht von Monokulturen und Globalisierung nachdenken. Am Ende ist das Kunstwerk verspeist, die Anregungen aber bleiben. Die Ausstellung war nur einen Abend lang zu erleben.

Die Sinne
Die Sinne, mit denen wir die Welt auf einzigartige Weise wahrnehmen, haben während der globalen Pandemie eine neue Bedeutung bekommen: Wie oft haben wir uns nach Berührung gesehnt? Wie schnell wurde Berührung zur Bedrohung? Wie sehr haben wir unserem Gegenüber wirklich in die Augen schauen wollen – und nicht bloß in die Kamera? Wie schlimm war es, aufgrund des Virus nicht schmecken und riechen zu können? Durch den Verlust vielfältiger Sinneseindrücke, bzw. durch die Gefahr der sinnlichen Berührung, sind die Sinne auf neue Art und Weise ins Zentrum gerückt. Wie Leben, ohne Berührung? Wie die Welt verstehen, wenn die Sinne beschnitten sind? Wie Möglichkeiten imaginieren, wenn die Welt in all ihrer sinnlichen Vielfalt abhandenkommt? Die fünf Sinne stehen, aufgrund der neu entdeckten Bedeutung durch Corona, daher im Zentrum der Ausstellung und verbinden sich mit der Frage nach möglichen Welten. Denn mit Corona, dem Verlust der Sinne, und des sozialen Miteinanders, geht auch der Verlust von bekannten Welten einher.Das lesen Sie zusätzlich online
Videos und weitere Bilder zur Ausstellung in der Zeppelin Universität im Internet: