Ein kaputter Rollkoffer, leere Kanister, die mal mit Dieselzusätzen und Scheibenenteiser befüllt waren, ein demolierter Kosmetikkoffer und drei Säcke voll mit Kleinteilen und Abfällen aller Art: Das war das Ergebnis einer Müllsammelaktion, die Mitglieder des „Netzwerks für Friedrichshafen“ an einem Samstag im Mai unternommen hatten.
Sie hatten die Böschungen am Ostufer der Rotach zwischen Flugplatzstraße und dem Messeparkplatz, aber auch den Entwässerungsgraben am P7 abgesucht. Nach etwa anderthalb Stunden habe sich Ernüchterung breit gemacht, teilte das Netzwerk mit. „Wir würden mehrere Tage brauchen, um die Gebüsche müllfrei zu bekommen, denn hier nutzen viele Parkplatzbenutzer die Rotach als Müllkippe und Klo“, stand in der Mitteilung.
Müll an Spazierwegen
Sanne Weber weiß um die Problematik. Sie wohnt seit Jahrzehnten in ihrem Elternhaus an dem kleinen Fluss, der bei Wilhelmsdorf entspringt und nach rund 40 Kilometern in Friedrichshafen in den Bodensee mündet. Gerade die letzten Kilometer der Rotach sind ein beliebtes Naherholungsgebiet. Die Spazierwege entlang des Ufers laden aber auch viele dazu ein, hier achtlos ihren Müll ins Gebüsch zu werfen. Da liegen immer wieder Chipstüten, Flaschen, Reste von Umverpackungen aller Art, sogar gelbe Säcke mit Inhalt.

Seit gut 20 Jahren, erzählt die Mitstreiterin beim Netzwerk, die für diese Liste auch bei der Ratswahl kandidiert hat, sammle sie immer wieder Müll entlang des Flusses ein, weil er da einfach nicht hingehöre. Seit Februar betreibt sie diese Aktion mit Fleiß und System. Jeden Samstag um 14 Uhr startet sie ihre Runde am Herz-Jesu-Kreuz an der Aistegbrücke. Und immer öfter kommen Leute mit, die sich an der Müllsammlung beteiligen.
„Die Aktion soll ein Beispiel geben, selbst im eigenen Umfeld aktiv zu werden und Müll einfach zu sammeln, wenn er da liegt“, sagt sie. Denn das Problem insgesamt ist ihrer Auffassung nach so dringend geworden, dass es zu spät sei, die Verantwortung für Weggeworfenes auf die Verursacher oder die Bauhof-Mitarbeiter zu schieben und deswegen daran vorbei zu gehen. „Die öffentlichen Flächen gehören uns allen und deswegen sollten wir uns auch alle dafür verantwortlich fühlen“, meint Sanne Weber.
Müll sammeln, nicht häckseln
Und doch ärgert sie sich darüber, weil das Thema ihrer Meinung nach immer noch nicht den Stellenwert hat, den es braucht. Müll liegt auch dann in den Böschungen, wenn sich die Mitarbeiter des Bauhofs dort ans Mähen machen. Die Folge: Der Müll, oft aus Plastik, werde in kleine Stücke gehäckselt. „Unter den Büschen dürfte die gesamte Böschung mit Plastikmüll übersät sein, an den man kaum noch heran kommt“, beklagt Sanne Weber. Beim nächsten Hochwasser schwimme der Dreck dann auf und treibe in den Bodensee – den Trinkwasserspeicher für fünf Millionen Menschen. Schon oft habe sie versucht zu intervenieren, ohne Erfolg. „Noch schlimmer als ein To-go-Becher im Gras ist ein geschredderter To-Go-Becher im Gras“, appelliert Sanne Weber unter anderem an die Müllsünder, sich auch dieses Problem bewusst zu machen.

Mit Kunst aufmerksam machen
Bewusst machen: Genau das ist auch der Ansatz einer Gruppe von Häfler Frauen, die vor Monaten angefangen haben, die Bäume an der Rotach zu umstricken. Guerilla Knitting nennt sich diese Kunstform – Stricken für eine bessere Welt sozusagen (siehe Kasten). Die Aktivistinnen selbst wollen unerkannt bleiben, stehen aber ebenfalls dem Netzwerk nahe und werden von der Bürgerliste unterstützt und gesponsert.

Über 20 Bäume am Ufer des Flusses tragen inzwischen so eine Art gehäkelten oder gestrickten „Bauchring“. Fast jeder ist mit einem Spruch, einem Gedicht oder einer Botschaft ausgestattet. Zu Wort kommen Reiner Maria Rilke, Hermann Hesse oder Einstein. Sogar ein gestricktes Insektenhotel hängt einem Baum. Es ist unschwer zu erkennen, dass den Machern, die sich „Guerilla Knitting FN„ oder auf einem Exemplar auch „Die Rotachwächter“ nennen, der Naturraum Rotach wichtig ist. Auf einer Baummanschette kommt das direkt zum Ausdruck: „Bitte werfen Sie keinen Müll in die Natur, niemals, nirgends.“ So werden die Bäume an der Rotach selbst zu bunten Botschaftern für mehr Achtsamkeit und Respekt nicht nur an diesem Fluss.
Eine Art Straßenkunst
Guerilla Knitting ist eine Art der Straßenkunst, bei der Gegenstände eingestrickt oder umhäkelt werden. Meist handelt es sich um das Anbringen eines handgearbeiteten Gegenstandes an einem festen Objekt auf der Straße oder um das Zurücklassen eines Strick- oder Häkelmodells in der Landschaft. Häufig werden die Pfeiler von Laternen, Straßenschildern oder Parkuhren umstrickt. Man findet aber auch umgarnte Bäume, Zäune oder Denkmäler. Guerilla Knittings stammt aus den USA. In Houston/Texas gründete Magda Sayeg 2005 die Gruppe Knitta Please, auch bekannt unter der Kurzform Knitta. Sayeg umstrickte eines Tages die Türklinke ihres Ladens, um mehr Farbe in ihre vorwiegend graue Umgebung zu bringen, später sogar einen ganzen Bus. 2010 tauchten in Frankfurt die ersten Strickgraffitis auf, die weltweit populär wurden. (kck)