Mobbing an Schulen ist nur ein Thema unter Teenagern auf Brennpunktschulen und in Großstädten, denken viele. Weit gefehlt. Mobbing gibt es heute in jeder Schule, auch in ländlichen Gebieten. Dies zeigt ein konkreter Fall aus der Region.
Achtjähriger Junge wird drangsaliert
Felix (Name von der Redaktion geändert) spielt mit seiner Oma ein paar Tische weiter, während seine Eltern erzählen, was der acht Jahre alte, ruhig wirkende Junge, in seinem ersten Grundschuljahr erleben musste. Ihr Sohn sei bald täglich von Mitschülern drangsaliert worden, ohne dass sie es bemerkt hätten, erzählt die Mutter.
Ans Tageslicht gekommen seien die Vorfälle durch den Hinweis dritter Personen. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich davon erfahren habe, dass Felix von älteren Schülern in der Pause sprichwörtlich abgepasst und drangsaliert wird“, berichtet sie. Die Gemeinheiten umfassten das Wegnehmen von Jacke und Schuhen auf dem Pausenhof mitten im Winter, Tritte versetzen oder gegen die Wand drücken.
Betroffener verliert an Selbstvertrauen
Die Eltern wurden aktiv. „Nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen der Klassenlehrerin und unserem Sohn wurde die Schulsozialarbeiterin involviert, die alle beteiligten Kinder an einen Tisch holte, auch den Täter.“ Nach dieser Aussprache sei das Thema für die Schule erledigt gewesen, so Felix‘ Vater.
Für die Familie jedoch noch lange nicht. „Unser Sohn wurde über Wochen hinweg systematisch gemobbt, es hat regelrecht eine Hetzjagd auf ihn stattgefunden. Er hat dadurch deutlich an Selbstvertrauen verloren." Bis heute verstehen die Eltern nicht, warum die Erziehungsberechtigten des Täters nicht von der Schule über die Vorfälle informiert wurden. Mittlerweile besucht Felix eine andere Schule, an der er sich wohlfühlt und neue Freunde gefunden hat.

Mobbing an Grundschulen verbreitet
Der Fall von Felix ist kein Einzelfall. Das bestätigen Christopher Knörich, Lehrer an der Grundschule Bermatingen, und Eva Ziegler, die dort als Schulsozialarbeiterin tätig ist. Auch an ihrer Schule gäbe es Fälle von Mobbing und Ausgrenzung. Viele Kindern hätten mit mangelnder Frustrationskontrolle und fehlender Selbstdisziplin zu kämpfen. Sie kämen mit dem von der Schule gewünschten Verhalten nicht zurecht. Auch Konzentrationsschwächen und Lernprobleme seien heutzutage verstärkt zu beobachten. Dies führe mitunter zu verbalen Beleidigungen oder aggressivem Verhalten.
Ziegler weiter: „Vorfälle werden an erster Stelle vom Klassenlehrer behandelt. Sofern es notwendig ist, unterstütze ich dann als Schulsozialarbeiterin.“ Ein Patentrezept für den Umgang mit Mobbingfällen gäbe es nicht, jedes Problem müsse individuell betrachtet werden. Am einfachsten ließen sich laut Ziegler Probleme angehen, wenn die betroffenen Eltern mit an einem Strang ziehen würden.
Präventionstraining in den Klassen
Als Mobbing-Prävention und zur Sensibilisierung der Schüler gäbe es in den Klassen ein Präventionstraining, erläutert Knörich. Dabei würde den Schülern kindgerecht vermittelt, was Frustrationstoleranz oder Selbstkontrolle bedeuteten. Zum Training gehöre es auch, mit den Kindern Szenen nachzustellen, zum Beispiel zum Thema "Gewaltfreie Selbstbehauptung."
Rollenverteilung im Mobbing
Tina Thiel, Schulsozialarbeiterin an der Jakob-Gretser-Schule. weiß, dass Mobbing in allen Schulstufen auftritt. Sie ist jedoch der Meinung, dass Eltern oft zu schnell von Mobbing sprechen würden und sich die Situation dann häufig als Hänselei unter Kindern entpuppe.
Bei Mobbing, der systematischen Herabwürdigung einer Person über einen längeren Zeitraum durch eine Gruppe, gäbe es verschiedene Rollen innerhalb der Gruppe, erläutert Thiel: „Es gibt Opfer, Täter, Mitläufer, Zuschauer und Unterstützer des Täters. Der Täter will Kontrolle über jemanden gewinnen, Anerkennung erfahren und Macht ausüben. Das alles kann befriedigt werden, indem massiv das Gegenteil von sozialem Verhalten praktiziert wird, auf Kosten des Opfers.“
Auch an der Jakob-Gretser-Schule wurden Präventivmaßnahmen etabliert. In der ersten Klasse fände ein sozial-emotionales Kompetenztraining statt, bei dem die Kinder lernten, angenehme Gefühle von unangenehmen zu unterscheiden, über Gefühle zu reden, ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen und auch „Nein“ zu sagen, so Thiel.
In der dritten Klasse gäbe es ein Sozialtraining mit einer verdeckten Abfrage, ob Mobbing unter Schülern auftrete. Es sei auch wichtig, die Lob- und Anerkennungskultur unter den Kindern, besonders im System Schule, zu stärken, da diese oft zu kurz käme. Außerhalb der Schule müssten natürlich die Eltern ihre Kinder gut beobachten, um bei auftretenden Problemen frühzeitig eine individuelle Lösung zu finden.
Diplom-Psychologe gibt Tipps für Eltern
In seiner Markdorfer Praxis betreut Diplom-Psychologe Andy Kramer auch Mobbingfälle. Der Zugang zur Therapie sei heute zum Glück wesentlich leichter, als früher. Im Interview verrät er, was Eltern tun können, wenn ihr Kind gemobbt wird.
Schulsozialarbeit
- Unter Schulsozialarbeit versteht man eine präventive Form der Kinder- und Jugendhilfe. Sie ist unabhängig, neutral und unterliegt der Schweigepflicht.
- Sie bietet Schülern, Eltern und Lehrern Hilfe und Beratung in vielschichtigen Konflikt- und Problemsituationen, wie Mobbing, Lernschwierigkeiten, Konzentrationsproblemen, Prüfungsangst, Schulvermeidung, sozialen Auffälligkeiten, Erziehungsproblemen, familiären Konflikten und vielem mehr.
- Schulsozialarbeit versteht sich bei Bedarf als Bindeglied zwischen Schulleitung, Lehrkräften, Jugendamt, Familientreffs oder auch Beratungsstellen und anderen Institutionen. Sie bietet Unterstützung auch bei längerfristigen Betreuungs- und Hilfeangeboten.
- Darüber hinaus gehört Präventionsarbeit mit Gruppen und Klassen zum Aufgabengebiet der Schulsozialarbeit. Dazu zählen die Erweiterung oder Schaffung sozialer Kompetenzen, Gewaltprävention, Prävention gegen sexuellen Missbrauch oder auch die Ausbildung von Streitschlichtern.