Die koreanische Kampfkunst Taekwondo kann man nicht an einem Vormittag erlernen. Wenn aber 120 Achtklässler der Markdorfer Schulverbunds am Bildungszentrum einen Schnellkurs bei Ismael Yacouba, württembergischer Landesmeister, und Boris Winkler, Bundestrainer der Deutschen Taekwondo Union, absolvieren, dann steht nicht der sportliche Ehrgeiz im Vordergrund. „Ihr sollt vor allem eines mit nach Hause nehmen“, sagt Bundestrainer Winkler zu den Schülern in der Stadthalle, „dass ihr der Gewalt unbedingt aus dem Weg geht.“

Auf Gelassenheit kommt es an
Nur im äußersten Notfall seien die Tritte und Hiebe des Kampfsports erlaubt – zur Selbstverteidigung. Etwas anderes aber lasse sich außerdem lernen: mehr Körper- und mehr Selbstbewusstsein. Denn allein schon das Wissen um die eigene Fähigkeit, sehr wirkungsvoll zutreten zu können, lasse einen sicherer und gelassener dastehen. "Und auf diese Gelassenheit in schwierigen Situationen kommt es an“, so Boris Winkler.

Trainer machen die Übungen vor
Sie stehen sich gegenüber. Manche blicken eher ratlos. Andere deuten schon an, was gleich kommt. Ismael Yacouba hat es gerade auf der Bühne vorgeführt. Erst schnell, dann quasi in Zeitlupe tritt er gegen das Kunstlederkissen, das Boris Winkler mit locker ausgestrecktem Arm auf Beckenhöhe hält. Bei den allermeisten Schülern gelingt der Tritt weniger präzise, wenn sie das „Pratze“ genannte Kissen überhaupt treffen.
Projektwoche soll gewaltfreies Miteinander fördern
Gewaltprävention durch Kampfsport, das ist die Idee, die hinter dem Konzept steht. Einmal im Jahr laden die Lehrer der Realschule zu einer Projektwoche ein, bei der das gewaltfreie Miteinander geübt, über die Entstehung von Aggression und Gewalt informiert und gute Formen des sozialen Miteinanders einstudiert werden.

Gerichtsbesuch, Parcours und Vortrag stehen auf dem Programm
Zum Programm gehört ein Vortrag von Kriminalhauptkommissar Peter Köstlinger zum Thema Mobbing auf dem Schulhof und im Internet sowie der Besuch der aktuellen Ausstellung im Friedrichshafener Jugendzentrum Molke. Dort durchlaufen die Jugendlichene einen Parcours mit dem Titel „Echt krass!“, bei dem es um sexuelle Gewalt geht. „Wir gehen auch zu einer Gerichtsverhandlung“, erzählt Lehrer Fritz Löffler.

Training macht den Schülern Spaß
Die Schüler haben sich beim Taekwondo-Training inzwischen immer weiter hoch gearbeitet. Einige beherrschen die Grundlagen der Kampfkunst schon wie selbstverständlich. Andere müssen passen, wenn es gilt, den Fuß auf Kopfhöhe schnellen zu lassen. Doch selbst ihnen ist anzusehen, dass ihnen das Training Spaß macht.
„Ich bin ganz überrascht, wie gut Trainer Winkler die 120 Schüler im Griff hat“, staunt Lehrer Löffler. Ihn freue, „dass sich die Kinder bewegen“. Das sei heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr.
Präventionsprogramm soll Selbstbewusstsein stärken
Seine Kollegin Ginette Heger sieht einen weiteren positiven Aspekt, den bereits Boris Winkler angedeutet hatte: „Hier baut sich Selbstbewusstsein auf. Selbstbewusstsein, das nötig ist, um klare Grenzen zu markieren.“ In der Regel funktioniere das, doch nicht bei allen. Und diesen Jugendlichen könnten Präventionsprogramme den richtigen Weg weisen.

"Wir setzen aufs Gespräch", sagt Veronika Elflein, Leiterin der Realschule. Im Interview erzählt sie, warum Gewaltprävention an ihrer Schule ein Dauerthema ist
Frau Elflein, was bedeutet Gewaltprävention an Ihrer Schule?
Das, was der Begriff besagt: Prävention heißt Vorbeugung. Im Sinne eines gedeihlich-freundlichen Miteinanders an unserer Schule tun wir einiges, damit Gewalt erst gar nicht entsteht. Wir reagieren also nicht erst dann, wenn schon etwas passiert ist.
Und was unternehmen Sie konkret im Bereich Gewaltprävention?
Wir bringen den Schülern – schon wenn sie in der fünften Klasse zu uns an die Realschule kommen – bei, dass Gewalt kein Mittel ist, Konflikte zu lösen. Stattdessen setzen wir aufs Gespräch. Deshalb gibt es einen gemeinsamen Klassenrat, in dem Probleme angesprochen werden. Wenn zum Beispiel jemand mit einem Spitznamen geneckt wird, geht das vor dieses Gremium. Persönlichere Dinge dagegen werden zusammen mit dem Klassenlehrer oder unserer Schulsozialarbeiterin beraten. Als weiteres Element haben wir unser Streitschlichterprojekt. Da kümmern sich ältere Schüler, wenn jüngere aneinandergeraten sind.
Gewaltprävention ist an der Realschule also quasi ein Dauerthema?
Ja genau, aber nicht weil es bei uns mehr Gewalt gäbe als an andere Schulen, sondern weil wir immer wieder auf die Vorbeugung zurückkommen – im Unterricht oder durch besondere Events wie zum Beispiel die Stunden mit Kriminalhauptkommissar Peter Köstlinger, in denen er über Cyber-Mobbing berichtet. Wir gehen Schritt für Schritt vor. In Klasse sechs arbeiten die Schüler am Klassenklima, in sieben geht es um Suchtprävention, in acht um körperliche Gewalt.
Gibt es denn Fälle, bei denen die Prävention nicht gegriffen hat?
Die gibt es an jeder Schule. Bei uns sind es aber Einzelfälle, bei denen wir dann nicht nur streng sanktionieren, sondern weiterhelfen wollen – zum Beispiel durch unsere Kooperation mit dem Projekt „Gewaltfrei durchboxen“. Im vergangenen Jahr hat uns der Kreis das Siegel „Gesunde Schule“ verliehen – und dies für unsere gelingende Gewaltprävention.
Fragen: Jörg Büsche