Sonja Roth kratzt mit einem Spatel alte Farb- und Schmutzreste von den Bodenfliesen, Carla Klose kärchert, Antonia Ronner und Jannik Oslender glätten die Wände. Bis in knapp einer Woche wollen sie das alte Ladenlokal sanieren und in ein öffentliches Wohnzimmer umgestalten. Der Raum am Buchhornplatz 6 stand zuletzt leer und wurde als Lager genutzt. „Wir wollten das Seekult-Festival in die Innenstadt holen. Dieser Raum wird unser Hauptquartier, wir werden ihn für Filmabende, Videoinstallationen und als Café nutzen“, sagt Niklas Ehret, einer der Projektleiter.

Zwölf Studenten der Zeppelin-Universität (ZU) organisieren das Seekult-Festival im Rahmen eines Seminars. Vom 20. bis 29. Oktober bieten sie 23 Veranstaltungen an. In dem Raum am Buchhornplatz sind Bar- und Filmabende geplant, Wohnzimmerkonzerte mit Lora und Flirt sowie Videos von Alicia Augustin und Riikka Tauriainen. Auf dem Buchhornplatz laden die Installationen „Beam me up, Scotty“ und ein Projekt von Charlotte Hayes und Lotte Schäff ihr Publikum zum Mitmachen ein. Beim Auftaktkonzert stehen die Berliner Sängerin Catlaine, Morris und Odi sowie das Trio Schorl3, dessen „Sprudelpop“ schon bei der Langen Nacht der Musik begeisterte, im Kulturhaus Caserne auf der Bühne.
Ebenfalls auf dem Festivalprogramm stehen Führungen durch das Zeppelin Museum, den Kunstverein, die „Katakomben des Graf-Zeppelin-Hauses“ und die Ausstellung von Riikka Tauriainen. Am Sonntag leiten der Journalist Jens Poggenpohl und Markus Müller, Präsident der Landesarchitektenkammer, zu einem „Spaziergang für Schwarzseher“ – einen Stadtrundgang zwischen Geschichte, Industrie und Architektur.
Das Festival trägt in diesem Jahr den Titel „Grauzonen. Ein Festival der Zwischenräume“. Das Organisationsteam der ZU hat sich zu Beginn der Planungen intensiv mit Friedrichshafen und seiner Geschichte auseinandergesetzt. „Wir finden es sehr spannend, dass die Industrie in der Stadt eine so prominente Rolle spielt. Und es ist uns aufgefallen, dass es hier viele Identitäten gibt, die sich nicht mischen. Das finden wir schade“, sagt Ehret. Auch deshalb hat das studentische Festival in diesem Jahr seine Heimat im Fallenbrunnen verlassen, ist mitten in die Stadt gezogen und Kooperationen eingegangen mit Zeppelin Museum, Kunststiftung, Kunstverein, Kulturhaus und Firmen.

In Friedrichshafen vermisst das Organisationsteam öffentliche Räume, in denen sich Menschen begegnen können, ohne etwas zu konsumieren. Sein Wunsch wäre, das Wohnzimmer für alle über das Festival hinaus bestehen zu lassen. „Unser Konzept ist als Zwischennutzung gedacht. Wir bekommen den Raum mietfrei von der Besitzerin und richten ihn dafür her. Im Anschluss könnte er als Kulturraum für studentische und andere Projekte genutzt werden“, sagt Niklas Ehret. Während des Festivals ist der Raum geöffnet. Jeder ist eingeladen, sich dort aufzuhalten und Kontakte zu knüpfen. Eintritt zahlen oder ein Getränk kaufen muss dafür niemand. Alle Veranstaltungen bis auf das Eröffnungskonzert sind gratis.
Bei der Sanierung und Gestaltung des Raums unterstützt das Architektenkollektiv Baukreisel. Die Mitglieder haben sich vor dem Hintergrund von Ressourcenknappheit und Klimakrise dem sogenannten zirkulären Bauen verschrieben. Jonas Läufer vom Kollektiv gefällt es, einen Raum zu renovieren, der durch die intensive Nutzung als Pizzeria, Imbiss und Kiosk verschlissen wurde. „Wir arbeiten hier mit viel Sorgfalt, sodass wirklich eine Verbesserung entsteht“, sagt er.
Zum zirkulären Bauen gehört auch die weitere Nutzung von Baustoffen nach einem Abriss. „Dieses Material wird beim konservativen Bauen auf die Deponie geworfen. Aber vieles davon kann man wiederverwenden“, sagt Läufer. Im Raum am Buchhornplatz hängen zum Beispiel Lampen aus einer Grundschule in Ditzingen, die das Kollektiv vor dem Abriss durchforsten durfte. Auch ein Vorhang aus der Schule wird wieder eingesetzt. Die beweglichen Möbel werden teils aus Gebrauchtem aufgearbeitet, teils neu gebaut und nach Abschluss des Festivals zur Deckung der Kosten verkauft.
Es bleibt noch einiges zu tun am Buchhornplatz 6, vom Streichen der Wände und der Decke über das Anbringen eines Beamers bis zur Renovierung der Toiletten. Aber Studenten und Architekten sind optimistisch, dass sich hier in wenigen Tagen jede Menge Kunst, Kultur und Begegnung ereignet.