Wie kamen Sie in die Ankaufkommission?

Die Besetzung der Ankaufkommission erfolgt auf Empfehlung. Alle fünf Jahre wird sie mit fünf Kunsthistorikern neu besetzt. Diese Gruppe entscheidet, um welche Werke die Kunstsammlung der Bundesrepublik Deutschland, also die Bundeskunstsammlung, in diesen Jahren erweitert wird. Ich erhielt eines Tages aus dem Referat für Bildende Kunst der Kulturstaatsministerin Claudia Roth einen Anruf, in dem mir meine Berufung mitgeteilt wurde. Ich habe sie natürlich begeistert und gerne angenommen. Das war vor einem Jahr. Für mich ist das auch eine sehr schöne Bestätigung der Arbeit, die wir hier im Zeppelin Museum in Friedrichshafen leisten.

Was macht die Kommission?

Wir müssen Antworten auf die Frage finden, welche zeitgenössischen Werke so bedeutend sind, dass sie in die Bundeskunstsammlung aufgenommen werden sollten. Welche künstlerischen Positionen repräsentieren das aktuelle Kunstschaffen in Deutschland, welche Werke leisten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kunst und spiegeln, wie Kunst auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert? Dabei liegt der Fokus auf Künstlern, die in Deutschland leben und arbeiten. Denn die Bundeskunstsammlung soll die Kunstproduktion hierzulande unterstützen und abbilden. Die Sammeltätigkeit des Bundes erfüllt also eine wichtige kulturelle und gesellschaftliche Aufgabe. Und das schon seit 1971.

Die Initiative geht auf Willy Brandt zurück, der die Idee des damaligen Vorsitzenden des Deutschen Künstlerbunds Georg Meistermann aufgriff. Natürlich wurde in den frühen Jahren ganz anders gesammelt als heute – es ging zunächst nur um westdeutsche Künstler, und die Kommission bestand aus männlichen Museumsdirektoren, die überwiegend männliche Künstler gesammelt haben. Daher haben bereits die vorherigen Kommissionen geschaut: Was fehlt? Das können weibliche oder queere Künstler sein, oder ostdeutsche Positionen. Wir fragen uns aber auch: Welche Medien sind wichtig und wo gibt es Lücken, etwa im Bereich der Videoinstallationen.

Wie entscheiden Sie, was Sie kaufen?

Es findet ein intensiver Diskurs zwischen den Kommissionsmitgliedern statt, denn wir entscheiden gemeinsam. Wir sind eine sehr diverse Gruppe, drei Frauen, zwei Männer, aus unterschiedlichen Generationen und mit unterschiedlichen Hintergründen. Der Austausch ist eine Bereicherung, da wir teilweise ganz verschiedene Sichtweisen auf die Kunst haben. Unser Anspruch ist: Wir wollen das sammeln, was für unsere Zeit relevant ist. Am Ende steht eine Ausstellung, die 2028 in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sein wird und zu der auch ein Katalog erscheint. Auf diese Weise ist der gesamte Prozess auch sehr transparent.

Claudia Emmert, hier vor dem Werk von Egor Kraft in der Ausstellung „Kryptomania“, spricht über ihre Arbeit in der ...
Claudia Emmert, hier vor dem Werk von Egor Kraft in der Ausstellung „Kryptomania“, spricht über ihre Arbeit in der Ankaufkommission. | Bild: Corinna Raupach

Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Da ich sehr diskursorientierte Ausstellungen mache, interessiere ich mich vor allem für Künstler, die auf die Fragestellungen unserer Zeit reagieren, und für Werke, die gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf neue Weise sichtbar machen. In der Vorbereitungsphase hatte ich natürlich zunächst geschaut, welche künstlerischen Positionen aus meiner Perspektive ergänzt werden sollten. Dann habe ich überlegt, welche Entwicklungen für das zeitgenössische Kunstschaffen in den letzten Jahren besonders prägend waren. So bringen alle fünf Kommissionsmitglieder ihre Perspektiven ein. Und dann diskutieren wir darüber. Rund 12 Arbeiten wurden inzwischen gekauft, zum Beispiel von Inge Mahn, die in der Sammlung bislang fehlte, oder von Tina Bara, einer ostdeutschen Künstlerin. Kultur ist ja immer ein Aushandeln, ein Prozess, bei dem es um die Frage geht: Was bewegt oder verändert unsere Gesellschaft? Wie wollen wir Zukunft gestalten? Und in unserem konkreten Fall: Welche Gegenwartskunst bleibt relevant für spätere Generationen? Gute Kunst verliert ja genau deswegen nicht an Bedeutung, weil sie immer wieder neu entdeckt werden kann.

Ist das nicht schwierig – wir leben ja auch in unserer Zeit?

In die Zukunft schauen kann niemand. Aber wenn man zeitgenössische Kunst mit einem kunsthistorischen Hintergrund und vor der Folie gesellschaftlicher Veränderungen betrachtet, werden relevante Entwicklungen erkennbar.

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Was geschieht mit den ausgewählten Kunstwerken nach der Schlussausstellung in Bonn?

Die Bundeskunstsammlung ist ein extrem wertvoller Fundus. Er repräsentiert das Kunstschaffen in Deutschland und dessen Entwicklung von den 1970er Jahren bis heute. Daher fragen immer mehr Museen Werke als Leihgaben an. Entweder temporär für Ausstellungen oder als Dauerleihgaben. Die Museen zu unterstützen, ist eine weitere wichtige Aufgabe der Bundeskunstsammlung. Viele Werke werden aber auch in den Räumen des Kanzleramts, der Ministerien und im Bundestag ausgestellt. Das unterstreicht die Bedeutung, die die Regierung in ihrem Selbstverständnis der zeitgenössischen Kunst zumisst.

Was zeichnet das Zeppelin Museum im Kontext der zeitgenössischen Kunst aus?

Sie wissen, dass wir eine der größten Sammlungen zu Otto Dix, Max Ackermann und Andreas Feininger haben. In den letzten Jahren konnten wir mit Marta Hoepffner und Ulrike Ottinger wichtige Positionen der Moderne und Gegenwartskunst ergänzen. Als Zweispartenhaus, das zudem eine Sammlung zu einer wichtigen Epoche der Luftschifffahrtsgeschichte beherbergt, stellen wir uns immer wieder die Frage, mit welchen Technologien sich Graf Zeppelin beschäftigen würde, wenn er unser Zeitgenosse wäre. Aus diesem Grund analysiert das Zeppelin Museum in seinen interdisziplinären Ausstellungen die gesellschaftlichen Auswirkungen technologischer Innovationen. Etwa, welche Veränderungen Drohnen gebracht haben und bringen werden. Oder welche Perspektiven und Gefahren durch eine Ausweitung des Bergbaus auf die Tiefsee oder das Weltall entstehen. Gerade zeigen wir in der Ausstellung „Kryptomania“, welche gesellschaftspolitischen Möglichkeiten die Entwicklung der Blockchain bietet.

Ab Mai 2024 werden wir in der Ausstellung „Choose your player“ untersuchen, wie Computerspiele unsere Gesellschaft verändert haben. In diesen Ausstellungen sind die Werke zeitgenössischer Kunst wie ein sensibler Seismograf, der uns dazu anregt, Fragen zu stellen, ohne gleich Antworten zu geben. Wir reflektieren also in unserer Museumsarbeit die Veränderungen unserer Zeit über das Medium der zeitgenössischen Kunst.