Es war eine denkwürdige Sitzung des Häfler Gemeinderates: Eine der seltenen Sitzungen, in der leidenschaftlich diskutiert wurde, in der die Verwaltung mit Fragen gelöchert wurde, in der es sogar Anträge zur Geschäftsordnung gab. Am Ende stimmte die Mehrheit der Ratsmitglieder dann dafür, den Prozess eines Bebauungsplanes zu beginnen, an dessen Ende die Rodung von 3,4 Hektar Seewald, das entspricht etwa fünf Fußballfeldern, stehen könnte. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu:
Warum soll ein Teil des Seewaldes weichen?
Die Firmen Liebherr-Aerospace und das Unternehmen Aerospace Transmission Technologies (ATT) wollen gemeinsam ihre bereits bestehenden Standorte erweitern. "Aufgrund des anhaltenden Wachstums der weltweiten Luftfahrt und der damit verbundenen guten Auftragslage ... ist ein strategischer Kapazitätsaufbau dringend erforderlich", teilt die Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH mit. Langfristig sollen weitere Arbeitsplätze entstehen.
Für diese Erweiterung wurden bereits Flächen am Flughafen reserviert. Warum ist das keine Option?
Laut Stadtverwaltung wollen die beiden Unternehmen lieber in den Seewald hinein erweitern, da eine Untertunnelung oder Überbrückung der Bahnlinie und der Flughafenstraße zu "personellen und wirtschaftlichen Reibungsverlusten" führe. Eine entsprechende Frage des SÜDKURIER ließ das Unternehmen unbeantwortet. Sowohl Heinz Tautkus (SPD) als auch Daniel Oberschelp (CDU) wollten in der Sitzung wissen, ob es dazu bereits eine Planung gäbe. Oberbürgermeister Andreas Brand antwortete, dass eine Tunnellösung kurzzeitig zwar diskutiert wurde, dann aber nicht weiterverfolgt wurde. Ralf Lattner (Grüne) schlug vor, eine Tunnellösung durchzurechnen: "Ausgleichsmaßnahmen für die Rodung des Waldes kosten auch viel Geld".

Gäbe es noch andere Möglichkeiten?
Ulrich Heliosch (Grüne) schlug während der Sitzung vor, sich die östlich gelegenen Nachbargrundstücke genauer anzuschauen. Denn direkt neben dem Gelände liegt der Aldi-Markt mit einem großen Parkplatz. "Man könnte doch auch überlegen, den Markt an einer anderen Stelle zu bauen, wo er auch besser erreichbar wäre", so Heliosch. Der riesige Parkplatz rund um den Supermarkt sei sowieso "der absolute Unsinn".
Wo sieht die Stadtverwaltung die Möglichkeit, Ausgleichsflächen für den Wald zu schaffen?
Diese Frage war bei der Sitzung am Montag zentraler Diskussionspunkt. Viele Ratsmitglieder fragten nach, wie das gelingen könne, denn jeder Quadratmeter Wald, der gerodet wird, muss laut Gesetz an anderer Stelle neu aufgeforstet werden. Zu diesem Punkt blieben die Antworten der Verwaltung unklar. Baubürgermeister Stefan Köhler versprach zwar, dass der Ausgleich direkt am Seewald erfolgen solle. Doch Flächen dafür gibt es eigentlich keine, wie auf Satellitenbildern unschwer zu erkennen ist. Wo es genau einen Ausgleich geben könne, könne die Verwaltung aber erst im Entwurfsbeschluss vorlegen. Denkbar sei aber auch eine "Aufwertung des Bestands", so Köhler. Das bedeutet nichts anderes, als im bestehenden Wald weitere Bäume zu pflanzen.

Sind Tiere in Gefahr?
Der Realisierung des Projektes könnte noch das Bundesnaturschutzgesetz in die Quere kommen. Denn das besagt in Paragraph 44 klar, dass es verboten ist, „Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.“ Ein Gutachten zu Bestand und Bewertung der Fauna in dem betroffenen Seewald-Grundstück kommt zum Ergebnis, dass es bei der Realisierung des Vorhabens artenschutzrechtliche Verbotstatbestände geben wird. Darauf verwies in der Diskussion auch Stadtrat Franz Bernhard (CDU): „Es ist äußerst schwierig, vor Gericht Ausnahmen zu bekommen. Deshalb müssen wir das genau prüfen, sonst holen wir uns eine blutige Nase.“ Im geplanten Baugebiet sind im Wesentlichen folgende Tiere geschützt:
Die Haselmaus: Diese ist laut Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) streng geschützt. Die Haselmaus steht ebenfalls auf der „Roten Liste“ gefährdeter Tierarten in Baden-Württemberg. Die Gutachter aus Tübingen haben sie im Seewald nachgewiesen, was eine „besondere artenschutzrechtliche Relevanz habe“.

Die Gelbbauchunke: Auch sie ist streng geschützt und gilt in Deutschland als „stark gefährdet“. Die Bestände des Tieres sind in Deutschland flächendeckend rückläufig. Die Gutachter haben die Unke im Seewald verbreitet nachgewiesen, auch in dem Waldstück, das abgeholzt werden soll.

Der Grauspecht: Bundes- und landesweit ist der Grauspecht als stark gefährdet eingestuft. Die Gutachter haben ein Grauspecht-Revier auf dem Gebiet, auf dem gebaut werden soll, gefunden. Es gibt aber auch weitere gefährdete Vögel, etwa der Kuckuck, der Pirol oder der Star.
Die Zauneidechse: Sie ist noch weit verbreitet in Baden-Württemberg, aber die Zahlen sind rückläufig. Sie gilt laut FFH-Richtlinie als streng geschützt. Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) bezeichnet als Ursache für den Rückgang der Zauneidechse „vor allem die Zerstörung, Beeinträchtigung oder Beseitigung von Kleinstrukturen durch intensive Landbewirtschaftung und Siedlungsentwicklung.“

Fazit: Juristisch gesehen sind beim Naturschutz Ausnahmeregelungen möglich, die aber nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind.
Was sagen die Fraktionen zu den Plänen?
In der Sitzung stellte sich heraus, dass das Thema polarisiert. Von offener Ablehnung bis hin zu absoluter Zustimmung war das Meinungsspektrum bei den Parteien vertreten. Jochen Meschenmoser forderte für die Freien Wähler gar eine Ausweitung des Baugebietes bin hin zum Seewaldkreisel. Die CDU stimmte dem Beginn des Projektes unter Vorbehalt zu. "Es gibt noch viele Fragen zu klären", sagte Daniel Oberschelp. Etwa der genaue Standort der Ausgleichsfläche oder ein platzsparender Bau. Heinz Tautkus (SPD) gab offen zu, dass der Rat in dieser Frage "nie das ganz Richtige tun" könne. Aber es gebe den Zwang zur Entwicklung. Dieser Zwang sei hier gegeben. Die Grünen lehnten das Vorhaben gänzlich ab, da es ein "gravierender Eingriff in die Natur und Umwelt sei." Ulrich Heliosch betonte, dass sich der Gutachterbericht "glasklar" negativ zu dem Vorhaben positioniere. Sylvia Hiß-Petrowitz (ÖdP) kritisierte: "Wir sprechen immer von Nachverdichtung. Wenn es aber um die Industrie geht, ist das plötzlich kein Thema mehr". Die FDP wiederum befürwortet die Bauabsichten, denn Arbeitsplätze stünden klar im Vordergrund. Achim Brotzer, Fraktionschef der CDU, enthielt sich bei der Abstimmung. Für ihn seien noch zu viele Fragen offen, erklärte Brotzer auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Das weitere Verfahren
Als nächstes folgt die Öffentlichkeitsbeteiligung , danach die Einholung von Stellungnahmen der Behörden. Mitte 2019 soll es den Entwurfsbeschluss geben, der Satzungsbeschluss soll Anfang 2020 gefasst werden.