Wissen ist Macht, heißt es. Doch mitunter überfordert Erkenntnisgewinn. Bei der Medizin kommt durch Forschung ständig neues Wissen hinzu. Gleichzeitig geht Wissen verloren – der Mensch vergisst eben Dinge mit der Zeit, da machen Ärztinnen und Ärzte keine Ausnahme. Wer soll da bei Tausenden Krankheitsbildern noch den Überblick halten?

Diagnose bislang schwierig

Hier setzt ein Projekt an, das durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine effizientere Beratung und Diagnosestellung bei den sogenannten seltenen genetischen Erkrankungen ermöglichen soll. Hierbei ist nur etwa einer von 2000 Menschen betroffen. Kompliziert und entsprechend schwierig wird für Mediziner eine Diagnose, weil Experten von über 6000 Krankheitsbildern ausgehen. In Europa leben Schätzungen zufolge etwa 30 Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung, teilt das Gesundheitsnetzwerk Biolago mit. Bei über 70 Prozent davon seien genetische Veränderungen die Ursache.

KI analysiert und macht Vorschläge

Und das ist die Idee hinter dem KI-basierten Tool „Online-Genetische Beratung“, kurz KI-OGB: „Es soll die Patientendaten erfassen, strukturieren und aufbereiten, dabei medizinische Zusammenhänge auf Basis von aktuellem Forschungswissen analysieren und patientenindividuelle Diagnosevorschläge machen“, erklärt Jan Kirchhoff von Medicalvalues. Zusätzlich würden Mediziner in der Dokumentation und Ergebnisaufbereitung sowie Befunderstellung unterstützt.

Professorin Silvia Queri, Studiendekanin für Angewandte Psychologie an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU), übernimmt die ...
Professorin Silvia Queri, Studiendekanin für Angewandte Psychologie an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU), übernimmt die wissenschaftliche Begleitung des Projekts. | Bild: RWU Hochschule Ravensburg-Weingarten

Carmen Diker, Expertin für diagnostische Prozesse bei Medicalvalues, erklärt auf Anfrage: Das Team aus Medizinern, Daten-Spezialisten und Software-Architekten habe ein zertifiziertes, KI-gestütztes System für die integrierte Diagnostik entwickelt. „Mit diesem begleiten wir Ärztinnen und Ärzte entlang des komplexen Diagnosefindungsprozesses.“

Carmen Diker, Expertin für diagnostische Prozesse bei der Firma Medicalvalues aus Karlsruhe.
Carmen Diker, Expertin für diagnostische Prozesse bei der Firma Medicalvalues aus Karlsruhe. | Bild: Medicalvalues GmbH

Erste Tests noch dieses Jahr

Man fokussiere sich insbesondere darauf, konkrete Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus Informationen wie Laborwerte, Symptome oder Vorerkrankungen von Patienten abzuleiten, so Diker. Ein Arzt bekomme so konkrete Hinweise zu Diagnosen und Empfehlungen zur Weiterversorgung. Ziel sei es, eine frühere und gezieltere Diagnosestellung zu ermöglichen. Erste Tests soll es laut Carmen Diker noch dieses Jahr geben.

Jan Kirchhoff, Geschäftsführer von Medicalvalues.
Jan Kirchhoff, Geschäftsführer von Medicalvalues. | Bild: CyberForum/Medicalvalues

Vorteile für Arzt und Patienten

Medicalvalues entwickelt auch das sogenannte Cockpit, also eine webbasierte grafische Benutzeroberfläche. Insgesamt versprechen sich die Experten etliche Vorteile. Mediziner sollen effizienter und flexibler arbeiten können, insbesondere, weil die bislang zeitfressende Dokumentation vereinfacht wird. Patienten und Angehörige sollen einen schnelleren und besseren Zugang ohne lange Wartezeiten zur genetischen Beratung sowie Aufklärung bekommen. „Mitunter werden sie besser in der Lage sein, bei komplexen, kritischen und nicht zuletzt existenzrelevanten Befunden informierte Entscheidungen zu treffen“, sagt Carmen Diker.

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Darüber hinaus können genetische Dispositionen oft mehrere Familienmitglieder betreffen. Dank geplanter Video-Sprechstunde sollen mehrere Familienmitglieder gleichzeitig an Beratungssitzungen teilnehmen können, auch wenn sie geografisch voneinander entfernt sind.