Es ist 5.16 Uhr morgens. In Bregenz ist es noch dunkel. Plötzlich ist ein Jubel zu hören. Eine Frau im Badeanzug und mit blauem Licht an der Badekappe steigt aus dem Bodensee, dreht sich um, streckt beide Arme in die Höhe und jubelt. Und es kommt ein Echo aus zwei Booten, die auf dem See in Ufernähe warten.
Sie bleibt vermutlich als erster Mensch unter 20 Stunden
Kaum jemand hat diese Aktion bemerkt. Und doch ist es das Ende einer Leistung, die vor allem bei den Langstreckenschwimmern Furore machen wird. Die US-Amerikanerin Sarah Thomas hat in diesem Moment geschafft, was vor ihr vermutlich noch keinem Menschen gelungen ist: die knapp 64 Kilometer lange Strecke zwischen Bodman und Bregenz in unter 20 Stunden zurückzulegen – und das ohne Pause, nur im Badeanzug und mit Schwimmbrille. Selbst während sie isst und trinkt, darf sie sich nirgends festhalten. So sehen es die Regeln vor.

43-Jährige sammelte bereits zahlreiche Rekorde
Sarah Thomas entdeckte 2007 für sich das Marathon-Schwimmen und war schnell mit Open-Water-Solo-Projekten erfolgreich, so der Veranstalter. 2013 durchquerte sie den Lake Tahoe in den USA zwei Mal, keine zwei Monate später schwamm sie als erste Person den Lake Memphremagog in beide Richtungen (80,4 Kilometer). 2017 brach die US-Amerikanerin den Weltrekord für das längste strömungsneutrale Schwimmen mit der Durchquerung des Lake Powell zwischen Utah und Arizona. Ein Jahr später legte sie 168,3 Kilometer in 67 Stunden und 16 Minuten im Lake Champlain zurück.
Zwei Monate nach dieser Leistung erhielt sie die Diagnose Brustkrebs. Sie unterzog sich einer Operation sowie einer Strahlen- und Chemotherapie. Währenddessen schwamm sie, so oft und so viel sie konnte. Ein Jahr nach der Behandlung, im September 2019, holte sie sich den nächsten Rekord: Sie durchquerte als erste Person schwimmend den Ärmelkanal vier Mal unmittelbar hintereinander. Für die insgesamt 210 Kilometer benötigt sie 54 Stunden und zehn Minuten. Im Juli 2022 absolvierte sie als erste Person die 69 Kilometer lange doppelte Durchquerung des Nordkanals zwischen Großbritannien und Irland in 21 Stunden, 46 Minuten und 38 Sekunden.
Der Westwind kommt der Schwimmerin zunächst zugute

Und jetzt der Bodensee: Am Montag, 15. September, steigt Sarah Thomas um 9.25 Uhr im Freibad von Bodman in den Bodensee. Es ist sonnig, eine Brise weht von Westen her und schiebt sie an. Es läuft hervorragend. Um 15 Uhr quert sie bereits die Fährlinie zwischen Konstanz und Meersburg. Sie schwimmt ein hohes Tempo und ist auf Rekordkurs. Alles läuft nach Plan – fast alles.
Durch aufziehendes Gewitter droht der Abbruch
Am Abend ziehen dunkle Wolken auf, es blitzt. Sarah Thomas befindet sich knapp hinter Immenstaad. Von Konstanz zieht ein Gewitter nach Meersburg. Die Blicke der sechs Begleiter im Boot gehen durchgehend auf das Wetterradar. „Wir hätten Sarah aus dem Wasser holen müssen, wäre das Unwetter nicht Richtung Ravensburg abgezogen“, erklärt Patrick Boche von Bodensee Open Water, der das Projekt organisiert. „Und dann kam der Wind.“
Am Ende ein „echt wilder Ritt“ durch hohe Wellen
Die Wellen wachsen bis auf mehr als einen Meter an. Die Begleitboote, die aneinander festgemacht sind, müssen zunächst richtig gesichert werden. Dies dauert fast eine Stunde. „Es war unglaublich, ein echt wilder Ritt“, sagt Sarah Thomas später im Ziel. „Die Wellen haben zwar angeschoben, es war für mich aber sehr anstrengend, vor allem in den Schultern. Und ich habe jede Menge Wasser geschluckt.“ Patrick Boche denkt mehrfach an einen Abbruch, wie er erklärt, doch schließlich lässt der Wind nach und es geht weiter. Durch den starken Westwind sogar mit Unterstützung.

Am Ende erreicht die 43-Jährige das Ziel in Bregenz in 19 Stunden, 51 Minuten und 12 Sekunden. Eine unglaubliche Zeit – auch für sie selbst: „Ich habe es keinesfalls erwartet, dass ich den Rekord brechen könnte“, sagt sie überglücklich in den frühen Morgenstunden des Dienstags. „Vor allem, weil es sicherlich eines der wildesten Schwimmen war, die ich je absolviert habe.“