Über das Jesuskind fand Restauratorin Katrin Hubert gewissermaßen einen Schlüssel zu der Figur: Die Schwedenmadonna, einer der wertvollsten sakralen Schätze in Überlingen, besteht aus vielen Einzelteilen, wie bei einem Bausatz, der in einer bestimmten Reihenfolge zusammengeschraubt werden muss. So verdeckt jeweils das Folgeteil die Schrauben des vorangegangenen Stücks. Welches Teil als erstes abgenommen werden muss, war zunächst unklar. Es gab keinen Plan, dem die Restauratorin aus Konstanz folgen konnte.

Die Schwedenmadonna, wie sie im Juli 2020 auf der Hofstatt zu sehen war.
Die Schwedenmadonna, wie sie im Juli 2020 auf der Hofstatt zu sehen war. | Bild: Hilser, Stefan

Silberfigur birgt viele Geheimnisse

Dass sich die Figur vom Jesuskindchen her öffnen lässt, war nur eine von mehreren Entdeckungen der Restauratorin. Sie könne nun den Nachweis erbringen, dass es tatsächlich ein Überlinger Silberschmied gewesen sei, der die Figur im Jahr 1660 fertigstellte.

(Anmerkung der Redaktion: Nach der Veröffentlichung einer ursprünglichen Fassung dieses Berichts korrigierte sich Hubert selbst: Sie wisse nun, dass ein Überlinger die Figur lediglich von Konstanz nach Überlingen brachte, sie aber tatsächlich von Übelacker in Konstanz fertiggestellt wurde).

Hubert berichtete während ihrer Arbeiten in der Sakristei des Münsters, dass die Figur vor etwa 40 Jahren bei einem Sturz oder etwas ähnlichem beschädigt worden ist, und dass die Reparatur damals wohl eher heimlich erfolgte. Überraschend ist auch der Umstand, dass die Madonna, ihrer Haartracht beraubt, wie ein Mann aussieht.

Der Strahlenkranz umrankt die Figur, die für die Restaurierung in ihre Einzelteile zerlegt wurde.
Der Strahlenkranz umrankt die Figur, die für die Restaurierung in ihre Einzelteile zerlegt wurde. | Bild: Hilser, Stefan

In Überlingen 1660 fertiggestellt?

Ganz an den Anfang: Der Magistrat der Stadt Überlingen erteilte, je nach Quellenlage, zwischen 1643 und 1646 einen Auftrag an den in Konstanz ansässigen, aus einer Überlinger Familie stammenden, Goldschmied Jakob Übelacker (1623 – 1658). Nach dem Tod Übelackers sei die unvollendete Figur nach Überlingen und 1660 von dem Überlinger Goldschmied Gottfried Haitinger fertiggestellt worden (was so nicht stimmt, wie Hubert sich später korrigierte).

Katrin Hubert zeigt hier die Madonna, wie sie mit Haartracht aussieht.
Katrin Hubert zeigt hier die Madonna, wie sie mit Haartracht aussieht. | Bild: Hilser, Stefan

Nachweis auf Haitinger in der Figur entdeckt?

Restauratorin Hubert fand zwar Einträge in den Archivalien der Stadt, in denen der Künstler Haitinger aufgeführt wurde. Aber von einem Nachweis auf der Figur selbst sei ihr bislang nichts bekannt gewesen. Diesen Nachweis habe sie nun gefunden: Es ist eher der Schatten einer Gravur, die über die Jahrhunderte hinweg abgerieben wurde und sich lediglich als Farbveränderung erhielt. Hier ist ganz schwach erkennbar: Die Zahl 1660, außerdem seien Initialen Haitingers, sowie ein Vermerk, dass er ein Bürger von Überlingen sei, zu entdecken.

Anmerkung der Redaktion: Nach Erstveröffentlichung dieses Berichts korrigierte sich Katrin Hubert selbst. Die Initialen könnten auch etwas anderes bedeuten. Denn nun wisse sie, nachdem sie im Stadtarchiv noch einmal in alten Bänden wälzte und die Figur eingehend studierte, dass der Konstanzer Goldschmied Übelacker sie fertigstellte. Sie trage eindeutig seine Handschrift. Er sei aber nach der Fertigstellung gestorben und habe seine Initialen nicht hinterlassen.

Vom Jesuskind her lässt sich die Schwedenmadonna auseinanderbauen.
Vom Jesuskind her lässt sich die Schwedenmadonna auseinanderbauen. | Bild: Hilser, Stefan

Wer erinnert sich an einen Unfall vor etwa 40 Jahren?

Eine weitere Entdeckung: Die Figur muss, den Spuren der Reparatur mit Kunstharz nach zu urteilen, vor etwa 40 Jahren zu Boden gefallen sein. Sie erlitt Beulen und Dellen. Spannend findet Hubert, dass der Unfall nirgends vermerkt ist. Das wiederum lässt die Spekulation zu, dass es den Verursachern unangenehm war, und sie in aller Stille die Reparaturen, die mit einem Kunstharz ausgeführt wurden, vornahmen. Nun fände es Hubert interessant, wenn sich jemand meldet, der sich an den Unfall erinnert.

Katrin Hubert reinigte die Figur sorgfältig und verlieh ihr wieder Stabilität.
Katrin Hubert reinigte die Figur sorgfältig und verlieh ihr wieder Stabilität. | Bild: Hilser, Stefan

Die Restauratorin widmet sich der Aufgabe, die Figur zu stabilisieren, einen losen Arm zu befestigen, und sie von Putzmittelrückständen früherer Erhaltungsarbeiten zu befreien. Nachdem Katrin Hubert herausfand, dass sich die Jesusfigur als erstes lösen lässt, folgten in logischer Abfolge die Krone, die Frisur – ohne sie sieht Maria ziemlich männlich aus – dann der Oberkörper, der Gürtel, der Rock, das Rückenteil, bis zu den Füßen und dem Sockel. Im Inneren der Figur, so ihre Feststellung, war eine Stahlstange lose, was der Grund für ihre Instabilität gewesen ist.

In der Zeichnung hielt Katrin Hubert für den Zusammenbau fest, in welcher Reihenfolge sie welches Einzelteil verschrauben muss.
In der Zeichnung hielt Katrin Hubert für den Zusammenbau fest, in welcher Reihenfolge sie welches Einzelteil verschrauben muss. | Bild: Hilser, Stefan

Starker Gesichtsausdruck selbst für Nebenrollen

Dass es so viele Einzelteile sind, liege daran, dass es im 17. Jahrhundert noch keine Stahlwalzen und damit keine größeren Bleche gab. Für die Figur, so Hubert, seien kleinere Silberbleche verwendet worden, die man in einer Hammerschmiede schmiedetechnisch getrieben hat, bevor sie in Form gebracht wurden. Der Künstler sei ein besonderer Meister seines Fachs gewesen, der sämtlichen Figuren, auch den Engelchen, die nur eine Nebenrolle spielen, einen starken Gesichtsausdruck verlieh.

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