Über das Jesuskind fand Restauratorin Katrin Hubert gewissermaßen einen Schlüssel zu der Figur: Die Schwedenmadonna, einer der wertvollsten sakralen Schätze in Überlingen, besteht aus vielen Einzelteilen, wie bei einem Bausatz, der in einer bestimmten Reihenfolge zusammengeschraubt werden muss. So verdeckt jeweils das Folgeteil die Schrauben des vorangegangenen Stücks. Welches Teil als erstes abgenommen werden muss, war zunächst unklar. Es gab keinen Plan, dem die Restauratorin aus Konstanz folgen konnte.
Silberfigur birgt viele Geheimnisse
Dass sich die Figur vom Jesuskindchen her öffnen lässt, war nur eine von mehreren Entdeckungen der Restauratorin. Sie könne nun den Nachweis erbringen, dass es tatsächlich ein Überlinger Silberschmied gewesen sei, der die Figur im Jahr 1660 fertigstellte.
(Anmerkung der Redaktion: Nach der Veröffentlichung einer ursprünglichen Fassung dieses Berichts korrigierte sich Hubert selbst: Sie wisse nun, dass ein Überlinger die Figur lediglich von Konstanz nach Überlingen brachte, sie aber tatsächlich von Übelacker in Konstanz fertiggestellt wurde).
Hubert berichtete während ihrer Arbeiten in der Sakristei des Münsters, dass die Figur vor etwa 40 Jahren bei einem Sturz oder etwas ähnlichem beschädigt worden ist, und dass die Reparatur damals wohl eher heimlich erfolgte. Überraschend ist auch der Umstand, dass die Madonna, ihrer Haartracht beraubt, wie ein Mann aussieht.

In Überlingen 1660 fertiggestellt?
Ganz an den Anfang: Der Magistrat der Stadt Überlingen erteilte, je nach Quellenlage, zwischen 1643 und 1646 einen Auftrag an den in Konstanz ansässigen, aus einer Überlinger Familie stammenden, Goldschmied Jakob Übelacker (1623 – 1658). Nach dem Tod Übelackers sei die unvollendete Figur nach Überlingen und 1660 von dem Überlinger Goldschmied Gottfried Haitinger fertiggestellt worden (was so nicht stimmt, wie Hubert sich später korrigierte).
Nachweis auf Haitinger in der Figur entdeckt?
Restauratorin Hubert fand zwar Einträge in den Archivalien der Stadt, in denen der Künstler Haitinger aufgeführt wurde. Aber von einem Nachweis auf der Figur selbst sei ihr bislang nichts bekannt gewesen. Diesen Nachweis habe sie nun gefunden: Es ist eher der Schatten einer Gravur, die über die Jahrhunderte hinweg abgerieben wurde und sich lediglich als Farbveränderung erhielt. Hier ist ganz schwach erkennbar: Die Zahl 1660, außerdem seien Initialen Haitingers, sowie ein Vermerk, dass er ein Bürger von Überlingen sei, zu entdecken.
Anmerkung der Redaktion: Nach Erstveröffentlichung dieses Berichts korrigierte sich Katrin Hubert selbst. Die Initialen könnten auch etwas anderes bedeuten. Denn nun wisse sie, nachdem sie im Stadtarchiv noch einmal in alten Bänden wälzte und die Figur eingehend studierte, dass der Konstanzer Goldschmied Übelacker sie fertigstellte. Sie trage eindeutig seine Handschrift. Er sei aber nach der Fertigstellung gestorben und habe seine Initialen nicht hinterlassen.
Wer erinnert sich an einen Unfall vor etwa 40 Jahren?
Eine weitere Entdeckung: Die Figur muss, den Spuren der Reparatur mit Kunstharz nach zu urteilen, vor etwa 40 Jahren zu Boden gefallen sein. Sie erlitt Beulen und Dellen. Spannend findet Hubert, dass der Unfall nirgends vermerkt ist. Das wiederum lässt die Spekulation zu, dass es den Verursachern unangenehm war, und sie in aller Stille die Reparaturen, die mit einem Kunstharz ausgeführt wurden, vornahmen. Nun fände es Hubert interessant, wenn sich jemand meldet, der sich an den Unfall erinnert.

Die Restauratorin widmet sich der Aufgabe, die Figur zu stabilisieren, einen losen Arm zu befestigen, und sie von Putzmittelrückständen früherer Erhaltungsarbeiten zu befreien. Nachdem Katrin Hubert herausfand, dass sich die Jesusfigur als erstes lösen lässt, folgten in logischer Abfolge die Krone, die Frisur – ohne sie sieht Maria ziemlich männlich aus – dann der Oberkörper, der Gürtel, der Rock, das Rückenteil, bis zu den Füßen und dem Sockel. Im Inneren der Figur, so ihre Feststellung, war eine Stahlstange lose, was der Grund für ihre Instabilität gewesen ist.

Starker Gesichtsausdruck selbst für Nebenrollen
Dass es so viele Einzelteile sind, liege daran, dass es im 17. Jahrhundert noch keine Stahlwalzen und damit keine größeren Bleche gab. Für die Figur, so Hubert, seien kleinere Silberbleche verwendet worden, die man in einer Hammerschmiede schmiedetechnisch getrieben hat, bevor sie in Form gebracht wurden. Der Künstler sei ein besonderer Meister seines Fachs gewesen, der sämtlichen Figuren, auch den Engelchen, die nur eine Nebenrolle spielen, einen starken Gesichtsausdruck verlieh.
Spendenaktion zur Restaurierung
Die Restaurierung wird möglich durch eine Spendenaktion, die die Überlingerin Sabine Reiser organisiert. Sie übernahm die Schirmherrschaft für die mehrere Tausend Euro teure Aktion. Sie wolle einen Beitrag dazu leisten, dass die Schutzpatronin ihren Glanz und ihre Strahlkraft behält. Als Überlingerin habe sie eine besondere Beziehung zu der Figur, weshalb sie zu ihrem 60. Geburtstag statt Geschenken Spenden für die Figur erbat.

Tragische Aktualität im Zeichen des Ukrainekriegs
Reiser, frühere Dezernentin im Bodenseekreis, heute Referatsleiterin im Regierungspräsidium Stuttgart, sagte: „Ich bin fasziniert davon, dass unsere moderne Zivilgesellschaft bis heute ein Versprechen erfüllt, das vor bald 400 Jahren abgegeben wurde. Unser Glaube schützt, damals wie heute.“ Die Erinnerung an die überstandenen Belagerungen der Jahre 1632 und 1634 klangen bislang nach Tradition und Religionsgeschichte. Angesichts des Kriegs in der Ukraine, so Sabine Reiser, erhalte sie eine tragische Aktualität.
Wer für die Restaurierung spenden möchte: Konto DE82.6905.0001.0026.0429.60, Stichwort Schwedenmadonna, Kontoinhaber: Katholische Kirchengemeinde Überlingen. Sollten die Spenden die Kosten der Restauration übersteigen, werden sie an den Münsterbauverein für weitere Restaurationen übergeben.