Waldrappe, die in Umzugskartons über die Alpen gebracht werden, weil sie nicht Richtung Winterquartier abgeflogen sind, mögen lustig anmuten. So geschehen im November 2021. Für den Fortbestand der Überlinger Brutkolonie ist das aber ein echtes Problem. Die Vögel können nicht am Bodensee überwintern. Grund für das Zögern der Waldrappe ist der Klimawandel. Es ist im Herbst schlichtweg zu warm. Laut Waldrappteam gelang es 2022 sogar dem Großteil der wildlebenden Waldrappe aus den Kolonien nördlich der Alpen nicht, die Alpen zu überfliegen.

„Diese Situation war für das Waldrappteam alarmierend, aber nicht völlig überraschend. Sie ist eindeutig auf einen Trend zurückzuführen, den wir seit zwölf Jahren beobachten: Der Zeitpunkt des Herbstzugs wird immer variabler und die Abflüge verzögerten sich zunehmend“, heißt es in einer Mitteilung. Anfänglich hätten die Vögel die Alpen Anfang Oktober überflogen, während sie 2022 erst am 31. Oktober mit den Anflügen begannen.

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„Der immer später einsetzende Herbstzug steht offensichtlich in direktem Zusammenhang mit der globalen Erwärmung und den immer länger andauernden herbstlichen Wärmeperioden“, teilen die Wissenschaftler mit. Die gemessenen, mittleren Oktobertemperaturen seien im vergangenen Jahr so hoch wie noch nie zuvor gewesen.

Thermiken fehlen später im Jahresverlauf

Warum es den Waldrappen so schwerfällt, die Alpen später im Jahr zu überqueren, ist unklar. „Wir vermuten, dass Waldrappe – insbesondere in größeren Gruppen – geeignete Thermiken benötigen, um Alpenpässe zu überqueren, und dass diese Thermiken später im Jahresverlauf immer weniger zur Verfügung stehen“, schreiben die Biologen. „So hat das vergangene Jahr deutlich gezeigt, dass die globale Erwärmung das autonome Überleben der Kolonien nördlich der Alpen bedroht.“ Aus diesem Grund ist vorgesehen, für die Brutkolonien eine Zugroute in ein neues Wintergebiet zu etablieren, das sie auch spät im Jahr ohne Alpenüberquerung sicher erreichen können.

Anstatt in das WWF-Gebiet in der Laguna di Orbetello in der Toskana soll es nach Andalusien in Spanien gehen. „Erstmals wird das Ziel der menschengeführten Migration nicht das Wintergebiet in der Toskana sein. Stattdessen wollen wir die Vögel nach Vejer de la Frontera (Cádiz province) in Andalusien führen“, erklärt das Waldrappteam. Mit rund 2300 Kilometern sei die Strecke fast dreimal so lang wie die bisherige Flugroute in die Toskana. Sie führt demnach von Baden-Württemberg quer durch Frankreich, über die südlichen Ausläufer der Pyrenäen und quer durch Spanien bis zum Ziel nahe Gibraltar.

Ein Waldrapp im Seitenprofil. Die Vögel der Kolonien nördlich der Alpen sollen in Zukunft unter der spanischen Sonne überwintern.
Ein Waldrapp im Seitenprofil. Die Vögel der Kolonien nördlich der Alpen sollen in Zukunft unter der spanischen Sonne überwintern. | Bild: Johannes Fritz I SK-Archiv

Die Ziehmütter leiten die jungen, handaufgezogenen Waldrappe von Ultraleichtflugzeugen aus an. Laut Ankündigung wird das Team Anfang Mai mit bis zu 35 Tieren in ein Camp am Flugplatz Binningen in der Gemeinde Hilzingen umziehen, wo das Flugtraining stattfindet.

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Populationen sollen zusammengeführt werden

In Andalusien wurde in den vergangenen 20 Jahren eine Waldrapp-Population mit mittlerweile 200 Vögeln etabliert. Die Tiere sind sesshaft, ziehen also nicht, wie zum Beispiel die Überlinger Kolonie. Ziel ist es nun, die Populationen der beiden europäischen Waldrapp-Projekte zusammenzuführen. „Die umfangreichen Erfahrungen unserer andalusischen Kollegen belegen deutlich, dass der Standort ihrer Population auch ein geeignetes Überwinterungsgebiet für unsere Zugvögel ist“, betont das Waldrappteam.

Bis Ende 2024 sei dazu eine gemeinsame Machbarkeitsstudie geplant. Zu diesem Zweck werden die Jungtiere bei der Freilassung in Andalusien und Vögel der sesshaften Kolonie mit GPS-Geräten ausgestattet. Zuerst müssen sich die österreichischen Biologen jedoch der Herausforderung der menschengeführten Migration über 2300 Kilometer stellen.