Nils Oskamp hat in seiner Jugend Schreckliches erlebt. In den 1980er-Jahren wurde er als Schüler in seiner Heimatstadt Dortmund von Neonazis terrorisiert und fast zu Tode geprügelt. Sein ganzes Umfeld sah damals weg. Aber Nils Oskamp hat eine besondere Gabe und den starken Willen, andere vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren und über die perfiden Methoden und Netzwerke der Rechten zu informieren. Der heute 54-Jährige arbeitet als Comic- und Werbe-Zeichner. Sein Talent hat er genutzt, seine Geschichte zu einer beeindruckenden Graphic Novel zu machen, mit ausdrucksstarken, energiegeladenen Zeichnungen.

Ein Zeichen setzen gegen Extremismus

Organisiert vom Volksbund Deutscher Kriegsgräber-Fürsorge ist Nils Oskamp zu einer Lesung und einem Autorengespräch in den Überlinger Pfarrsaal gekommen. In zwei Durchgängen stellt er 160 Jugendlichen der Überlinger Schulen ab der achten Klasse sein Buch und seine Geschichte vor. Oliver Wasem von der Landesgeschäftsstelle des Volksbunds erläutert zu Beginn, warum es wichtig ist, dass sich junge Menschen mit dem Thema Kriegsgräber beschäftigen. „Die Gräber zeugen von ungelebtem Leben. Von Menschen, die viel zu früh gestorben sind und um die jemand trauert“, sagt er. Unterstützt von dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ wollten sie daher ein Zeichen setzen gegen jede Form von Extremismus.

Nils Oskamp plädiert gegen Gewalt und macht den Zuhörern Mut, sich Hilfe und Unterstützer zu holen, wenn sie bedroht werden.
Nils Oskamp plädiert gegen Gewalt und macht den Zuhörern Mut, sich Hilfe und Unterstützer zu holen, wenn sie bedroht werden. | Bild: Sabine Busse

Die Geschichte von Nils Oskamp

Warum die Geschichte von Nils Oskamp das besonders gut kann, zeigt sich schon auf den ersten Seiten des Comics, die groß projiziert werden. Ein neuer Mitschüler kommt in seine Klasse, der den Holocaust leugnet und Naziparolen grölt. Schnell kann er Anhänger gewinnen. Als Oskamp dagegen hält, kommt es zur ersten Schlägerei. Hier macht der Autor einen kleinen Exkurs und beschreibt, wie unsichere Zeiten und hohe Arbeitslosigkeit einen guten Nährboden für Extremisten liefern. Anfang der 1980er-Jahre setzten dem Ruhrgebiet die Zechenschließungen und die Stahlkrise zu. Die Arbeitslosenquote lag bei 28 Prozent. „Extremisten nutzen schwierige Zeiten, schüren Angst und Hass. Das war in den 1930er-Jahren so und das funktionierte auch in den 1980ern“, erläutert Nils Oskamp.

Der Wohnort des damals 13-Jährigen, Dortmund Dorstfeld, sei heute noch eine Neonazi-Hochburg, sagt der Autor. Anfangs kann er sich wegen seiner Judo-Kenntnisse noch behaupten, aber die Rechten in seinem Umfeld bekommen immer mehr Zulauf. Der Geschichtslehrer schwärmt im Unterricht von seiner Zeit in der Wehrmacht und lässt das Deutschlandlied mit allen Strophen singen. Es kommt zu immer mehr Gewalt, weil Oskamp sich gegen Rechtsradikalismus positioniert und seine Meinung äußert. Wenn er blutend zu spät in den Unterricht kommt, wird er von den Lehrern getadelt, nicht die Schläger.

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Gewalt in Dortmund wird immer brutaler

Oskamp unterbricht die Lesung manchmal, um die Hintergründe zu erklären. Er zeigt auf, wie sich immer wieder neue Gruppen, Parteien oder Kameradschaften bilden, die teilweise verboten werden, sich aber schnell neu formieren. Das geht von der FAP über die NPD, die Republikaner und die Rechte bis zur AfD. Auch die Borussia Ultras, angebliche Fußballfans von Borussia Dortmund, gehören dazu.

Die Angriffe auf Nils Oskamp werden immer massiver. Es wird auf ihn geschossen, als er allein zu Hause ist. Die Polizei meint, das kreisrunde Loch in der Fensterscheibe stamme von einer Steinschleuder. Die Sache verläuft im Sande. Dann tritt ihn ein Motorradfahrer von seinem Fahrrad. Eine Gruppe von Schlägern wartet bereits und verprügelt ihn brutal.

Schwer verletzt auf der Intensivstation

Oskamp landet schlimm zugerichtet, unter anderem sind sein Nasenbein und sein Jochbein gebrochen, auf der Intensivstation im Krankenhaus. Erst danach wird ihm geglaubt. Er zeigt die Schläger an, von denen er die meisten erkannt hat. Nur zwei von ihnen müssen sich vor Gericht verantworten. Sie werden zu 27 Sozialstunden verurteilt. Immerhin gibt es einen Pakt, sich nicht mehr anzugreifen, Oskamp macht seinen Schulabschluss und kann endlich raus aus dem Umfeld.

„Ich musste zwei Jahre um mein Leben bangen!“, fasst er die schreckliche Zeit zusammen. Oskamp hat viel Gewalt erlebt, eine schockierende Ignoranz der Erwachsenen sowie in seinen Augen das Versagen der Polizei und der Justiz.

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Comic-Zeichner klärt Jugendliche über Gewalt auf

Dann steht der Autor den Jugendlichen für Fragen zur Verfügung. Sie möchten wissen, warum er auf den Bildern Hakenkreuze zeigen darf. „Das ist doch verboten.“ Nils Oskamp erklärt, dass er dafür eine Genehmigung eingeholt hat, die je nach Kontext erteilt wird. Nach der Arbeit an dem Buch gefragt, berichtet er, dass dies eine Art Aufarbeitung gewesen sei. Er habe dafür auch Ablehnung und 20 Morddrohungen bekommen. „Ist Gewalt eine Lösung?“, will ein Junge wissen. „Nein! Schafft euch Netzwerke, sucht Hilfe, Gewalt erzeugt wieder Gewalt und traumatisiert.“ Ein Schüler möchte wissen, was aus Andreas, seinem Mitschüler und Widersacher, geworden ist. „Der ist heute Hauptkommissar bei der Polizei in Dortmund“, sagt Nils Oskamp.