Die Leidenschaft für den Beruf ist größer als der Ärger um die steigende Haftpflichtprämie, die Christine Franz und ihre Kollegin Maria Stosiek für die Ausübung ihres Berufes zahlen müssen. Derzeit bezahlen freiberufliche Geburtshelferinnen für die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung jährlich 7639 Euro, in drei Jahren werden es 9098 Euro sein. "Ja, das geht nur mit Herzblut", sagt Christine Franz. Während andere Geburtshäuser im Land schließen und Hebammen ihren Beruf aufgeben, starten die beiden Überlingerinnen voller Optimismus durch. Am Sonntag eröffnen sie das Geburtshaus am Bodensee im Überlinger Narzissenweg 2. In den Kreisen Bodenseekreis, Ravensburg, Konstanz und Sigmaringen seien sie das einzige Geburtshaus. Das nächste Geburtshaus stehe in Villingen-Schwenningen. Der Deutsche Hebammen-Verband listet sieben weitere Geburtshäuser in Baden-Württemberg auf. Entsprechend groß ist das Einzugsgebiet, entsprechend zahlreich sind die Anfragen werdender Eltern.
Ziel der Überlinger Hebammen ist die Betreuung von 60 Geburten pro Jahr. Parallel betreuen sie stets rund 40 Frauen und deren Nachwuchs vor, während und nach der Geburt. Jede Familie wird während der gesamten Schwangerschaft und in den acht Wochen nach der Geburt betreut, sagt Maria Stosiek. Damit alles rund läuft im Geburtshaus, müsse das Team aber noch wachsen, sagt Christine Franz: "Dann können wir auch die durchgehende Rufbereitschaft, die der Beruf mit sich bringt, auf mehrere Schultern verteilen."
Zwar kommen in Deutschland nur 1,7 Prozent aller Kinder außerhalb einer Klinik auf die Welt. Doch diese Zahl ist für die vergleichsweise wenigen freiberuflichen Geburtshelferinnen groß genug. Das Geburtshaus könne sich schon jetzt vor Anfragen werdender Eltern kaum retten, sagt Maria Stosiek. "Viele wünschen sich eine außerklinische Geburt, fühlen sich aber dann im Geburtshaus doch besser aufgehoben als zu Hause in den eigenen vier Wänden. Sei es wegen der Ausstattung, der Sorge, zu laut zu sein, oder auch der Hygiene." Medizinisch gesehen sei die Geburt im Geburtshaus aber nichts anderes als eine Hausgeburt. Stosiek hat ihre beiden Kinder selbst zu Hause zur Welt gebracht. "Und dann wusste ich: Das möchte ich anderen Frauen auch ermöglichen. Werdende Eltern sollten immer eine Wahl haben, wo die Geburt stattfinden soll. Wie man geboren wird, ist nicht egal."

Angesprochen auf die schwierige wirtschaftliche Situation der Hebammen, sagt Christine Franz nüchtern: "Nun ja, es ernährt mich immer noch." Sie fügt hinzu: "Aber ohne diese Leidenschaft macht man diese Nachtarbeit mit 50 Jahren nicht mehr. Man erlebt so viel Schönes dabei. Es geht um Sinnhaftigkeit." Wie groß diese Leidenschaft ist, zeigen die vergangenen Jahre. Denn 2012 hatte Christine Franz im selben Haus mit zwei anderen Kolleginnen bereits ein Geburtshaus gegründet, das "Arco de Vida". Als die Kolleginnen kurz darauf aufgaben, versuchte Franz, die Arbeit allein zu stemmen, und hielt das zwei Jahre lang durch. Dann hatte auch sie ihre Grenze erreicht und nahm sich ein Jahr frei, um sich zu erholen.

Diese Zeit nutzte dsie aber zugleich, um mit Maria Stosiek, die bei ihr einen Teil ihrer Ausbildung gemacht hatte, neue Pläne zu schmieden. Gemeinsam richteten die Frauen die zwischenzeitlich privat vermieteten Räume am Burgberg wieder her, um hier Geburtsvorbereitung, Geburtshilfe, Wochenbettbetreuung und vieles mehr anbieten zu können. Am morgigen Sonntag nehmen sie im Geburtshaus am Bodensee ihre Arbeit auf. Ab dann sollen hier viele kleine Erdenbürger das Licht der Welt erblicken.


Natürliche Geburt
Was ist eine natürliche Geburt? "Es heißt, dass wir uns nicht einmischen", erklärt Maria Stosiek. Wehentropf und Medikamente gegen Schmerzen sind laut Christine Franz und Maria Stosiek bei dieser Art der Entbindung nicht notwendig. In einer vertrauten Umgebung und einer Situation, die Geborgenheit vermittle, habe der Körper die Zeit und die Voraussetzungen, körpereigene Schmerzmittel zu produzieren. Christine Franz sagt: "Ich habe inzwischen größten Respekt vor den ganz natürlichen Abläufen bei einer Geburt." Nichts geschehe ohne Grund, sagt die Geburtshelferin. Wenn die Abstände zwischen den Wehen mal länger als die Norm seien, komme die Mutter in einer Klinik meist recht schnell an einen Wehentropf. "Wir denken aber, dass solche 'Unregelmäßigkeiten' bei einer Geburt normal sind und oft auch einen guten Grund haben. Möglicherweise brauchen Mutter oder Kind in diesem Moment einfach dringend eine Pause."