"Essen ist ein politischer Akt", fasst Barbara Schmidt, Theologin und Mitarbeiterin der katholischen Hilfsorganisation Misereor, den Gedankenaustausch in der Gartenwirtschaft des Landgasthofs Keller zusammen, kurz bevor die Vorspeise serviert wird. Politisch korrekt, versteht sich. Von der Roten Beete ist nicht nur die Knolle vertreten, auch die Blätter und die Stiele werden als Variation serviert – neben zwei affinierten Pralinen vom Heggelbacher Biokäse. Die Begriffe regional und saisonal sind hier kein Schlagwort, sondern liegen in Form der Zutaten auf dem Teller. So sollte es auch sein, wenn das "Slow Food Convivium" Bodensee und Gleichgesinnte mit am Tisch sitzen, deren Leitgedanke lautet: Fein und fair muss kein Widerspruch sein. "Was kann ich denn guten Gewissens genießen?" fragt Schmidt. Und beantwortet sie: Heute habe jeder das Budget, eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen.

Es ist die vorletzte Etappe, die die Allianz von Misereor und Slow Food gemeinsam bestreitet, um ihre 95 Thesen für Kopf und Bauch unter die Menschen zu bringen. "Eigentlich hätten wir diese Veranstaltung auf dem Wochenmarkt machen müssen, um mehr Leute anzusprechen", hatte Gastgeber Markus Keller kurz vor Beginn zu bedenken gegeben. Doch das wäre so nicht realisierbar gewesen. So aber sitzen nun rund 30 interessierte und bewusste Genießer am Tisch und reflektieren – moderiert von Gabi Toepsch – mit den Erzeugern Markus Knösel, Hanno Willasch und Stephan Ryffel, wie man das Bewusstsein für gute Ernährung schärfen könnte.

Gedankenaustausch über den fairen und rechten Genuss bei Tisch (von rechts): Barbara Schmidt (Misereor Bayern), Rupert Ebner (Slow Food ...
Gedankenaustausch über den fairen und rechten Genuss bei Tisch (von rechts): Barbara Schmidt (Misereor Bayern), Rupert Ebner (Slow Food Deutschland), Moderatorin Gabi Toepsch (ARD-Journalistin und Hobbygärtnerin) mit den Erzeugern Markus Knösel, Hanno Willasch (beide Hofgut Rengopldshausen) und Stephan Ryffel (Heggelbach). | Bild: Hanspeter Walter

Dass ausgerechnet die katholische Hilfsorganisation Misereor im Jubiläumsjahr der Reformation gemeinsam mit Slow Food die 95 Thesen für eine bessere Ernährung für alle auf der Erde erarbeitet habe, möge vielleicht auf den ersten Blick erstaunen, erklärte Rupert Ebner, ehemaliger Veterinär, heute Politiker in Ingolstadt und Schatzmeister von Slow Food Deutschland. Doch gemeinsam mache man auf die eklatanten Missstände und die Reformbedürftigkeit der Nahrungsmittelproduktion aufmerksam.

Essen als politischer Akt? Was etwas hochtrabend klingt, erscheint bei näherer Betrachtung gar nicht so verfehlt. Wissen, was man isst, wie es produziert wird und wer davon profitiert, sei nicht nur für Slow Food ein wichtiges Momentum, erläuterte Rupert Ebner mit einem Statement von Bernd Bornhorst, dem Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik bei Misereor. "Satt werden ist für den Hunger in der Welt keine Lösung", zitierte ihn Ebner und schlug damit den Bogen zu Slow Food: "Proteinersatz zu schicken, bloß damit sie überleben, dass kann keine Strategie von Misereor sein. Die Menschen haben einen Anspruch, dass sie ein abwechslungsreiches, genussvolles Essen bekommen."

Zudem habe die Landwirtschaft der Industrieländer seit Jahrzehnten ihre Produktionsmethoden mit dem Anspruch begründet, den Hunger auf der Welt zu beseitigen, erklärte Theologin Schmidt. "Doch sie hat es nicht geschafft. Und zwei Drittel aller Menschen werden von Kleinbauern ernährt." Einige war sie sich mit dem Slow Food-Vertreter in der Aussage: "Es braucht viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen."

Wie dies in der Praxis geht, hatte Gastgeberin Ruth Keller beim Rundgang über Hof und Garten des Betriebs erklärt. Es wächst hier nicht nur vieles vor der eigenen Haustür, sondern es gackern auch verschiedene Hühnerrassen auf der Wiese, um später ein gutes Geflügelfleisch zu liefern. Wohl dem, der auch die eigenen Obstwiesen vor der Haustür hat, die Äpfel und Birnen, Pflaumen und Nüsse liefern.

Dass mittlerweile Rinder der schnelleren Verdauung wegen mit Popcorn gefüttert werden, wie Markus Keller später beschreibt, zählt für den Koch zu einer der zahlreichen Verirrungen der Ernährungsindustrie. Nicht einmal in der Schweiz ist alles Gold, was glänzt. Käsemeister Stephan Ryffel aus Heggelbach, der selbst Schweizer ist, erlaubte sich einen Rüffel. "Die Schweiz ist ja immer sehr stolz auf ihren Selbstversorgungsgrad", sagt er. Bei der Milchwirtschaft liege dieser offiziell bei 130 Prozent. Allerdings erwähne kaum jemand, dass große Teile der konventionellen Milchwirtschaft sehr viel Kraftfutter verabreiche. "Deshalb bin ich stolz darauf, dass ich Milch von Kühen verarbeiten kann, die das regionale Gras fressen."