Deutschland ist spät dran beim Ausbau des Breitbandnetzes, sagte Landrat Lothar Wölfle Anfang des Jahres und der Bodenseekreis noch kein Vorreiter. Deshalb haben sich der Landkreis und 15 seiner Gemeinden dem kommunalen Verbund Komm.Pakt.Net. angeschlossen, der an die 200 Mitglieder hat. Erstes konkretes Ziel ist die Schaffung eines starken Rückgrats ("backbone") für die Basisstruktur aus Glasfaser. Im neuen Koalitionsvertrag propagiert die grün-schwarze Regierung sogar den Ausbau im Standard "Fibre to the Home" (FTTH), also Glasfaser bis ins Wohnzimmer, und setzt auf eine Verwaltung 4.0.

Auch an der Basis ist plötzlich Bewegung in die Szenerie gekommen, wie an vielen Baustellen abzulesen ist. Auf allen Kanälen versuchen zum einen die Versorger, zum anderen die Gemeinden die Breitbandversorgung als Stück Lebensqualität und Standortfaktor für Bürger und Gewerbe zu optimieren. Und jede Kommune hat ihre eigene Strategie. Die Stadt Überlingen wollte dem kommunalen Verbund beitreten und hat später einen Rückzieher gemacht, Owingen ist bewusst Mitglied geworden und Salem ist selbstbewusst genug, die Versorgung auf eigene Kappe zu entwickeln. Zwischen Uhldingen-Mühlhofen und Hagnau ist mit Daisendorf, Meersburg und Stetten ein kleiner Verband entstanden, der sich dem größeren angeschlossen hat.

Immerhin scheinen die verschiedenen Anstrengungen den Versorgern Beine gemacht zu haben. Vor einigen Jahren hatte sich die Gemeinde Owingen bemüht, mithilfe der EnBW und der Telekommunikationstochter NeckarCom die Teilorte an Bord zu holen. Was in einem zähen Prozess gelungen ist. In den letzten Wochen zeigte die Telekom in Owingen höchste Geschäftigkeit. Fast an jeder Straßenecke eine Baustelle. Bauleiter Ralf Zorn von der Kressbronner Firma Hartl, die im Auftrag der Telekom die Tiefbauarbeiten umsetzt, sagt: "Wir haben jetzt rund 13 Kilometer Glasfaser verlegt. Dazu mussten auch acht Multifunktionsgehäuse aufgestellt oder mit neuer Technik ausgestattet werden." In den nächsten Wochen steht auch Überlingen auf dem Ausbauplan der Telekom. "Die Baupläne habe ich schon", sagt Zorn. "Wir warten noch auf die erforderlichen verkehrsrechtlichen Anordnungen."

Lange hatte es gedauert, bis in Überlingen endlich die Teilorte Hödingen, Nesselwangen und Bonndorf vernünftig angedockt waren. Die Telekom hatte keine Eile. Mehrere Ausschreibungen brachten kein Ergebnis. Schließlich kam die Stadt ins Geschäft mit der Stadtwerktochter TeleData, investierte selbst und bekam Zuschüsse. Auch im Gewerbegebiet Oberried deckte die TeleData durch den Netzausbau den wachsenden Bedarf. In Frickingen und Heiligenberg entfaltete das Stadtwerk am See gemeinsam mit TeleData große Aktivitäten. Unter dem Stichwort "Gas und Glas" verbindet das Stadtwerk die Verlegung von Gasversorgungsleitungen mit Leerrohren für Glasfaserkabel, um eine optimale Breitband-Versorgung zu erreichen. In diesen Tagen wird gerade der Teilort Bruckfelden an das Leitungsnetz angebunden. Schon einen Schritt weiter sind die kommunalen Versorger in Heiligenberg. Dort werden im Moment von der Tettnanger Firma Abao Energy schon Glasfaserkabel "eingeblasen", wie deren Geschäftsführer Gerhard Amann demonstriert.

Gelb ist die Signalfarbe auf den Ausbaukarten des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Denn Gelb steht für eine nahezu hundertprozentige Versorgung mit einer Breitbandgeschwindigkeit von 50 MBit. Gelb ist in der aktuellsten Darstellung von Ende 2015 im Bodenseekreis lediglich Sipplingen ausgewiesen – das schöne, kleine Dorf im Westen. Surft die Kommune auf der großen Welle? Zwei Faktoren kommen hier derzeit noch zusammen. Zum einen kommt dem Ort für die Hausanschlüsse derzeit ein flächendeckendes altes Fernsehkabelnetz zugute, das von Unitymedia, früher Kabel BW, für Kommunikation genutzt wird. Zum anderen wirkt sich die Statistik des kompakten Dorfes aus, das keine abgelegenen Teilorte hat. Doch auch Sipplingen denkt weiter und erwägt einen Anschluss an den kommunalen Verbund.

Allenfalls eine "passable Versorgung" hat die Gemeinde Salem derzeit in allen Teilorten, wie Bauamtsleiter Elmar Skurka sagt, für die Zukunft sei dies angesichts der wachsenden Anforderungen natürlich "absolut unzureichend". Doch hat die Kommune selbst das Heft des Handelns ergriffen und bei einem Ingenieurbüro eine komplette Planung für die Glasfaseranbindung aller Gebäude in Auftrag gegeben. Bei aktuellen Tiefbaumaßnahmen werden die notwendigen Leerrohre schon verlegt, ansonsten übernimmt die Gemeinde selbst die Bereitstellung der Infrastruktur und sucht nach geeigneten Netzbetreibern. Davon sind schon mehrere mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Geschäft. Bei der "Neuen Mitte" haben die Telekom und die Teledata großes Interesse angemeldet, sie wollen beide die notwendige zeitgemäße Versorgung bereitstellen. Der Ausbau in den Ortsteilen Rickenbach und Tüfingen mit Baufnang sowie in Teilen von Neufrach und im Gewerbegebiet ist abgeschlossen.

Die Standards im Überblick

  • Für den Ausbau bzw. die Architektur der Breitbandnetze bis zum Endkunden gibt es verschiedene Standards, die sich hinter geheimnisvollen Kürzeln verbergen. Das höchste aller Gefühle und die schnellsten Leitungen verstecken sich hinter dem FTTH-Standard. Bei "Fiber to the home" kommt die Anbindung vollständig ohne Kupferkabel aus. Die Glasfaserkabel werden in diesem Fall bis zur Wohnung oder zum Haus des Kunden verlegt.
  • Bei DSL 16 reichte die Glasfaseranbindung an das Backbone, dem Rückgrat der Versorgung, nur bis zum Hauptverteiler, dem sogenannten Outdoor-DSLAM. Von dort aus nutzte man bis zum Kabelverzweiger und zum Endkunden weiterhin die Kupferleitung des Festnetzes. VDSL geht schon einen Schritt weiter: Dort wird die Glasfaserleitung bis zum Kabelverzweiger verlegt. Diese Netzarchitektur bezeichnet man als "Fiber to the Curb" (FTTC), was so viel bedeutet wie "Glasfaser bis zum Bordstein". Nur das letzte Stück vom Kabelverzweiger bis zum Endkunden muss bei dieser Technologie ohne die schnellen Glasfaserkabel auskommen. Mit VDSL sind bereits 50 bis 100 Mbit/s möglich.
    Die Architektur hat noch den Nachteil, dass die maximale Übertragungsrate beim Kunden mit der Entfernung vom Kabelverzweiger sinkt.
  • Die neue Landesregierung hat sich in der Koalitionsvereinbarung daher für den Königsweg stark gemacht: Mit Glasfaserkabeln bis zum Haus, also "fiber to the building" (FTTB) oder gar in die Wohnung (FTTH) wird die Distanz, die ohne fiberoptische Kabel realisiert werden muss, so gut wie möglich minimiert. Während bei FTTB noch eine kurze Distanz im Haus – vom Keller bis in die Wohnung – mit Kupferkabeln überbrückt wird, ist FTTH am besten, weil gar keine Kupferkabel mehr notwendig sind.
  • Die Breitbandversorgung hat aus Sicht der neuen Koalition in der Landesregierung "die Qualität einer Daseinsvorsorge". Beim Ausbau haben Glasfaserleitungen Vorrang vor kupferbasierten Lösungen. "Mittelfristig besteht das Ziel, dass jedes Gebäude in Baden-Württemberg einen Glasfaseranschluss erhält", heißt es in der Vereinbarung, wobei der Schwerpunkt des Netzausbaus auf dem Betreibermodell liegen solle. In "begründeten Fällen" ist eine Förderung von "Wirtschaftlichkeitslücken" über Programme von Land und Bund möglich. Ziel ist es, diese Programme noch besser aufeinander abzustimmen.
Hanspeter Walter