Melanie Kunze

Ein wenig unsicher fühlt sich der Mann schon, als er auf das Haus am Wiestor zusteuert. Schließlich ist er in der Stadt kein Unbekannter und möchte nicht in Verruf geraten. Hastig wirft er einen Blick über die Schulter, dann tritt er ein. Unbehaglich hat er sich beim Betreten des Hauses deshalb gefühlt, weil es sich bei dem Gebäude um ein Freudenhaus handelt. Im 15. oder 16. Jahrhundert könnte sich in Überlingen so eine Szene zugetragen haben.

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Frauenwirt als Pächter der Stadt

Ein genaues Gründungsdatum für das Frauenhaus, so wurden seinerzeit die Freudenhäuser genannt, ist nicht bekannt. Für das Jahr 1454 gibt es einen Beleg, der besagt, dass es dort einen Frauenwirt gab, der dafür Sorge zu tragen hatte, dass in diesem Haus alles mit rechten Dingen zuging. An die Pacht waren Auflagen geknüpft: So hatte der Wirt unter anderem darauf zu achten, dass die Frauen ihre Pflichten einhielten und eine gewisse Anzahl an Kunden bedient wurde.

Bild 1: Adventskalender der verschwundenen Orte: Frauenhaus mit Spielwiese
Bild: Ellen Knopp

Spielwiese neben dem Gebäude

„Das Frauenhaus war im Mittelalter eine Sonderform des Bordells und in städtischer Hand“, erzählt Carsten Prinz, der zufällig von der Geschichte des Frauenhauses und dessen Verflechtung mit der Stadt erfahren hat. „Die Stadt hat es wiederum an den Frauenwirt verpachtet.“ Zuständig war dieser nicht nur für das Gebäude, sondern auch für die dazugehörige Wiese, die pikanterweise Spielwiese genannt wurde. Vermutlich haben die Damen dort auf Kundschaft gewartet und vorbeischlendernden Herren aufreizende Blicke zugeworfen.

Carsten Prinz hat auf dem Pausenhof der Wiestorschule Platz genommen. In diesem Bereich hat sich einst ein Freudenhaus befunden, das der ...
Carsten Prinz hat auf dem Pausenhof der Wiestorschule Platz genommen. In diesem Bereich hat sich einst ein Freudenhaus befunden, das der Stadt gehörte. | Bild: Magdalena Stoll

Letzter Frauenwirt übernimmt 1530

„Die Stadt richtete ein Frauenhaus ein, um die Prostitution kontrollieren zu können und um Ausschweifungen zu vermeiden“, erzählt Carsten Prinz von den Motiven der Ratsherren. Wenig erfreut waren diese über einen Vorfall, der sich 1525 zugetragen hatte: Im Stadtkataster heißt es, es habe eine "richterliche Untersuchung von Exzessen vor und in dem Frauenhaus zu Überlingen“ gegeben. Und damit endet die Geschichte des städtischen Freudenhauses schon fast: 1530 wird letztmalig für einen Frauenwirt ein Revers ausgestellt, eine schriftliche Erlaubnis, dort einem entsprechenden Gewerbe nachzugehen.

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Moralische Vorstellungen verändern sich

„Das Ende hatte dann zwei Ursachen“, hat Carsten Prinz herausgefunden. „Zum einen wurde das Gebäude abgerissen, da es starke bauliche Veränderungen in diesem Bereich der Stadt gab, unter anderem wurde auch der Friedhof verlegt.“ Auch die moralischen Vorstellungen wandelten sich und führten zu einer Verschärfung der Kirchen- und Zuchtverordnungen. Nachdem das Frauenhaus geschlossen worden war, konnte sich der Bereich zwischen den Wiestoren weiterentwickeln. Heute gibt es dort eine Schule und diverse Wohn- und Geschäftshäuser.