Dass den Überlingern ein Licht aufgehen konnte, haben sie einer innovativen und eigensinnigen Frau zu verdanken: Bertha Kupferschmid. Diese hatte sich nicht nur in den Kopf gesetzt, ihr eigenes Haus zum Strahlen zu bringen; nein, sie wünschte vielmehr, dass ganz Überlingen am Abend hell erleuchtet sein soll. „Doch so einfach war das nicht. Schließlich wurden neben einem Elektrizitätswerk auch Strommasten und Verteilerkabel benötigt“, erzählt der Überlinger Carsten Prinz.
Stadt stand dem Vorhaben äußerst skeptisch gegenüber
Aber nicht nur die technischen Voraussetzungen stellten für die Witwe Bertha Kupferschmid Hindernisse dar: Obwohl sie neben ihrem Zuhause auch ihre Nachbarn und andere Abonnenten mit Strom und damit auch mit Licht versorgen wollte, stand die Stadt diesem Vorhaben äußerst skeptisch gegenüber. Joachim Niederreiner schreibt in seinem Buch „… klein, hochmodern, aber hiesig“ über die immensen Forderungen, die der konservative Rat der Stadt an die Unternehmerin stellte: „Daß der Stadt keinerlei finanzielle sowie rechtliche Nachteile erwüchsen und daß jeder potentielle Interessent (Staat, Stadt oder Privater) zu bestimmten Preisen seinen Nutzen aus der neuartigen Energiequelle ziehen könne.“

Uneinigkeit herrschte im Rat auch deshalb, weil Überlingens Kassen leer waren. „Unter anderem hatte die Stadt gerade einen hohen Zuschuss zur Bahntrassierung in Höhe von 70 000 Reichsmark geleistet, und somit galt es als aussichtslos, selbst in den kommenden Jahren die Kosten in Höhe von 100 000 Reichsmark für den Bau eines Elektrizitätswerks stemmen zu können“, schildert Prinz die Hintergründe. Bereits am 15. Januar 1895 erschien im Seeboten ein Kommentar zum Projekt von Bertha Kupferschmid – die es nicht nur finanzieren, sondern darüber hinaus ihr Grundstück für das Elektrizitätswerk zur Verfügung stellen wollte.
Der Journalist bemerkte, dass „der Stadt durchaus keinerlei Verbindlichkeiten“ entstehen würden. Und weiter: „Die Stadt erwirbt damit, ohne irgendwelche Verpflichtungen einzugehen, einzig und allein das Recht, nach einigen Jahren, sofern sie es für opportun und nützlich hält, die von Frau Kupferschmid gebaute und im Betrieb befindliche Anlage jederzeit zum Selbstkostenpreis zu übernehmen.“ Somit würde das wirtschaftliche Risiko allein bei der Witwe liegen und die Stadt hätte die Trümpfe in der Hand.
Dieser Kommentar schien die zweifelnden Stadträte überzeugt zu haben, denn es kam bereits am 12. Februar 1895 zum Vertragsschluss zwischen den beiden Parteien über „den Bau und Betrieb eines Elektrizitätswerks“. Geplant waren laut Joachim Niederreiner „600 Glühlampen à 16 Normalkerzen, 110-220 Volt Gleichstrom, beim Mantelhafen, einschließlich Freileitungen und Straßenbeleuchtung, Gesamtpreis der technischen Anlagen entsprechend dem Angebot der Firma Helios, Köln, 87.564,70 Reichsmark, Strompreis 60 Pf/kWh für Lichtstrom und 20 Pf/kWh für Kraftstrom“.
Der Plan wurde zügig realisiert, schon am 16. Januar 1896 konnte der Seebote über die feierliche Inbetriebnahme der ersten Stromerzeugungsanlage berichten: „Wer gestern Abend nach Einbruch der Dunkelheit die Straßen Überlingens durchschritt, der konnte allenthalben froh bewegte Menschengruppen treffen, aus deren Gebahren zu schließen war, daß etwas Ungewöhnliches ihre Aufmerksamkeit erregte.“ Weiter heißt es: „Und die Einwohner Überlingens hatten zu ihrer freudigen Stimmung allen Grund: zum ersten Male brannte in ihrer Stadt das elektrische Licht, das Licht vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts, durch dessen Einführung die Stadt gezeigt hat, daß sie gewillt ist, sich jedes ihr erreichbaren Mittels der Neuzeit zu bedienen, wenn es sich um Nutz und Frommen ihrer Einwohnerschaft handelt.“
Großes Fest zur Inbetriebnahme
Das Blatt berichtet weiter über die Feierlichkeiten: „Über dem Eingang der Zentrale, vor der sich nach 7 Uhr eine große Menschenmenge drängte, leuchtete in weithin strahlender Flammenschrift, aus vielen kleinen elektrischen Glühlichtern zusammengesetzt, die Aufschrift: ‚Centrale Überlingen‘. […] Gegen 8 Uhr begab man sich unter Vorantritt der Stadtmusik unter klingendem Spiel durch die Stadt zur Brauerei Waldschütz, deren Räume schon um diese Zeit von einer geradezu erdrückenden Menschenmenge angefüllt waren.“ Auch die Rede des Bürgermeisters gibt der Seebote wieder: Endlich sei der Tag gekommen, an dem sich in Überlingen mehr Licht verbreiten solle. Kaum fünf Monate sei es her, dass Überlingen das große Fest der Eisenbahn gefeiert habe, und heute habe die Stadt eine neue Errungenschaft zu zelebrieren.
Die Schlussworte seiner Rede widmete der Bürgermeister dem Verdienst der mutigen Witwe. Er legte „Zeugnis von der hochherzigen Opferwilligkeit dieser Bürgerin“ ab. Der Autor des Artikels im Seeboten führt weiter aus: „Der Redner spendet beste Anerkennung der Energie, Tüchtigkeit, Sachkenntnis und dem sicheren Blicke der Frau Kupferschmid. Jetzt sei das Werk fertig; möge dasselbe für die Gemeinde Bedeutung haben, daß ihr die Elektrizität in die Glieder fahren möge, wenn sie einmal lässig werden sollte im Wirken für ihr Fortschreiten und für das Vaterland.“
Wasserkraftwerk wird 2014 stillgelegt
Carsten Prinz kennt auch den weiteren Verlauf der Festansprache: „Zum Abschluss seiner Rede ließ er die Unternehmerin hochleben, was mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurde.“ Bereits drei Jahre nach dem rauschenden Fest übernahm die Stadt das private Elektrizitätswerk für 120 000 Mark und gründete damit das Städtische Elektrizitätswerk Überlingen. „Nach diversen technischen Schwierigkeiten wie dem Ausfall der druckgasbetriebenen Stromerzeugungsanlagen wurde in den 1920er-Jahren das Elektrizitätswerk durch ein Wasserkraftwerk ersetzt", erklärt Prinz. Dieses ging 2014 außer Betrieb. Ohne Elektrizitätswerk wurde dann auch kein Strommast mehr benötigt, und so wich dieser Zeuge für ein erhelltes Überlingen einem Schatten spendenden Baum.