Sipplingen wirbt für sich als „das schöne Dorf am See“. Die renaturierten Uferanlagen mit zwei schmucken Restaurantbetrieben und einer Beachbar, mit einem großzügig erweiterten Westhafen, neuer DLRG-Rettungswache und Hafenmeistergebäude belegen dies. Auch innerorts tut sich was: Der Kirchturm strahlt in neuem Glanz, ebenso das teuer restaurierte Rathaus. Nun werden noch die Dorfmitte und der Rathausplatz herausgeputzt.
Kunden finden Weg in die Metzgerei nicht
Dennoch vergleichen immer mehr Einwohner ihr Dorf mit dem sprichwörtlich sterbenden Schwan, denn Sipplingen gehen die Nahversorger aus. Apotheke, Bäcker und fast alle Gasthäuser sind verschwunden. Nun droht auch der Metzgerei das Aus: Betreiber Rico Zickmantel laufen die Kunden fort, besser gesagt finden sie den Weg in die Metzgerei nicht mehr. Diese liegt an der Rathausstraße vor dem Rathausplatz, der seit Ende Oktober auch zu Fuß nicht mehr zu überqueren ist, die Straße ist seither Sackgasse und nur vom See anzufahren.
Wöchentlich fehlen bis zu 2000 Euro in der Kasse
Seit zwei Wochen können Fußgänger auch die Rathausstraße nicht mehr begehen. Zur Metzgerei kurz vor dem Rathausplatz führt ein verschlungener Weg über Treppen und Stiegen. Nur wer gut zu Fuß ist und sich im Dorf auskennt, findet dorthin. Das soll noch bis Anfang Juni so weitergehen. Rico Zickmantel: „Zurzeit fehlen uns jede Woche 1500 bis 2000 Euro Einnahmen. Wir haben unsere Kreditlinie schon fast ausgeschöpft. Wenn nichts passiert, müssen wir demnächst Insolvenz anmelden.“
Bis 2021 kamen täglich rund 30 Kunden
Rico Zickmantel und seine Partnerin Bettina Christ haben 2018 vom Überlinger Metzger Zugmantel das Geschäft übernommen. Bis 2021 lief es laut Rico Zickmantel gut. Er setzt auf regionale Produkte, auf Freundlichkeit und Service. „Täglich kamen rund 30 Kunden ins Geschäft“, sagt er, „am Samstag noch mehr“. Auch die Corona-Pandemie überstand Zickmantel gut. Er investierte in einen Liefer- und Cateringservice.
Einen Vorgeschmack darauf, was ihm gegenwärtig widerfährt, bekam Zickmantel 2021. Da sperrte die Gemeinde schon einmal für sechs Wochen die Rathausstraße. „Uns haben damals jede Woche rund 1000 Euro Einnahmen gefehlt. Wir haben bis zum Jahresende gebraucht, um das wieder aufzuholen“, erinnert sich Rico Zickmantel.
Was sagt die Gemeinde zur prekären Situation des Nahversorgers? Deren Pressestelle erklärt auf Anfrage des SÜDKURIER, man habe so lange wie möglich die Zufahrt zur Metzgerei offengehalten. Allerdings habe die Sicherheit der Baustelle oberste Priorität. Die Verwaltung räumt ein, dass die „engen Verhältnisse die Umleitung der Fußgänger zusätzlich erschweren“. Aber: „Die Nahversorger sind grundsätzlich fußläufig erreichbar.“

Zulieferer weigert sich, Ware zu bringen
Jetzt weigerte sich der Zulieferer, der Metzgerei die bestellten Waren anzuliefern, wie Rico Zickmantel sagt. „Nicht bei diesem Weg!“ Für die Gemeinde gilt eine andere Zielvorgabe. Man plane, „den Rathausplatz bis Fronleichnam fertigzustellen, um nicht in der Hauptsaison eine Baustelle zu haben“. Dies sei verschiedentlich im Gemeinderat dargestellt und erörtert worden.
Gemeinde fordert 3000 Euro Gewerbesteuer
Rico Zickmantel hilft das nicht, er ist verbittert: „Kein Gemeinderat oder der Bürgermeister hat sich erkundigt, wie das Geschäft läuft“, erzählt er. Vielmehr sei ihm gerade die Forderung der Gemeinde zur Zahlung der Gewerbesteuer von mehr als 3000 Euro auf den Tisch geflattert. Erst als der SÜDKURIER bei der Gemeinde angefragt habe, habe sich am nächsten Morgen der Bürgermeister bei ihm gemeldet. „Er hat mir die Stundung der Gewerbesteuer angeboten. Doch das hilft mir nichts“, sagt Zickmantel. „Woher soll ich in der Situation das Geld nehmen? Auch in drei Monaten? Das hole ich doch nie auf!“

57-Jähriger blickt düster in die Zukunft
Eigentlich will der Metzger bis zur Rente durchhalten. Er blickt düster in die Zukunft: „Wenn das bis Mai so weiter geht, sind wir ruiniert und müssen ganz dicht machen.“ Eigentlich habe er vor, bis zu seinem Rentenalter das Geschäft weiterzuführen – Rico Zickmantel wird demnächst 57 Jahre. Doch wenn nichts geschehe, habe Sipplingen womöglich schon bald die Schließung des nächsten Nahversorgers zu beklagen.
Ergänzende Stellungnahme der Gemeinde vom Montag
Nach der Veröffentlichung unseres Online-Artikels meldete sich die Pressestelle der Gemeinde Sipplingen erneut. Zu der Aussage von Rico Zickmantel, Bürgermeister Oliver Gortat habe sich am Morgen nach der Anfrage des SÜDKURIER bei ihm gemeldet und ihm die Stundung der Gewerbesteuerzahlung angeboten, teilt die Pressestelle mit: „Bürgermeister Gortat hat sich nicht am nächsten Morgen oder nach der Anfrage des SÜDKURIERs bei Vertretern der Metzgerei Zickmantel gemeldet. Dies entspricht nicht der Tatsache.“ Vielmehr habe sich nach Anfrage des SÜDKURIER der Fachbereich Finanzen der Gemeinde beim Unternehmen gemeldet. Dies bestätigte Rico Zickmantel mittlerweile gegenüber dem SÜDKURIER.
Die Pressestelle erklärt, Rico Zickmantel habe sich „in der letzten Zeit bezüglich etwaiger Sorgen und Nöte bislang nicht proaktiv beim Bürgermeister gemeldet“. Man wolle nun mit ihm „nochmals (…) in den Dialog“ treten.
Zusätzlich ergänzt die Pressestelle ihre Aussage, die Bauarbeiten bis Fronleichnam zu beenden: „Der Tourismus ist auch für unsere Nahversorger von großer Bedeutung. Aus diesem Grunde war es Gemeinderat und Verwaltung wichtig, die Baustelle Rathausplatz während der Nebensaison voranzutreiben, da der Tourismus gerade in der Hauptsaison wieder zunimmt.“