Es ist ein trüber Morgen, als Ursula Hefler ihre Deutschkurs-Teilnehmer zur Weihnachtsfeier im evangelischen Gemeindehaus in Stefansfeld empfängt. Rund ein Dutzend Ukrainer, hauptsächlich Frauen, sitzen bei Tee und Gebäck gemeinsam am Tisch. Mit dabei ist Tetyana Agnano, die vor 20 Jahren aus dem Gebiet um Luhansk nach Deutschland gezogen ist und Ursula Heflers Kurs tatkräftig unterstützt. Am Klavier stimmt sie „Schtschedryk“ an, ein ukrainisches Weihnachtslied, das im englischsprachigen Raum auch als „Carol of the Bells“ bekannt ist.

Ukrainer singen Weihnachtslieder Video: Altmann, Miriam (Extern)

Die Kursteilnehmer singen zu den Moll-Klängen mit, einzelne haben Tränen in den Augen. Für alle ist es das zweite Weihnachtsfest fernab der Heimat. „Schtschedryk bedeutet so viel wie freigebig“, erklärt Agnano. Es gehe um einen Vogel, der die Ankunft Jesu verkünde – trotz des schwermütigen Klangs sei das ein freudiges Ereignis. „Ukrainische Lieder sind immer traurig, egal worum es geht“, kommentiert sie mit einem Schuss Selbstironie. Doch als Natalia Gryschko ein Solo zu singen beginnt, erhellt plötzlich die Sonne den Raum.

Tetiana Starodubtseva (Mitte) zeigt Ursula Hefler (links), wie der weihnachtliche Gottesdienst in der Ukraine gefeiert wurde.
Tetiana Starodubtseva (Mitte) zeigt Ursula Hefler (links), wie der weihnachtliche Gottesdienst in der Ukraine gefeiert wurde. | Bild: Altmann, Miriam

Über Weihnachtsmann und Väterchen Frost

Neben Gesangsbeiträgen hat Ursula Hefler als Sprachlehrerin auch deutsche Texte zur Übung und Kulturvermittlung eingeplant: Nach ihrem Vortrag des Gedichts „Knecht Ruprecht“ entspinnt sich ein Austausch über die verschiedenen Gabenbringer. Oleksander Lohvinov stellt fest: „In Deutschland gibt es den Weihnachtsmann, bei uns gibt es Väterchen Frost mit seiner Enkelin.“ Dieses Schneemädchen, Snegurotschka genannt, weist Ähnlichkeiten mit dem Christkind auf. Olena Lohvinov zeigt dazu ein altes Foto, auf dem sie selbst im Kostüm des Schneemädchens zu sehen ist.

Einst durfte sie als Snegurotschka auftreten: Olena Lohvinov zeigt ein altes Foto, auf dem sie im Kostüm des Schneemädchens zu sehen ...
Einst durfte sie als Snegurotschka auftreten: Olena Lohvinov zeigt ein altes Foto, auf dem sie im Kostüm des Schneemädchens zu sehen ist, der Enkelin von Väterchen Frost. | Bild: Altmann, Miriam

Teilnehmer berichten von ukrainischen Bräuchen

Die Kursteilnehmer erzählen von ihren Weihnachtstraditionen: An Heiligabend gibt es in Anlehnung an die Apostel zwölf Fastengerichte. Nach dem Kirchgang setzt man sich mit der Familie an den mit Heu gedeckten Tisch, was an die Krippe erinnern soll. Am ersten Weihnachtsfeiertag ziehe man dann mit einem Stern durch die Straßen und singe Weihnachtslieder, berichtet Olena Semerenko. Bisher hätten diese Festtage am 6. und 7. Januar stattgefunden, doch Tetyana Agnano erläutert, dass das orthodoxe Weihnachtsfest nun auf den 25. Dezember vorverlegt worden sei.

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Offenheit für Neues bei Bewahrung der Traditionen

„Feiert ihr hier wie in der Ukraine?“, will Ursula Hefler wissen. „Wir werden vielleicht nicht mit dem Stern zu den Menschen kommen“, meint Olena Semerenko schmunzelnd, „aber wir wollen unsere Traditionen behalten“. Da viele von ihnen Kinder hätten, sollten diese ihre Kultur kennenlernen und schützen. Natalia Gryschko ergänzt: „Wir möchten aber auch gern die deutschen Bräuche kennenlernen und das kombinieren.“ Gerade die Kinder hätten einiges in Kindergarten und Schule erfahren und seien von den Feierlichkeiten begeistert gewesen.

Oleksii Zoma singt und spielt ein Lied, das von der besten Stadt der Welt handelt. „Jeder hat dabei an seine Stadt gedacht“, ...
Oleksii Zoma singt und spielt ein Lied, das von der besten Stadt der Welt handelt. „Jeder hat dabei an seine Stadt gedacht“, kommentiert Tetyana Agnano hinterher. | Bild: Altmann, Miriam

Den Neuanfang in der Ferne gestalten

„Wir leben hier“, sagt auch Tetiana Starodubtseva und betont dabei das letzte Wort. Die junge Frau aus der Ostukraine wohnt seit anderthalb Jahren in Mimmenhausen und hat das feste Ziel, sehr gut Deutsch zu lernen. Mit Mutter, Tante, Onkel und Hund verließ sie die Heimat – weitere Verwandte und viele Freunde sind entweder noch dort oder quer über Europa verstreut. „Unser Haus wurde von Bomben zerstört“, erzählt sie äußerlich gefasst. Zwar plagen sie Heimweh und die Sorge um ihre Lieben, doch ihre Zukunft plant sie hier: Da sie aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr als Friseurin arbeiten kann, strebt sie eine Ausbildung im Bereich Radiologietechnik an. Seit einem Jahr wartet sie auf einen Platz in einem Integrationskurs, der Voraussetzung dafür ist: „Ich hoffe, ich kann im Februar starten.“

Ukrainer singen O Tannenbaum Video: Altmann, Miriam (Extern)

Ein hoffnungsfrohes Weihnachtsfest

Oleksander Lohvinov besucht bereits zusätzlich zu Heflers Kurs einen Integrationskurs. Mit seiner Familie hat er sich ebenfalls auf ein Leben in Deutschland eingestellt – die Großeltern wollten die Heimat im Donbas hingegen nicht verlassen. „Wir sehen keine Möglichkeit, zurückzugehen“, offenbart Oleksander Lohvinov. Sein älterer Sohn spreche schon besser Deutsch als er, außerdem stehe die Einschulung bevor. Während der jüngere Sohn vom Schoß seiner Mutter klettert, stimmen zum Abschluss alle zusammen „O Tannenbaum“ an. Ursula Hefler überreicht allen Gästen eine Tüte mit Plätzchen und einem Anhänger. Der Text darauf sei ihr sehr wichtig, sagt sie: „Ich wünsche euch ein hoffnungsfrohes Weihnachtsfest.“

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