58 Kinder und Jugendliche, die die Schule Schloss Salem besuchen, mussten in Quarantäne, weil sie mit Mediziner Martin Diesch Kontakt hatten, der an Covid-19 erkrankt war. Für alle Beteiligten, Schulleitung, Mitarbeiter und Schüler, war die Organisation ein Kraftakt. Denn drei Internatsflügel wurden eigens für die Einrichtung der Quarantäne geräumt. Innerhalb eines Tages zogen die Schüler um.
Nach Angaben von Gesamtleiter Bernd Westermeyer lief alles problemlos ab: alle Schüler negativ getestet und auch Diesch geht es laut Westermeyer wieder gut. Die Arztpraxis in Salem-Stefansfeld konnte zwischenzeitlich wieder öffnen.
Doch stand die Schule Schloss Salem immer wieder vor derlei Herausforderungen. So erinnert sich Thomas Naumann, Museumsleiter im Ruhestand, in Pfatter wohnhaft, an zwei Grippewellen, die auch die Schule ereilten.
„Ich (geboren 1950) lebte von 1953 bis 1973 auf Schloss Salem. Mein Vater, Dr. Paul Naumann, hatte seine Dienstwohnung als evangelischer Pfarrer der Diasporagemeinde Salem und späterer Dekan der Kreise Überlingen, Stockach und Konstanz und später des Bodenseekreises dort bis zum Jahre 1980. Er war auch Religionslehrer an der Schlossschule und Hausgeistlicher des markgräflichen Hauses“, erzählt Naumann.

In den Jahren 1957/58 sowie 1968 wurde das Internat ihm zufolge von Grippewellen getroffen. Damals grassierten zunächst die „Asiatische Grippe“ und zehn Jahre später die „Hongkong-Grippe“. Naumann gibt an, dass viele Räume zu Krankenzimmern umfunktioniert werden mussten, „und wir sahen damals zu, über die Treppen hinauf möglichst schnell zur eigenen Wohnung zu kommen“.
Brigitte Mohn, Archivarin im Kurt-Hahn-Archiv, berichtet: „Kranke Schüler mussten ins Krankenquartier (Kraqu) und wurden dort von der Krankenschwester und dem Arzt betreut; das ist meines Wissens bis heute so. Es kann durchaus sein, dass in Zeiten mit vielen Infektionsfällen innerhalb der Schule die im Kraqu vorhandenen Betten nicht ausreichten und man daher notgedrungen normale Wohnflügel der Schüler kurzfristig zu ‚Krankenstationen‘ umgewidmet hat (Vergleich: die aktuelle Einrichtung von ‚Quarantäneflügeln‘). Nach Hause schicken konnte man ja fiebernde Kinder auch nicht einfach so.“
Daher halte sie die Schilderung Naumanns für durchaus glaubhaft, „dass man zur Vermeidung von Ansteckungen die vielen Krankenzimmer möglichst mied“.
Lehrer und Schüler an der Grippe erkrankt
Die Kulturwissenschaftlerin suchte in den Salemer Heften nach Hinweisen auf die beiden Grippewellen. „Konkret zur Grippewelle 1957/58 habe ich in den Salemer Heften nur einen Hinweis gefunden; und zwar im Bericht zur – damals noch existierenden – Zweigschule Kirchberg (bei Immenstaad). Dort heißt es mit Bezug auf das übliche Weihnachtsprogramm: ‚Das von Herrn Wolpert für Kirchberg komponierte Weihnachtsspiel konnte am Ende des Herbsttrimesters nicht zum dritten Male aufgeführt werden, da durch die Erkrankung fast aller Lehrkräfte und Schüler an Grippe kostbare Zeit für Schularbeit verloren gegangen war. (…)‘“
Herr Wolpert sei Musiklehrer gewesen, „und das Weihnachtsspiel war einer der absoluten Höhepunkte im Schuljahr für alle Beteiligten; das ließ man nur sehr ungern ausfallen“, schildert Brigitte Mohn.
Zur Grippewelle 1968 fand sie keine konkreten Hinweise in den Salemer Heften: „Im Fokus des Schulalltags scheinen damals eher Schülermitverwaltung und Demokratisierung gestanden zu haben. Auf einer Liste mit Ereignissen in den Jahren 1967 bis 1969 sind die üblichen Aktivitäten – Abiturprüfungstermine, Ausflüge, Vorträge et cetera – erwähnt. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht zwingend, dass es keine Grippewelle an der Schule gegeben hätte; sie erschien den Chronisten möglicherweise einfach nicht erwähnenswert.“
In der Akte zum Krankenquartier seien keine Hinweise auf die Grippewellen enthalten; nur allgemeine Regeln zum Verhalten im Kraqu.
Freundschaft mit der Schulköchin geschlossen
Die Wohnung, in die sich Familie Naumann vor den Grippeviren flüchtete, lag in einem der oberen Stockwerke. „Diese Zimmer waren alles ehemalige Mönchszellen; man erkannte das noch an den – später zugemachten, aber noch erkennbaren – ehemaligen Gucklöchern an den hölzernen Zimmertüren, mittels derer in der Klosterzeit die Mönche wohl beaufsichtigt wurden. Auf der gleichen Wohnebene grenzte unser Bereich unmittelbar an den Wohnbereich der markgräflichen Familie an, an die ich gute Erinnerungen habe“, sagt Thomas Naumann.
Seine Erinnerungen hat er niedergeschrieben. Sie reichen von lebendigen Erzählungen über das Heizen mit Holz und Kohle in Kachelöfen über die Schulköchin „Fräulein Anna“, „mit der ich oft Karten spielte“, bis hin zum Besuch von Queen Elizabeth im Frühjahr 1965.

Trotz der Nähe zur Schule Schloss Salem übte sie als fortführende Schulmöglichkeit keine Anziehungskraft auf Naumann aus: „Internatsatmosphäre war nicht meine Welt. So ging ich nach Absolvierung der Salemer Volksschule (...) ab 1962 auf das Gymnasium nach Überlingen.“ Obwohl er nicht auf die Salemer Schule ging, erinnert er sich noch heute an Schulleiter und Pädagogen, „denen man hin und wieder im Schloss über den Weg lief, die mich beeindruckt haben“.
So etwa an den Schulleiter Axel Freiherr von dem Bussche, der einst noch vor dem Stauffenberg-Attentat fast zum erfolgreichen Hitler-Attentäter geworden wäre: „Er war kriegsversehrt; ich erinnere mich, dass er trotz Beinverletzung die vielen Holztreppen, sich am Geländer hangelnd, mit großem Schwung nahm.“ 1965 führte Naumann nachmittags als Aushilfskraft Touristen durch das Schloss.
„Damals waren das Schloss Salem und seine Sehenswürdigkeiten noch nicht so bekannt wie heute, es kamen aber insbesondere vom Überlinger Reiseunternehmen Brodbeck regelmäßig volle Busse an, deren Insassen in eineinhalb Stunden durchs Schloss geführt werden wollten.“ Der Stundenlohn für ihn betrug 3 DM.
Thomas Naumann: „Der Himmel war glutrot“
Ein Erlebnis ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: „Dieses Ereignis bedrohte das ganze Schloss und damit auch die Schule. Ich glaube, es war im Jahr der Seegfrörne (Anmerkung: 1963), die ich in Überlingen am damaligen Gymnasium am See hautnah erlebte. Es muss im Februar gewesen sein, da brannte das Untere Tor in Salem. Es hieß damals, es sei Brandstiftung gewesen, und in der Folgezeit liefen deshalb viele Wachdienstleute umher.“ Es sei in der Nacht gewesen, als die Sirene losgegangen und ein gewaltiger Funkenflug auf das Schloss zugeflogen sei.
„Der Himmel war glutrot. Die Sache stellte sich derart bedrohlich dar, dass wir die Koffer packten (...) und auf dem Sprung zur Flucht waren. Ich empfand das Ganze damals als ein großes Untergangsszenario. Die große Kälte in diesem extremen Winter aber hatte auf den Dächern des Schlosses wohl eine Eisschicht entstehen lassen, so dass die Funken nichts ausrichten konnten, und die Feuerwehren, auch die der Schule, hatten die Sache noch während der Nacht im Griff“, so Naumann. Das Untere Tor sei eine ganze Weile nicht bewohnbar gewesen.

Zu dem Brand fand sich im Archiv erst mal nichts. Brigitte Mohn erklärt, dass sie mit einer Kollegin aber definitiv über das Feuer gesprochen habe. „In den Berichten in den Salemer Heften wird der Brand nicht erwähnt; auch nicht bei der Auflistung der Einsätze der Schulfeuerwehr. Die wurde aber vielleicht nicht immer alarmiert“, vermutet die Archivarin, wobei sie hier der Erinnerung von Naumann widerspricht. Grob durchgesehen habe sie auch die zeitlich in Frage kommenden Sammlungen von Zeitungsausschnitten, „aber auch hier leider Fehlanzeige“.