Sie heißen „Zockerhelden“, ein Name, der auf den ersten Blick irreführend scheint. Denn Zocker sind natürlich keine Helden, sondern in der Regel Opfer. Die Zockerhelden haben sich aber ihren Namen gegeben, weil sie eben jenen Opfern, den Spielsüchtigen, helfen wollen. Es sind Marc Ellerbrock und Werner Hansch. Der eine ist Rechtsanwalt in Markdorf, der andere ein bekannter Ex-Sportmoderator, legendär geworden als „Die Stimme des Ruhrgebiets“, und selbst genesener Spielsüchtiger. Gemeinsam haben sie vor wenigen Wochen ein Start-up auf den Weg gebracht: Die Zockerhelden UG in Gründung, mit Sitz im Markdorfer Florianweg, wo Ellerbrock auch seine Kanzlei führt.
Ellerbrock und Hansch haben mit ihrem Start-up offenbar eine Nische gefunden: Gerade mal zehn Anwälte gebe es in Deutschland, die sich dem Thema Online-Glücksspiel widmen, sagt er. Mit Podcasts, Videos auf Youtube und Auftritten in Funk und Fernsehen starten die Zockerhelden gerade durch.
Kaum auf dem Weg, bekomme er bereits täglich Anfragen Betroffener aus ganz Deutschland, sagt der Markdorfer Anwalt. Das liege am einzigartigen Rezept: „Die Kombination aus Rechtsberatung und Prävention bieten nur wir an.“ Das Schicksal eines Bekannten, der bei Online-Glücksspielen Geld verloren hatte, habe ihn auf den Gedanken zu Zockerhelden gebracht. Im Zuge seiner Recherchen sei er dann auf Hansch gestoßen, der sofort von seiner Idee begeistert gewesen sei. „Wir haben uns Ende 2022 dann im Fußballmuseum in Dortmund getroffen, das ist sein zweites Zuhause“, erzählt er. Innerhalb eines halben Jahres hätten sie dann gemeinsam das Projekt entwickelt. „Der Werner“, sagt Ellerbrock, „will andere warnen, er hatte ja alles verloren, was er besaß“.

Schicksale, die an die Nieren gehen
Die Schicksale von Menschen, die dem Glücksspiel verfallen, können einem an die Nieren gehen, sagt der Markdorfer Anwalt. „Die Lebens- und Leidensgeschichten, die ich täglich höre, sind frappierend.“ Es gebe Menschen, die eine Million Euro und mehr verzockt hätten. „Die Geschichten dahinter sind erschreckend.“ Umso weniger Verständnis hat er dafür, dass die Bundesregierung vor zwei Jahren den Glücksspielstaatsvertrag gelockert hatte. „Da ist Berlin vor der Casino-Lobby eingeknickt“, findet er klare Worte. Denn wer dem Glücksspiel verfällt, gerät schnell in einen Teufelskreis und ist, wie jeder andere Abhängige auch, krank. Darauf weist der Anwalt hin: Wer einmal verloren hat, spielt immer wieder und kommt nicht davon los. Zuerst gehe es darum, dass man die Verluste zurückholen wolle, sagt Ellerbrock. Solange man verliert, will man gewinnen. Wenn man gewonnen hat, will man erneut gewinnen. Zuletzt sei die Spielsucht in vielen Fällen aber auch Selbstbestrafung: Der Süchtige weiß um seine Sucht, er schämt sich dafür und bestraft sich für seine vermeintliche Schwäche selbst.

Doch wie helfen die Zockerhelden? Betroffene, bei den Online-Wetten seien es meist Männer im Alter zwischen 25 und 45 Jahren, können sich direkt an ihn wenden. Ellerbrock oder seine Partneranwälte reichen dann Klage ein und fordern das Geld zurück. Auf Wunsch erfolge dies diskret und bei fehlenden Mitteln mithilfe eines Prozesskostenfinanzierers, der im Erfolgsfall eine Provision erhält. „Bislang haben wir noch kein Verfahren verloren“, sagt Ellerbrock. Jeder, der ihn bitte, seine Spielverluste zurückzuholen, bekomme auch die Gelegenheit, mit Hansch zu sprechen.
Die Scham ist die größte Hürde
Hansch befindet sich an diesem heißen Sommertag in Ellerbrocks Kanzlei im Florianweg inzwischen am anderen Ende der Leitung. Unverkennbar die „Stimme des Ruhrpotts“. „Das Heer der Betroffenen ist ja unendlich groß“, sagt Hansch: „Und für die Allermeisten gibt es eine riesige Hemmschwelle, die Scham.“ Denn Glücksspiel gelte gesellschaftlich ja immer noch als „anrüchig“. Wenn er mit seiner Aufgabe im Team, beizustehen, zu beraten und Hilfsangebote zu vermitteln, erfolgreich sei, mache ihn dies glücklich. „Rede und öffne dich“, sei sein Credo, denn: „Wir wollen ja nicht nur den Menschen ihr Geld zurückgeben, sondern sie auch wieder zurück in ein ganz normales Leben holen.“ Er selbst, bekennt der inzwischen 84-Jährige freimütig, hätte es ohne professionelle Hilfe niemals geschafft, seine Sucht zu besiegen. Sich die Krankheit einzugestehen, sei dabei der erste und wichtigste Schritt. „Ich selbst habe mich ja im Promi-Big-Brother 2022 geoutet“, erzählt Hansch. Er habe sich gefühlt wie ein Stabhochspringer vor dem Sprung, das Outing sei sein Stab gewesen. Ohne den gehe es nicht.
Prävention, sagt Ellerbrock, sei deshalb immens wichtig – um Gefährdete bereits frühzeitig davor zu bewahren, Opfer zu werden. Künftig wollen die Zockerhelden noch mehr Wert darauf legen. Mit wöchentlichen Videogesprächen mit Hansch auf ihrem Online-Auftritt und indem sie inzwischen auch an Vereine herantreten und Aufklärung über die Gefahren des Zockens anbieten. Damit aus Jugendlichen keine Zocker werden – sondern bestenfalls Helden.