Kerstin Oettle

„O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie schön sind deine Blätter ... .“ Viel besungen gehört seit Ende des 19. Jahrhunderts ein anderer Brauch zu dem Tannengewächs: das Christbaumloben. Seit seinerzeit die Tannenbäume zur Weihnacht in den Wohnzimmern Einzug hielten, wird das Christbaumloben vor allem von der ländlichen Bevölkerung gehegt und gepflegt.

Über alle Maßen loben

Der Christbaum bietet aber auch in Markdorf einen idealen Vorwand, an der Tür des Nachbarn, von Bekannten oder bei Freunden zu klingeln. Dabei geht es nicht nur darum, den Baum in all seinen Facetten zu loben, sondern auch darum ins Gespräch zu kommen oder Beziehungen zu pflegen, die über das Jahr zu kurz gekommen waren. Und so geht‘s: Eine kleine Gruppe von Freunden oder die Familie trifft sich zwischen den Feiertagen. Nachdem sie sich durch Klingeln oder Klopfen den Eintritt in die „gute Stube“ verschafft hat, erläutert sie zunächst den Grund des spontanen Besuchs. Danach stellt sich die Gruppe um den Christbaum auf und lobt ihn über alle Maßen.

„Man glaubt es kaum, was für ein scheener Baum“ sind sich Aline Valiani, Ana Roscan, Anita Maier, Renate Bitsch und Ewald ...
„Man glaubt es kaum, was für ein scheener Baum“ sind sich Aline Valiani, Ana Roscan, Anita Maier, Renate Bitsch und Ewald Viellieber (von links) im Loben einig und stoßen auf das Prachtexemplar an. | Bild: Picasa

Das völlig übertriebene Hervorheben von Details wie Größe, Dichte, Stamm oder Baumschmuck ist dabei besonders wichtig. Es sollte in den schillerndsten Farben ausgeführt werden. Dabei ist es nicht wichtig, ob der Christbaum wirklich als schön empfunden wird. Beispielsweise passt sich ein krummer Baum wunderbar der geschwungenen Rückenlehne des Sofas an oder die Kugeln erinnern an den letzten Kandisapfel vom Christkindlesmarkt. Und dadurch, dass die Äste nicht so üppig sind, kommt das Wandbild im Hintergrund viel besser zur Geltung. Andere Lobende geben ein Gedicht oder Lied zum Besten, um dem Baum die gebührende Anerkennung zu verleihen.

Eine Runde Schnaps

Was allerdings jeder Besucher mitbringt, ist die Erwartung belohnt zu werden. Der Besitzer des schönen Christbaumes sollte nach vollbrachtem Lob eine Runde Schnaps ausschenken. Eingeleitet werden könnte diese Erwartung mit: „Dein Baum ist uns eigentlich egal, wir wollen nur den Schnaps aus deinem Regal“. Traditionell handelt es sich dabei um einen Obstler oder einen anderen Klaren, doch auch verschiedene Liköre und Brandweine kommen zum Einsatz. Dazu wird meist weihnachtliches Gebäck wie Plätzchen oder Christstollen gegessen.

Gemeinsam um die Häuser ziehen

Wie lange die lobende Gruppe verweilt, hängt vom Gastgeber, der Atmosphäre oder auch dem Schnaps ab. Immer wieder soll es vorkommen, dass sich ein Besuchter der Gruppe anschließt und mit zur nächsten Tür zieht.