Herr Sieber, Sie sind Steuerberater und Fachberater für internationales Steuerrecht. Daneben engagieren Sie sich für viele Markdorfer Vereine im Vorstand. Von sich selbst behaupten Sie, bislang ein Leben auf der Überholspur gelebt zu haben. Im August 2016 erlitten Sie einen schweren Herzinfarkt. Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
2015 bin ich noch Halbmarathon gelaufen. Dann kam der Rückschlag und ich habe mit dem Training aufgehört, im Prinzip habe ich ganz mit dem Sport aufgehört. Am 22. August 2016 frühmorgens kam ich die Treppe herunter und habe keine Luft mehr bekommen. Um halb eins mittags bin ich in Friedrichshafen bereits auf dem OP-Tisch gelegen. Mein Herz konnte zwar wieder synchronisiert werden, aber es war fünf vor Zwölf. Man könnte sogar sagen, schon fast fünf nach Zwölf.
Wie nahm dann die Genesung und die Veränderung in Ihnen und an Ihnen ihren Fortgang?
Ich war noch einige Zeit in Ulm in der Klinik und hatte schließlich bis 2017 von 76 Kilo auf knapp 98 Kilo zugenommen. Hauptsächlich aufgrund der vielen Medikamente, die ich nehmen musste, aber auch dadurch, dass ich keinen Sport mehr gemacht habe. Klar, war ich durch meine immense Vereinsarbeit auch abends viel unterwegs, das unregelmäßige und nicht immer gesunde Essen hat mir zugesetzt, und irgendwann ging gar nichts mehr. Einige Zeit später begab ich mich nach Friedrichshafen ins Adipositas-Zentrum am Krankenhaus und habe begonnen, unter ärztlicher Aufsicht abzuspecken. Und im Sommer 2018 hatte ich dann 22 Kilo runter. Die halte ich im Augenblick auch gut.
Wie ist Ihnen diese gewaltige Gewichtsreduktion gelungen?
Die ersten vier bis fünf Wochen gab's – natürlich unter ärztlicher Aufsicht – nur angerührte Drinks aus Pulver. Insgesamt fünf am Tag, drei Drinks, zwei Suppen. Und da ging das Gewicht sehr rasch runter. Aber in erster Linie und auf lange Sicht geht es darum, das Leben und die Ernährung umzustellen. Ein guter Freund aus einem hiesigen Verein hatte sich dieses Konzept zu Herzen genommen und unter ärztlicher Anleitung sein Gewicht von 180 Kilo auf 115 Kilo reduziert.
Alle Achtung! Muss man sich dazu grundsätzlich in die Klinik begeben?
Nein, aber man muss einmal pro Woche an den Treffen teilnehmen. Zum Sport und zur Ernährungsberatung, aber auch psychologische Betreuung ist dabei wichtig. Alles andere lässt sich von zuhause machen.
Wenn so etwas auf freiwilliger Basis geschieht, werden die Kosten dabei komplett von der Krankenkasse übernommen?
Ja. Man muss dazu allerdings ein bestimmtes Soll erfüllen, das heißt, mein Freund musste bei seinem Gewicht von 180 Kilo mindestens 30 Kilo abnehmen. Sollte er es also nicht schaffen, muss das Programm aus eigener Tasche bezahlt werden.
Das ist natürlich ein gewaltiger Ansporn. Was war denn Ihr Ansporn, um nach der Herzattacke wieder ins buchstäblich unbeschwerte Leben zurück zu finden?
Ich hab' für mich entschieden, ich möchte durch meine lebensbedrohliche Situation anderen Menschen die Augen öffnen und ihnen helfen. Darüber habe ich ein Buch geschrieben. Auch viele Kochrezepte sind in dem Buch zu finden. Meine Überlegung schon im Krankenhaus war tatsächlich, wie kann ich das Geschehene verarbeiten und wie kann ich anderen einen Weg aufzeigen oder sie erst gar nicht in so eine lebensbedrohliche Situation kommen lassen? Aber ich wollte auf keinen Fall "nur" ein Buch schreiben, weil das grad in Mode ist. Ich wollte mich darin auch nicht selbst verwirklichen.
Ohne einen Verlag haben Sie also Ihr Schicksal zu Papier gebracht, teilweise in sehr heiteren Episoden. Käuflich zu erwerben ist dieses Buch nicht. Sie verschenken es und hoffen auf Spenden an die Stiftung "KinderHerz". Was bezwecken Sie damit?
Ich selbst hatte das Glück, dass ich die Attacke überlebt hatte und auch das Glück, dass der Blitz zwar eingeschlagen war, aber noch nicht durchgeschlagen hatte. Nun will ich dazu beitragen, dass durch diese Stiftung die Erforschung von Herzkrankheiten bei Kindern mitfinanziert werden kann. Und wenn man weiß, dass in Deutschland täglich drei Kinder mit schweren Herzfehlern zur Welt kommen, dann ist das für mich Grund genug; aus meiner Situation heraus wird das für mich stimmig. Denn hier gehört das Geld meines Erachtens hin.
Kann man sagen, Sie hätten aus der Herzattacke eine Lehre fürs Leben, ihr zweites Leben sozusagen, gezogen?
Absolut. Ich hatte bis dahin zum Beispiel niemals selbst gekocht. Aber ich habe immer gerne gegessen, war aber nie für die Zubereitung zuständig. Auch das musste ich lernen, Gerichte selbst zubereiten und mich nicht nur bekochen zu lassen.
Das war gewiss eine Freude für Ihre Frau, oder nicht?
Na ja, am Anfang nicht so sehr. Mein erster Arbeitstitel des Buches lautete "Mein Kampf um die Küche" (lacht). Es war tatsächlich für meine Frau eine gewaltige Umstellung. Ich koche anders als sie, und ich brauche natürlich auch viel mehr Werkzeug. Und die Küche sieht danach entsprechend anders aus als vorher. Aber nach knapp einem dreiviertel Jahr hat sich das gut eingespielt. Sogar so gut, dass wir auch mal gemeinsam was hinkriegen, ohne dass die Messer quer durchs Haus fliegen (lacht). Einmal die Woche koche ich nun für uns und oft auch für Freunde.
Was tun Sie noch, außer gesund und wohlüberlegt zu kochen?
Zum Beispiel laufe ich 50 Kilometer in der Woche. Nicht joggend, ich laufe eben, wie man hier sagt. Dazu habe ich einen Tracker am Handgelenk und nutze auch eine Handy-App dazu; und wenn ich feststelle, dass ich mich über den Tag zu wenig bewegt habe, dann laufe ich halt noch sechs, sieben Kilometer am Abend. Auch wenn's draußen mal zehn Grad Minus hat.
Was hat sich bei Ihnen im Kopf durch die Herzattacke verändert? Stellt man dadurch sein ganzes Leben und nicht zuletzt sich selbst neu auf?
Was ich für mich mitgenommen habe aus der Geschichte, ist das ganz klare Bewusstsein, dass ich mir meine Freiräume schaffen muss. Das ist tatsächlich das Kochen einmal pro Woche. Da bin ich, wenn ich für Freunde koche, schon mal einen ganzen Tag damit beschäftigt mit Einkaufen und Zubereiten. Und an diesem Tag bin ich auch nicht im Büro, was früher undenkbar war. Mittlerweile schaufle ich mir auch den Sonntagnachmittag komplett frei. Das habe ich früher alles nicht gemacht. Auch abends mal zu sagen, ich geh' um 18 Uhr aus dem Büro, oder im Sommer mal zum Radfahren oder zum Tennisspielen. Auch was meine Vereinsarbeit betrifft, habe ich gelernt, einfach mal "nein" zu sagen. Überhaupt frage ich mich, ob man denn alles mitmachen muss, was die Welt einem bietet. Ist nicht weniger manchmal mehr?
Zur Person
Edgar Sieber ist 62 Jahre alt und gebürtiger Markdorfer. Nach dem Abitur entschloss er sich zu einer Ausbildung zum Steuerfachgehilfen, es folgte das Studium der Betriebswirtschaft mit anschließender Steuerberaterprüfung. Als einer der ersten in Deutschland absolvierte Edgar Sieber vor elf Jahren die Prüfung zum Fachberater im internationalen Steuerrecht. Seine Kanzlei, in der seine Frau Hedi und seine Tochter Heike mitarbeiten, befindet sich in Markdorf in der Mozartstraße. Seit November ist Edgar Sieber stolzer Opa seines ersten Enkels. In seiner Freizeit betätigt sich Sieber mit Joggen, Tennis, Radfahren, Wandern. Und natürlich kochen. Sollte jemand Interesse haben an seinem Buch, darf er sich gerne an ihn wenden. (hst)