Ilker Kurt steht hinter dem Verkaufstresen und werkelt an der Kasse, als ein Kunde den kleinen Kiosk betritt. „Grüß‘ dich, Ilker“, sagt der Mann. „Das Übliche?“, fragt Kurt und reicht ihm einen Lottoschein. „Du kennst mich“, antwortet der Kunde lachend und greift nach dem Schein.

Fast könnte man meinen, dass Kurt den Kiosk Kitzenwiese in der Länderöschstraße schon sein Leben lang betreibt – denn mit fast allen Kunden, die an diesem Nachmittag den Laden betreten, ist er per du. Aber Kurt hat den Kiosk erst vor zwei Monaten übernommen. „Ich war als Kind auch oft in diesem Kiosk. Und als ich dann mitbekommen habe, dass der alte Betreiber aufhört, habe ich mir gedacht: Das könnte doch etwas für mich sein“ erzählt er. Auf Ebay Kleinanzeigen hatte er die Ladenfläche im Dezember entdeckt und dann sofort zugeschlagen. „Eigentlich habe ich mir damit einen Traum erfüllt.“

Er hat schon Stammkunden

Der Stammkunde hat derweil seinen Lottoschein ausgefüllt und bleibt noch kurz auf einen Schwatz. „Ich kenne den Kiosk und den Ilker schon mein Leben lang. Toll, dass er den Laden jetzt übernommen hat.“ Er packt seinen Geldbeutel in die Hosentasche. „Ich wünsch‘ dir noch einen guten Umsatz heute – wir sehen uns morgen“, verabschiedet er sich.

Ilker Kurt ist neuer Betreiber des ersten Spätis in Friedrichshafen.
Ilker Kurt ist neuer Betreiber des ersten Spätis in Friedrichshafen. | Bild: Kley, Denise

Kurt ist in der Kitzenwiese aufgewachsen und kennt hier jede Ecke und die Bewohner. „Es wäre schade für die Menschen hier gewesen, wenn der Kiosk nicht weiter betrieben worden wäre“, sagt er. „Und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, das Viertel zu beleben.“

Auch Thomas Goldschmidt, Geschäftsführer vom Stadtmarketing Friedrichshafen sagt: „Grundsätzlich ist es immer eine gute Sache, wenn auch in Wohngebieten durch solche Angebote die Nahversorgung der Bewohner sichergestellt wird.“

Doch damit ist der 24-Jährige einen mutigen Schritt gegangen: Er hat einen Quereinsteig in den Einzelhandel gewagt. Eigentlich ist er gelernter IT-ler und hat bis vor wenigen Monaten in der Schweiz gearbeitet. „Aber dort hat es mir nicht so gefallen, die sprechen dort etwas komisch“, erzählt er schmunzelnd. „Und mich hat es wieder hierhergezogen: in mein Viertel, zu meinen Freunden, zu meiner Familie.“

Nun wohnt er knapp 200 Meter entfernt von seinem Kiosk. So hat er keinen langen Arbeitsweg und das ist sehr praktisch, denn die Öffnungszeiten haben es in sich: Von Montag bis Donnerstag hat er bis Mitternacht offen, am Freitag und Samstag sogar bis 2 Uhr in der Früh. Denn Kurt hat keinen normalen Kiosk eröffnet – sondern eben einen Späti.

Eigentlich eher in Großstädten zu finden

Doch was ist ein Späti genau? Sogenannte Früh- und Spätverkaufsstellen entstanden in den 1950er-Jahren in der DDR und dienten der Versorgung von Schichtarbeitern mit grundlegenden Lebens- und Genussmitteln. Diese kleinen Läden sind heute vor allem in Großstädten wie Berlin und Hamburg zu finden – und sind dort besonders bei Feierwütigen, die sich vor oder nach der Party noch mit Getränken oder Snacks eindecken wollen, beliebt.

Doch wie kam Kurt auf die Idee, einen Späti in diesem dezentral gelegenen Stadtteil zu eröffnen, wo tendenziell eher wenig Nachtschwärmer unterwegs sind? „Immer wenn ich abends oder nachts noch mit Freunden unterwegs war, dachte ich mir: In Friedrichshafen bräuchte es doch einen Späti. Denn hier konnte man bisher nirgendwo nachts noch etwas besorgen“, erklärt Kurt.

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Lange Arbeitstage

Rund 14 Stunden steht der junge Unternehmer nun täglich hinter dem Tresen, nur sonntags ist geschlossen. Doch er kann auf die Unterstützung seiner Familie und Freunde zählen, die immer wieder einspringen, wenn Kurt mal eine Ruhepause braucht.

Und wie läuft das Geschäft bisher? „Erstaunlich gut, ich bin selbst überrascht. Morgens kommen eher die Älteren, die sich Zeitschriften holen oder Lotto spielen, den restlichen Tag über kommen viele Berufsschüler und Jugendliche. Die fahren besonders auf die Süßigkeiten und Snacks ab.“ Er zeigt auf das Lebensmittelregal. Extra scharfe Ramen-Nudeln aus Korea sind dort zu finden. Alleine der Blick auf das schwarz-rote Etikett lässt einem schon die Zunge brennen. „Besonders die exotischen Sachen aus dem Ausland laufen gut“, plaudert er aus dem Nähkästchen. Er variiert oft mit den internationalen Produkten und versucht, die Angebotspalette so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. „Das hält die Jungen bei Laune“, spekuliert er.

Besonders die Snacks aus Asien sind bei Jugendlichen beliebt.
Besonders die Snacks aus Asien sind bei Jugendlichen beliebt. | Bild: Kley, Denise

Sein Cousin betritt den Kiosk. Die beiden begrüßen sich mit Handschlag. „Wenn Ilker Hilfe braucht, bin ich am Start“, sagt er. Doch manchmal kommt er auch einfach nur vorbei, um zu quatschen. Der Kiosk ist also nicht nur ein Kiosk – sondern auch ein Treffpunkt für die Bewohner des Viertels.