Den Ton schalten sie oft aus. Das kann etwas Abstand schaffen, erklären Helena Jung und Jens Scharnhorst. Software macht es möglich, mehrere Sequenzen eines Videos gleichzeitig abzuspielen. Das gestaltet die Auswertung längerer Clips effizienter – und auch das soll das Auswerten weniger belastend gestalten. Furchtbar bleiben die Fotos und Videos, nach denen Jung und Scharnhorst Ausschau halten müssen, dennoch. Die beiden sind Teil der Ermittlungsgruppe (EG) "Imperia". Was sie auswerten, spielt eine Schlüsselrolle in Verdachtsfällen von Kinder- und Jugendpornografie.
Seit 2014, dem Jahr der Polizeireform, ist die Bearbeitung von Kinderpornografie-Fällen bei der Kriminalpolizeidirektion neu geregelt, erklärt Direktionsleiter Thomas Föhr. Der Berg an noch nicht gesichteten Dateien war damals hoch. Aus dem Zuständigkeitsbereich (Bodenseekreis, Kreis Konstanz, Kreis Sigmaringen und Kreis Ravensburg) war noch Material aus mehreren Jahren auszuwerten. "Wir haben zunehmend Probleme damit bekommen, das abzuarbeiten", sagt Föhr. Das hatte personelle und technische Gründe. Letztere verdeutlicht Föhr am Beispiel eines beschlagnahmten Smartphones: "Früher waren da 500 Bilder drauf, die ausgewertet werden mussten. Heute geht das schnell in die Tausende." Das Thema Kinderpornografie ist fest im Alltag der Kriminalinspektion 1 integriert. Dort, wo auch Tötungs-, Sexual- und weitere Opferdelikte bearbeitet werden. Eng zusammengearbeitet wird mit der Abteilung „Cyberkriminalität“. Mit technischen Entwicklungen Schritt zu halten, ist sehr kostenintensiv, sagt Föhr. „Allerdings verfügen wir über enormes Fachwissen.“
Die EG "Imperia" wurde zum 1. April 2015 geschaffen. Vier Ermittler widmen sich hier fast ausschließlich der Auswertung von Bildern und Videos, die Verbreitung, Erwerb, Besitz oder Herstellung von Kinderpornografie beweisen könnten. Diese Fokussierung sei einmalig in Baden-Württemberg. Ermittelt und ausgewertet wird natürlich auch außerhalb der Region. Etwas wie die EG "Imperia" gibt es Helena Jung und Jens Scharnhorst zufolge – zumindest bislang – aber nur hier. Größere Rückstände seien mittlerweile abgebaut, sagt Föhr. Den Ermittlern zufolge gilt es nur noch wenige Monate aufzuarbeiten. An heile Welt ist aber weiterhin nicht zu denken. So erschreckend das klingen mag: „Ich könnte in dieser Ermittlungsgruppe auch sechs Kollegen beschäftigen“, betont Föhr.
Mal sind es Bilder, die zumindest bis 2015 nicht als Kinderpornografie galten, mal spielen aber auch fünf kleine Mädchen eine abscheuliche Rolle in einem Video aus einem Südostasien-Urlaub. Die Bandbreite dessen, was die "Imperia"-Ermittler ertragen müssen, ist groß. Für ihre Tätigkeit haben sie sich freiwillig gemeldet. Anders, da sind sich Jung und Scharnhorst einig, ginge es nicht. Nicht jede Aufnahme, die auf den Bildschirmen der EG "Imperia“ landet, ist strafrechtlich relevant. Mit den Speicherkapazitäten sind aber auch die Berge dessen, was auf sichergestellten Datenträgern schlummert oder über sie an virtuellen Speicherorten zu finden ist, gewachsen. Noch heute gibt es Fälle, in denen sich die Auswertung auf den Inhalt eines Rechners beschränkt. Es gibt aber auch jene, in denen Millionen von Fotos und zigtausende von Clips auf Festplatten liegen. Mancher Beschuldigter sei als regelrecht sammelwütig zu beschreiben. Mal sind die Dateien fein säuberlich in Ordnern unterteilt, mal in einem riesigen Wust.
"Ich bin zu dem Zeitpunkt, zu dem ich den Datensatz vor mir habe, nicht in der Wohnung des Beschuldigten gewesen", erklärt Scharnhorst. "Ich habe die Familienfotos an der Wand nicht gesehen, weiß nichts über seine Lebensumstände." Hintergründe, die die Beurteilung von Bildern und Videos einfacher machen würden. Denn: So belastend der Besitz schon sein kann: noch belastender wird ein Video, wenn es im heimischen Wohnzimmer produziert wurde. Bislang helfen Telefonate und der Einblick in die jeweiligen Akten den „Imperia“-Ermittlern dabei, sich den notwendigen Überblick zu verschaffen. Ihr langfristiger Wunsch: Die vollständige Fallbearbeitung. Die personelle Herausforderung wird dadurch noch größer werden. "Zuletzt hatten wir häufiger den Fall, dass wir anderweitig in Sonderkommissionen oder Ermittlungsgruppen mussten", berichtet Helena Jung. Auch Engpässe an anderer Stelle könnten die "Imperia"-Ermittler wieder zurückwerfen. Wenn etwa beim Bundeskriminalamt, von wo aus viele Kinderpornografie-Fälle an die zuständigen Stellen verteilt werden, die Terrorismusbekämpfung viele Ermittler bindet. Was da jetzt noch auf Halde liegt? "Wir wissen es nicht."
"Wenn es irgendwann mal so weit wäre, dass mich die Bilder auch in meiner Freizeit permanent verfolgen, dann müsste ich die Bremse ziehen", sagt Jung. Die Möglichkeit, den Ermittlungsbereich zu wechseln, sei allen Ermittlern der EG "Imperia" zugesichert, ergänzt Scharnhorst. Eine Psychotherapeutin stehe jederzeit zur Verfügung. Bei jährlich stattfindenden Seminaren fernab der Dienststelle zeige sie den Auswertern und Sachbearbeitern, die häufig mit Kinderpornografie-Fällen befasst sind, Wege auf, mit dem Gesehenen umzugehen. "Wir sprechen außerdem sehr viel miteinander", schildert Jung. Das helfe eigentlich am besten dabei, nicht "den ganz großen Block" mit in den Feierabend zu nehmen.
Beschuldigte seien allen Altersklassen und Gesellschaftsschichten zuzuordnen. Was den Konsum anbelangt, seien es fast durchweg Männer. "Bei dem, was vor der Kamera passiert, beim aktiven sexuellen Missbrauch von Kindern, sind Täterinnen aber nicht selten", sagt Jung. Anklage erhebt später unter anderem die Staatsanwaltschaft Ravensburg. "Diese Arbeit ist wirklich heftig", sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Angster über die EG "Imperia". Seit deren Gründung habe sich auch bei der Staatsanwaltschaft ein Berg "drastisch reduziert". Lediglich fünf Verfahren seien aktuell noch älter als ein Jahr.
Den Ton müssen die "Imperia"-Ermittler vor Weitergabe ihrer Ergebnisse letztlich doch einschalten. Welche Sprache wird gesprochen? Ist ein Dialekt auszumachen? Details, die auf die Fährte eines neuen Falles lenken können. Details, die erahnen lassen: Aktenberge mögen kleiner werden, ausgehen wird diese Arbeit aber nicht.
Software erleichtert die Arbeit, nimmt furchtbare Anblicke aber nicht ab
- Wie landen die Fälle bei der EG "Imperia"? Mal ergibt sich der Verdacht im Zusammenhang mit Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums, mal sind es anlassunabhängige Recherchen des Bundeskriminalamtes (BKA), mal führen Spuren und Hinweise aus anderen Fällen in die Region. Eine Quelle vieler Fälle, die aktuell bearbeitet werden: das "National Center For Missing And Exploited Children", eine Non-Profit-Organisation in den USA, mit der auch das FBI eng zusammenarbeitet, wie Jens Scharnhorst erklärt. Auf verschiedensten Wegen – von außerhalb häufig über das BKA – landen die Fälle über die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft bei der zuständigen Dienststelle – in aller Regel bereits mit Durchsuchungsbefehl. Videos, Fotos und Protokolle, die auf sichergestellten Datenträgern liegen, stellen Spezialisten den Ermittlern der EG „Imperia“ über eine spezielle Software zur Verfügung.
- Was machen die Ermittler? Sie kategorisieren sämtliche Bilder und Videoclips (Kinder-, Jugend- und Tierpornografie, „Nicht relevant“ oder „Präferenz“). Eine Software, die die Dateien unter anderem mit einer Datenbank abgleicht, unterstützt die Ermittler bei der Kategorisierung, dennoch müssen alle Dateien in Augenschein genommen werden. "Ich kann nicht vor Gericht gehen und sagen: 'Der Computer hat Kinderpornografie gefunden", erklärt Scharnhorst. Mit Hilfe eines weiteren Programms wird unter anderem das Surfverhalten eines Beschuldigten ausgewertet. Ist der Beschuldigte beispielweise bei Tauschbörsen angemeldet?
- Was hat es mit der Kategorie "Präferenz" auf sich? Ein Bild von einem aufreizend posierenden Kind, das dabei allerdings keine sexuellen Handlungen vornimmt, galt vor 2015 nicht als Kinderpornografie. Solche Bilder landeten damals in der Kategorie „Präferenz“. Diese nutzen die Ermittler heute für Fotos und Videos, die für sich genommen strafrechtlich zwar womöglich nicht relevant sind, jedoch bei der Einschätzung eines Beschuldigten hilfreich sein können. Bilder, die beispielsweise auf ein ausgeprägtes Interesse an Waffen oder Gewalt hindeuten.
- Wie werden Schuldige bestraft? Erwerb, Besitz und Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie sind verboten. Das Strafgesetzbuch sieht im Fall von Kinderpornografie Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor, im Fall von Jugendpornografie ist der Rahmen niedriger. Handelt ein Täter gewerbsmäßig oder als Bandenmitglied sind in Kinderpornografie-Fällen bis zu zehn Jahre Haft möglich. (böm)