Majestätische Fanfarenklänge künden von einem großen Ereignis. So klein das zehnköpfige Schüler-Lehrer-Orchester ist, so markant ist der Auftakt. Anlässlich des 1700. Geburtstages von St. Martin feiert die Bodenseeschule ihren Namenspatron mit dem aufwändigen Musical „Auf Augenhöhe“ unter der Gesamtleitung von Wolfgang Götz. Einen Bogen von der Geburt bis zu Martins Weihe zum Bischof von Tours zu spannen, ist den rund 150 Mitwirkenden aus sieben Klassenstufen in lebendigen, eindrücklichen Bildern gelungen.
Die praktische Kulisse aus Würfeln und Säulen passt sich schnell den jeweiligen Szenen an. Wie am zweiten Aufführungstag, am vergangenen Samstagnachmittag, hat das Spektakel schon an der Premiere tags zuvor im vollen kleinen Theater Jubel ausgelöst. Andreas Glatz, einer der sechs Komponisten dieses Stücks, leitet Chor und Orchester und zieht sie alle fordernd mit. Der Chor ist stets präsent und singt mal geboten zurückhaltend, mal mitreißend aus vollen Kehlen. Schade, dass es manchmal an der Textverständlichkeit mangelt. Klar ist jedoch: der Chor bekräftigt das Geschehen. Mal einfühlsam, mal kraftvoll oder mit trommelnden Marschrhythmen schafft die Musik Atmosphäre, von der Gregorianik bis zum Rap, nicht zuletzt mit berührenden, stimmlich reinen Soli. Die fantasievollen Kostüme holen die damalige Zeit auf die Bühne. Deutlich wird in der Geschichte, dass es bei St. Martin um weit mehr geht als um „Laterne, Laterne“, Mantelteilung und Martinsgans.
Am Anfang steht ein schöner Brauch zum Martinstag. Durch den Mittelgang ziehen Kinder mit Laternen ein, erklären den Sinn ihrer Namen und leiten so über zur Bedeutung von Martin: Sohn des Kriegsgottes Mars. Laut seinem Vater soll Martin seinem Namen alle Ehre machen und Soldat werden. Anfangs beugt dieser sich seinem Wunsch. Vom goldenen Helm mit Federbusch bis zur Fußbekleidung stecken er und seine Mitstreiter in perfekt nachgeahmter Rüstung mit leuchtend roten Umhängen. Mit vollem Einsatz schlüpfen die Darsteller in ihre Soldatenrollen. Stramm marschieren sie durch den Mittelgang in den Krieg und feiern nach ihrer Rückkehr lärmend auftrumpfend ihren Sieg. Immer öfter hinterfragt Martin die Sinnlosigkeit der Kriegsführung: „Warum töten, die anderen haben uns nichts getan.“ Und so zeigt er bereits als Soldat mit der Mantelteilung Mitgefühl.
Starke Szenen prägen sich ein, wie diese: Martin gesteht seinem Vater, Christ werden zu wollen, was dieser (Niklas Hageleit, mit ganzer Unerbittlichkeit) ablehnt und dem Martin (Luca Karstens, mit allem Nachdruck) gegenübersteht. Und schließlich den Vater überzeugt: „Gott und den Nächsten zu lieben, sind jetzt meine Befehle“. Oder diese: Ein Bischof rät Martin, auf der Suche nach Christus in die Stille zu gehen und dabei auf den Grund einer Schale mit Wasser zu sehen. Hier werden auch die Besucher ganz still. Großes Lob gebührt jedoch allen Akteuren, die ihre Rollen durchweg mit Überzeugungskraft für gelebte Nächstenliebe ausfüllen: „Damit begegnet uns Gott auf Augenhöhe“ – das strahlend gesungene Leitmotiv: „Auf Augenhöhe mit Gott.“
Buntes Treiben mit farbenfroh kostümierten Gauklern geht der Szene voraus, als die Menschen nach dem Tod des Bischofs von Tours Martin als Nachfolger haben wollen. Auch als Kirchenfürst – mit feierlicher Zeremonie – lebt dieser lieber in Bescheidenheit als in Prunk, ähnlich wie Papst Franziskus heute. Die Kinder der Bodenseeschule machen es vor: „Aus anderer Perspektive, mit dem Herzen sehen“.
Und in die Gegenwart geschwenkt, zeigt die Aufführung ein Beispiel über Mobbing: „Da braucht es Mut, für den anderen einzustehen.“ Dass das anstrengend und eine große Herausforderung sein kann, sollte niemand zurückschrecken lassen, so der Tenor. „Mit Mut den ersten Schritt zu gehen, glauben wie St. Martin“ schmettern 150 Kehlen mit ansteckender Freude im Brustton der Überzeugung. Eine so eindringliche Botschaft, darstellerisch wie musikalisch kraftvoll, lässt wohl niemanden unberührt.