„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ So steht es im Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP im Dezember 2021 unterschrieben haben. Mehr als zweieinhalb Jahre später haben sich die Regierungsparteien jetzt auf einen Gesetzesentwurf geeinigt. Noch im Februar wird der Bundestag darüber abstimmen, ab 1. April soll das Gesetz dann in Kraft treten.

Aus Sicht des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) sprechen einige wissenschaftliche Argumente für die Legalisierung von Cannabis. Unter anderem argumentierte Lauterbach 2023, dass durch das Gesetz weniger Kontrollaufwand bei den Behörden entstünde. Denn Schwarzmarkt und Drogenhändler sollen durch das Gesetz zurückgedrängt werden und den Konsumenten weniger Strafverfahren drohen.

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Keine Entlastung in Tettnang

Der Deutsche Richterbund widersprach Lauterbach im Oktober: Das kleinteilige Gesetz sorge dafür, dass Gerichte zusätzlich belastet würden. Auch Christian Pfuhl kann sich nicht vorstellen, dass Gerichte durch die Legalisierung von Cannabis signifikant weniger Arbeit hätten. Er ist Strafrichter am Amtsgericht in Tettnang und dort zuständig für Familienrecht. „Eine Entlastung sehe ich aktuell nicht“, sagt Pfuhl.

124 Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden im vergangenen Jahr am Amtsgericht Tettnang verhandelt. Gegenstand dieser Verfahren war allerdings nicht ausschließlich Cannabis, sondern auch andere verbotene Drogen wie LSD, Kokain oder Amphetamine.

Christian Pfuhl blättert im Strafgesetzbuch.
Christian Pfuhl blättert im Strafgesetzbuch. | Bild: Nathalie Metzel

Gerade einmal drei dieser Verfahren würden wegfallen, lege man die neuen Gesetzesbedingungen als Maßstab an. „Das wirkt sich nicht auf unsere Arbeit aus“, sagt Richter Christian Pfuhl. Außerdem glaubt er nicht, dass der Drogenhandel zurückgedrängt werden kann. „Auch künftig wird ein Preis festgesetzt werden müssen. Den wird sich nicht jeder leisten können“, so Pfuhl. Das könne dafür sorgen, dass Cannabis weiterhin günstiger auf dem Schwarzmarkt gehandelt werde.

Mehr Arbeit durch Straferlass

Welche Mehrbelastungen auf die Gerichte zukommen, kann Pfuhl derzeit noch nicht abschätzen. Problematisch seien die Urteile, in denen zwar Strafen rechtskräftig verhängt, aber noch nicht vollstreckt wurden. Denn diese Strafen müssen ab 1. April erlassen werden.

Das bedeutet im Klartext: Wer bereits zu einer Haftstrafe wegen des Besitzes von Cannabis verurteilt wurde, diese aber bis zum 1. April noch nicht abgesessen hat, kommt wieder auf freien Fuß. So steht es im Strafgesetzbuch. „Mit diesen Urteilen müssen wir uns dann wieder beschäftigen“, sagt Richter Christian Pfuhl. „Das ist eine enorme Belastung.“

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Auch Polizei erwartet keine Arbeitsentlastung

Dass der Konsum von Cannabis entkriminalisiert werden soll, hält Pfuhl grundsätzlich für eine gute Entscheidung. „Ich hatte schon Fälle, in denen Menschen mehrere Vorstrafen nur aufgrund des Besitzes von Cannabis vorzuweisen hatten“, so Pfuhl. Mit Blick auf die Zukunft junger Menschen seien die Überlegungen sinnvoll.

Archivbild: Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke.
Archivbild: Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke. | Bild: Wolfgang Kumm/dpa

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Baden-Württemberg verweist auf SÜDKURIER-Nachfrage auf die Stellungnahme des Bundesvorstands aus dem vergangenen Jahr. Eine Arbeitsentlastung erwarten die Gewerkschafter ebenfalls nicht. Stattdessen werde der Gesetzesentwurf „im Polizeidienst große Probleme bereiten“, wird der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke zitiert.