Die acht neuen Obstbäume im St.-Anna-Quartier sind noch dünn und so kahl, wie sie es Ende Dezember eben sind. „Aber im Herbst hatten sie schon ein paar Äpfel“, erzählt Thorsten Gaißer. Er wohnt genau gegenüber des neuen Tettnanger Wohnquartiers mit seinen Pflegeeltern in einem denkmalgeschützten Fachwerkhaus. Ging der Blick der Familie früher über eine Wiese mit Hochstämmen, bleibt er heute an den Neubauten hängen.

Thorsten Gaißer ist 24 Jahre alt und wohnt mit seiner Pflegefamilie in Tettnang.
Thorsten Gaißer ist 24 Jahre alt und wohnt mit seiner Pflegefamilie in Tettnang. | Bild: Claudia Wörner

„Ich finde den Erhalt der Obstbäume wichtig. Man sollte auf sie Rücksicht nehmen und nicht alles zubauen.“ Der junge Mann ging zu Bürgermeister Bruno Walter, sprach mit Gemeinderäten und schrieb Briefe an den Ravensburger Bau- und Sparverein. Das Resultat seines Einsatzes: Es wurden nicht nur Obstbäume gepflanzt, auch das Porträt des „Obstbauern“, wie sich Gaißer selbst gern bezeichnet, kam auf den Bauzaun.

„Mir ist es wichtig, berühmt zu sein“

Mit seinem Engagement schaffte es Thorsten Gaißer sogar ins Fernsehen und ins Radio. „Durch die Obstbäume habe ich gemerkt, dass ich auch etwas bewegen kann und das will ich gern nach außen zeigen“, erklärt er und holt einen Architektenplan hervor, auf dem die Bäume im St. Anna-Quartier eingezeichnet sind.

Am 3. Oktober, dem Tag für Menschen mit Behinderung, war Thorsten Gaißer zu Gast bei Radio Horeb.
Am 3. Oktober, dem Tag für Menschen mit Behinderung, war Thorsten Gaißer zu Gast bei Radio Horeb. | Bild: Radio Horeb

Obwohl sie schon längst gepflanzt sind, hat er den Plan in seinem Zimmer schnell zur Hand. Es sei ihm wichtig, berühmt zu sein, und er sei davon überzeugt, ein wichtiger Mensch zu sein. „Ich kann etwas, obwohl ich eine Behinderung habe“, sagt Gaißer.

Persönliches Treffen mit Angela Merkel

Stolz ist Thorsten Gaißer auch auf die zahlreichen Autogrammkarten, die er seit Jahren sammelt. Wahlplakate hängen an den Wänden seines Zimmers. Einige Politiker hat er auch schon persönlich getroffen. So liegt ihm ein Foto, das ihn zusammen mit Angela Merkel bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ulm zeigt, besonders am Herzen. Die Karten von Radiomoderatoren sind ihm ebenfalls wichtig, dicht gefolgt von der von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Thorsten Gaißer ist stolz auf seine zahlreichen Autogrammkarten von Politikern und anderen Größen.
Thorsten Gaißer ist stolz auf seine zahlreichen Autogrammkarten von Politikern und anderen Größen. | Bild: Claudia Wörner

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb sogar eine persönliche Widmung für Gaißer unter sein Foto. Auch vom ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer gibt es ein Autogramm in seiner Sammlung. „Ich habe ihm geschrieben, dass wir mehr Fahrradwege brauchen“, berichtet der junge Mann. Nein, konkret geantwortet habe der Ex-Minister auf seinen Brief nicht.

Arbeit in der Werkstatt der Diakonie Pfingstweid

Thorsten Gaißer lebt gern bei seinen Pflegeeltern. Der 24-Jährige wollte zwar mal in eine Wohngemeinschaft ziehen. „Aber da hat es mit den Leuten nicht gepasst und er kam zurück nach Hause“, erzählt Pflegemutter Karin Gaißer. Täglich fährt der 24-Jährige mit dem Fahrrad zur Arbeit in der Werkstatt der Diakonie Pfingstweid. „Wir verpacken zum Beispiel Getriebeteile und reinigen Behälter“, schildert er. Die Arbeit mache ihm Spaß und er wolle aktuell nichts daran verändern.

In seiner Freizeit setzt er sich gern mal ans Klavier und spielt die Musik, die ihm gerade gefällt. „Thorsten kann keine Noten lesen und bringt sich die Lieder selbst bei“, sagt seine Pflegemutter, die ihn schon im Alter von drei Jahren bei der Musikschule angemeldet hat.

Am Klavier Video: Claudia Wörner

Immer wieder neue Projekte im Blick

Thorsten finde immer wieder neue Projekte, die es wert seien, sich dafür einzusetzen, sagt Karin Gaißer. Sie selbst lebt ihm vor, dass man durchaus etwas erreichen kann und dass sich persönlicher Einsatz lohnt. So sammelte sie mit ihren Nachbarn 700 Unterschriften für den Erhalt eines Spielplatzes in einer kleinen Parkanlage.

Aussicht von der Tettnanger Hermannstraße in Richtung Bodensee. Auch hier möchte sich Thorsten Gaißer für den Erhalt von Obstbäumen ...
Aussicht von der Tettnanger Hermannstraße in Richtung Bodensee. Auch hier möchte sich Thorsten Gaißer für den Erhalt von Obstbäumen einsetzen. | Bild: Claudia Wörner

„Bei uns verschwindet immer mehr Grün“, bedauert die Tettnangerin. Ihr Pflegesohn hat bereits ein neues Baugebiet im Blick: „Auch in der Hermannstraße möchte ich mich dafür einsetzen, dass dort wieder Obstbäume gepflanzt werden“, kündigt Thorsten Gaißer an.