"Es ist die Hölle", sagt Fiene Sabah. Wegen Depressionen war sie mehrfach in stationärer Behandlung. Als junge Frau konnte sie gar nicht begreifen, wie sich andere hängen ließen. "Ich war alleinerziehend und habe mein Studium durchgezogen", sagt sie. Dann wurde der Druck zu groß. "Das ist ein völlig abstruser Zustand, in dem alles verdunkelt ist. Es gibt keine Hoffnung, nur starke, tiefe Traurigkeit und Lustlosigkeit, Schuldgefühle, innere Leere, das Selbstbewusstsein geht gegen Null", beschreibt sie die Krankheit. Sie hat gelernt, die Dunkelheit zu ertragen und als Anstoß zu werten. "Eine Depression kann eine Ausflucht sein, die das Ego davon abhält, schwierige Entscheidungen zu treffen, sich Ängsten oder schmerzlichen Wahrheiten zu stellen."

"Ein tiefer Absturz kann eine Veränderung bewirken. So einen Zustand auszuhalten stärkt die seelischen Muskeln, es kann etwas Neues ...
"Ein tiefer Absturz kann eine Veränderung bewirken. So einen Zustand auszuhalten stärkt die seelischen Muskeln, es kann etwas Neues entstehen." Fiene Sabah, Selbsthilfegruppe Burnout und Depression | Bild: Corinna Raupach

Selbsthilfegruppen helfen aus dem Teufelskreis heraus

"Es ist ein Teufelskreis", sagt Merve Gündüz, Ansprechpartnerin für eine Selbsthilfegruppe junger Erwachsener. "Ein Depressiver schottet sich ab, distanziert sich von Freunden, verliert seine Interessen. Angehörige und Freunde kommen nicht durch." Manchmal ermunterten sie mit Sätzen wie "Stell dich nicht so an!" oder "Das wird schon wieder." "Dann fühlt sich ein depressiver Mensch erst recht allein und unverstanden", sagt sie. In der Selbsthilfegruppe kennen alle diese Erfahrung und reden offen miteinander. Die Auslöser sind vielfältig: schwieriges Umfeld, Mobbing, Zukunftsangst. "Neue Medien spielen eine Rolle: jeder hat ein perfektes Bild hochgeladen, jeder muss perfekt sein", sagt sie. Umso schwerer fällt der Gang zum Arzt oder Therapeuten. "Die haben Angst, es heißt dann, der ist ein Psycho." Sie rät so zeitig wie möglich zum Therapiebeginn.

Auch dieser Fisch ist in der Kunsttherapie entstanden. Die Vorlage stammt aus dem Buch "Heute bin ich" (Zornig)".
Auch dieser Fisch ist in der Kunsttherapie entstanden. Die Vorlage stammt aus dem Buch "Heute bin ich" (Zornig)". | Bild: Corinna Raupach

Mediziner gehen von komplexen Wechselwirkungen aus

"Jeder Mensch durchläuft in schwierigen Lebenssituationen depressive Phasen. Problematisch wird es, wenn die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt wird", sagt Manfred Best, Chefarzt der Sinova-Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Friedrichshafen. Mediziner gehen von einer komplexen Wechselwirkung biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren als Grund aus. "In der Klinik haben wir ein dichtes, therapeutisches Programm", sagt Best.

"Bei einer guten Steuerung der Therapie sind Depressionen gut behandelbar. Allerdings warten Patienten in Deutschland ein viertel- bis ...
"Bei einer guten Steuerung der Therapie sind Depressionen gut behandelbar. Allerdings warten Patienten in Deutschland ein viertel- bis ein halbes Jahr auf einen ambulanten Therapieplatz." Manfred Best, Chefarzt Sinova-Klinik Friedrichshafen | Bild: Corinna Raupach

Der Tag beginnt mit einem Spaziergang in zügigem Tempo. "Dem Gehirn fällt es schwerer, an die eigene Antriebslosigkeit zu glauben, wenn der Körper sich bewegt." Dazu kommen Gespräche: Der tiefenpsychologische Ansatz sucht Ursachen in Kindheit und Jugend, die Verhaltenstherapie trainiert Handlungsstrategien, die systemische Therapie blickt auf das soziale Umfeld. Vielen Patienten helfen Methoden, die ohne Worte auskommen. In der Kunsttherapie drücken Teilnehmer ihre Gefühle beim Malen oder Modellieren aus. Auch der Musikraum ist beliebt. "Musik berührt, bewegt und bringt uns mit unseren Emotionen in Verbindung", sagt Musiktherapeutin Hanne Eisenhardt.

In der Sinova-Klinik in Friedrichshafen setzen die Ärzte auch auf Kunst-, Musik- und Bewegungstherapie, weil diese ohne Worte den ...
In der Sinova-Klinik in Friedrichshafen setzen die Ärzte auch auf Kunst-, Musik- und Bewegungstherapie, weil diese ohne Worte den Patienten Wege zu ihren Emotionen auftun können. | Bild: Corinna Raupach

Fiene Sabah kann wieder Pläne schmieden

Fiene Sabah geht es heute gut. Sie hat ihren Job als Lehrerin aufgegeben und ist umgezogen. Sie hat viel gelernt: "Wer eine Depression hatte, für den wird das zur Kernkompetenz: gut auf sich aufpassen, die eigenen Bedürfnisse ernst nehmen, liebevoll mit sich umgehen." Jetzt findet sie Kraft, sich um ihre drei Kinder zu kümmern, Selbsthilfegruppen zu leiten und Pläne zu schmieden.

 

"Angehörige sollten viel Geduld und Verständnis mitbringen"

Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer Krankenkasse, gibt Auskunft.

Was kennzeichnet das Krankheitsbild Depression?

Da ist vor allem die Antriebslosigkeit zu nennen. Depressive Menschen ziehen sich zurück, sie haben auf nichts Lust, sie sind müde und können in schweren Fällen morgens nicht aufstehen. Zudem ist die Stimmung dauerhaft gedrückt. Die Patienten haben eine negative Zukunftsperspektive und oft ein vermindertes Selbstwertgefühl. Dazu kommen häufig Schlafstörungen oder psychosomatische Beschwerden wie Rücken-, Bauch- oder Kopfschmerzen. Von einer Depression sprechen wir, wenn mehrere dieser Symptome über einen längeren Zeitraum anhalten. Grundsätzlich ist eine Depression ein sehr komplexes Krankheitsbild.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Es gibt Medikamente, die etwa beim Serotoninmangel ansetzen. Serotonin ist ein Botenstoff, der in unserem Gehirn Informationen zwischen den Nervenzellen transportiert. Da das Serotonin auch unsere Stimmung beeinflusst, erhöhen Antidepressiva den Serotoninspiegel. Dann gibt es die Psychotherapie durch einen Arzt oder Psychologen. Sie kann einzeln oder in der Gruppe stattfinden, in die Behandlung können Entspannungsübungen, Kunst- und Musiktherapie einfließen. Aus den Niederlanden kommt die Methode des Online-Trainings, dabei erhalten die Nutzer über ein internetbasiertes Tool Strategien und Tipps, um psychische Beschwerden zu reduzieren oder vorzubeugen. Die Barmer bietet ihren Versicherten mit "Pro Mind" ein wissenschaftlich evaluiertes Online-Training für Menschen mit leichten psychischen Beschwerden an.

Wie gut sind die Chancen einer Heilung?

Grundsätzlich gilt: Je eher eine Depression erkannt und behandelt wird, desto größer ist die Chance, sie zu überwinden. Es gibt Fälle, in denen taucht eine Depression einmal auf, wird behandelt und kommt nicht wieder. In anderen Fällen ist es wie eine Welle, in der auf eine Hochphase wieder ein Depressionstal folgt.

Was raten Sie Angehörigen und Freunden im Umgang mit Depressiven?

Angehörige sollten viel Geduld und Verständnis mitbringen und auf jeden Fall einen Arzt hinzuziehen. Sie sollten auf Ratschläge wie "Reiß dich zusammen" verzichten und stattdessen auf Ich-Botschaften setzen wie: "Ich habe den Eindruck, dass es dir nicht gut geht und biete dir meine Hilfe an." Angehörige können Tagesstrukturen und Verbindlichkeiten schaffen, denn Menschen mit Depressionen fällt es oft schwer, ihren Alltag zu bewältigen. Bewegung wird ein positiver Effekt nachgesagt, demnach können Spaziergänge Betroffenen gut tun.

Fragen: Corinna Raupach

Hilfsangebote bei Depression

  1. Zahlen: Für Deutschland schätzt die Weltgesundheitsorganisation die Zahl der Menschen mit Depressionen auf 4,1 Millionen, 5,2 Prozent der Bevölkerung. Laut statistischem Bundesamt wurden in den Jahren 2015 und 2016 rund 263 000 Patienten aufgrund einer Depression stationär behandelt. Die Zahl der Behandlungsfälle hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt.
  2. Krankheitsfälle: Anders als bei ansteckenden Krankheiten liegen dem Gesundheitsamt keine Daten zu Erkrankungshäufigkeiten vor. Die Krankenkasse Barmer hat für ihren aktuellen Arztreport folgende Zahlen ermittelt: Statistisch gesehen waren die Menschen im Bodenseekreis im Jahr 2017 2,2 Tage aufgrund einer psychischen Beschwerde (also nicht nur aufgrund einer Depression) krankgeschrieben, im Jahr 2016 waren es 2,5, im Jahr 2015 2,8 Tage. Im Jahr 2016 wurde bei 6,8 Prozent der 18- bis 25-Jährigen eine Depression diagnostiziert, das entspricht 1 301 betroffenen Personen. Die Diagnoserate ist in zehn Jahren um 53 Prozent gestiegen. In ganz Baden-Württemberg wurde bei mehr als 84 000 jungen Erwachsenen eine Depression ärztlich dokumentiert. Im gleichen Report wurde bei 12 Prozent der Baden-Württemberger im Jahr 2016 eine Depression diagnostiziert. Im Jahr 2017 erfolgten rund 19 Prozent aller Krankschreibungen in Baden-Württemberg aufgrund einer psychischen Erkrankung.
  3. Rat und Hilfe: Wer Symptome einer depressiven Verstimmung bei sich feststellt, sollte sich zunächst an seinen Hausarzt wenden. Der kann an das Netz von niedergelassenen Ärzten und Psychologen und an die Kliniken der ZfP vermitteln. Viele Krankenkassen haben Online-Trainings im Angebot, "moodgym" heißt es bei der AOK, "Depressionscoach" bei der TK und "Pro Mind" bei der Barmer. Über den Selbsthilferatgeber des Bodenseekreises sind verschiedene Selbsthilfegruppen erreichbar, zum Beispiel:

Selbsthilfegruppe Depression – junge Erwachsene, Kontakt: Merve, Telefon: 0151/47 65 24 23, E-Mail: selbsthilfe.d@gmail.com, Treffen: Markdorf

Selbsthilfegruppe Depression & Burnout, Kontakt: Fiene Sabah, Telefon: 0176/43 09 52 57, E-Mail: fiene.sabah@web.de, Treffen: Überlingen

Zurzeit ist die Mut-Tour der Deutschen Depressionsliga unterwegs, um für einen offenen und mutigen Umgang mit depressiven Erkrankungen zu werben. Von Hildesheim aus radeln die Teilnehmer in Etappen durch ganz Deutschland. Am Sonntag, 22. Juli, kommen sie nach Eriskirch. Um 10 Uhr startet der Aktionstag an der Ludwig-Roos-Halle. (cor)